„Es war einmal… Über den Markplatz der kleinen Stadt kamen ein paar Männer gezogen. Sie blieben an der Kirche stehen und sprühten auf die Mauer „Ausländer raus“ und „Deutschland den Deutschen“. Steine flogen in das Fenster des türkischen Ladens gegenüber der Kirche.“
So beginnt Helmut Wöllensteins „Märchen vom Auszug aller Ausländer“ und es geht damit weiter, dass Kakao und Schokolade nach Westafrika gehen, weil sie von dort stammen, der Kaffee strebt in seine Heimaten Äthiopien, Kenia und Lateinamerika, Autos zerlegen sich in ihre asiatische Elektronik und jamaikanisches Aluminium, tropische Hölzer lösen sich aus Fensterrahmen und Möbeln, Öl und Benzin machen sich auf Richtung Naher Osten und so weiter. Was wäre Deutschland ohne internationalen Handel oder „fremde“ Kulturen? Auch jene, die in Chemnitz oder Göppingen fremdenfeindliche Sprüche klopfen, haben vermutlich schon Döner und Pizza gegessen und kommunizieren mit Handys, deren Coltan aus dem Kongo stammt und Tablets, die in China montiert wurden.
Wussten Sie, dass jede/r von uns Karl den Großen zu seinen Vorfahren zählen kann und dass genetisch so etwas wie Rasse gar nicht existiert? Dazu hat der Genetiker Adam Rutherford jüngst ein Buch unter dem Titel „Eine kurze Geschichte von jedem, der jemals gelebt hat: Was unsere Gene über uns verraten“ veröffentlicht. Darin heißt es u.a.: „Genetisch unterscheiden sich zwei Schwarze wahrscheinlich deutlich stärker voneinander als ein hell- und ein dunkelhäutiger Mensch“. Genetisch betrachtet sind alle Menschen miteinander verwandt. Völkerwanderung und Migration sind so alt wie die Menschheit.
Und was sagt die Bibel zum internationalen Zusammenleben? In 2. Mose 23,9 heißt es: „Die Fremdlinge sollt ihr nicht unterdrücken; denn ihr wisst um der Fremdlinge Herz, weil ihr auch Fremdlinge in Ägyptenland gewesen seid.“ Und Paulus schreibt in Galater 3,28: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“ Fremd und solidarisch sein, unterschiedlich und doch einig – biblisch betrachtet sind alle Menschen Gottes Kinder und Ebenbilder, gleich an Würde und Rechten. Wer das „christliche Abendland“ erhalten will, wird Fremde und Geflüchtete unter uns respektieren.
Pfr. Reinhard Hauff
Evang. Pfarramt Heiningen