Dieses Wochenende feiern wir in Göppingen Maientag. Der Göppinger Maientag geht auf das ursprüngliche Friedens- und Dankesfest im Jahre 1650 zurück, bei dem das Ende des Dreißigjährigen Krieges gefeiert wurde. Der Maientag ist somit ein Friedensfest und erinnert an eine tiefe Sehnsucht nach Frieden. In jedem Menschen steckt diese Sehnsucht. Sie mag nicht immer spürbar sein, bricht aber meist dann auf und beginnt zu wachsen, wenn der Friede bedroht ist. Deshalb wurde am vergangenen Dienstag dem Grundgesetz gedacht und die Katholische Kirche hat unter dem Thema „Farbe bekennen!“ darauf hingewiesen, dass Demokratie engagierte Streiter braucht und Friede und eine offene Gesellschaft keine Selbstverständlichkeiten sind.
Dafür auch zu streiten, finde ich wichtig. Gerade als Christ. Denn es erinnert mich an ein Versprechen, das Gott dem Volk Israel gegeben hat. Durch den Propheten Jesaja lässt er ausrichten: „Ich setze den Frieden als Aufsicht über dich ein und die Gerechtigkeit als deine Obrigkeit“ (Jesaja 60,17). Gott selbst will Frieden und Gerechtigkeit, sagt der biblische Prophet. Dabei kannte Jesaja selbst Demokratie als Staatsform noch nicht. Zu seiner Zeit gab es für die Völker nur eine Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit: Ein selbstloser, gerechter Herrscher.
Für uns heute sieht das anders aus. Wir genießen die Früchte dessen, was unsere Vorfahren unter vielen Opfern für uns erstritten haben: die Herrschaft des Volkes. In der Demokratie haben alle eine Stimme, und zwar gleichberechtigt. Das ist eine ungeheure Errungenschaft. Und solange unser Grundgesetz gilt, haben wir es selbst in der Hand, manches auf legalem Wege zu korrigieren. Das macht sich natürlich nicht von allein. Streiten für Demokratie ist ein anstrengender Weg. Aber ein Weg, der sich lohnt. Und Jesaja? Er meint, wenn Frieden und Gerechtigkeit „herrschen“, dann werden sie zu den Leitlinien für alles Handeln. Wichtig ist mir dabei: Der biblische Begriff von Gerechtigkeit geht hinaus über ein bloßes „Ist das auch gerecht verteilt?“. Einer biblischen Gerechtigkeit geht es nicht darum, alle über einen Kamm zu scheren. Es geht darum, würdige und gute Lebensbedingungen für alle zu schaffen. Ohne Mauern. Deshalb sind Frieden und Gerechtigkeit in der Bibel zwei Begriffe, die ganz nahe beieinander stehen. Dies heißt auch: Hier unten auf der Erde sind alle Menschen gleich: gleich wichtig, gleich wertvoll, gleichberechtigt. Und jeder, der etwas anderes behauptet, legt sich mit Gott selber an.
Alle, die wollen, dass Frieden und Gerechtigkeit die Oberhand in unserem Land haben, haben Gott auf ihrer Seite. Diese Gewissheit macht stark, immunisiert gegen jede neue Faszination des Autoritären, lässt im guten Sinne streiten und uns um Frieden beten. Gesegneten Sonntag!
Foto (Köngeter): Mauern trennen und schaffen keinen Frieden.
Norbert Köngeter, Stadtdiakon,Katholische Kirche Göppingen