Gelegentlich treffe ich in der Fachschule einen 16-jährigen Syrer, der eifrig die Bibel liest und mit dem Koran vergleicht. Er besucht einen Deutschkurs und macht da erstaunlich schnell Fortschritte. Wenn wir uns begegnen, fängt er gleich an, mir knifflige Fragen zu stellen.
Vor Kurzem überfiel er mich mit der Frage: „Bei Matthäus 10,34 sagt Jesus: Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert… Heißt das, dass Jesus zum Krieg aufruft?“ – „Um Gottes willen, nein!“ hab ich geantwortet „Du mußt das Wort „Schwert“ hier nicht wörtlich nehmen. Es ist bildlich, symbolisch, gemeint. Jesus will damit sagen, dass seine Botschaft in der Welt auf Widerstand stößt. Den Mächtigen und Selbstgerechten wird es ganz und gar nicht gefallen, was er sagt. Und wer sich zu ihm und seiner Botschaft bekennt, wird auch Ablehnung und Feindschaft ertragen müssen, manchmal sogar in der eigenen Familie.“ Ich wies darauf hin, dass Jesus an anderen Stellen sehr klar gegen Gewalt und Krieg Stellung nimmt, dass er die Friedensstifter selig preist und zur Feindesliebe aufruft. Und dass er es ablehnte, sich gegen seine Feinde mit Gewalt zu wehren – auch nicht, als sie ihn folterten und kreuzigten. Man müsse die biblischen Texte im Zusammenhang mit dem Ganzen der Bibel sehen. Wenn man einzelne Stellen isoliert betrachte, könne es zu ganz abwegigen Schlußfolgerungen kommen. Als ob Jesus zum Krieg aufgerufen hätte! Nein!
Ahmed (Name geändert) hörte sehr interessiert zu. Schon öfter hab ich die Erfahrung gemacht, dass es nicht leicht ist, Muslimen unsere historisch-kritische Auslegungsart der Bibel zu erklären. Dass wir bei vielen Texten unterscheiden zwischen dem, was geschrieben ist (dem Symbolischen, dem Zeitbedingten), und dem, was damit eigentlich gemeint ist (der Botschaft, dem zeitlos Gültigen), ist für manche nicht sofort verständlich. Beispiel: Auch der frömmste Christ wird nicht bestreiten, dass die Erde um die Sonne kreist – obwohl die biblischen Erzähler die Erde als eine Scheibe darstellen, über der sich ein festes Himmelsgewölbe wölbt, an dem die Gestirne hängen. Mit ihrem damaligen Wissen drücken die Erzähler jedoch eine Glaubenseinsicht aus, die für uns unabhängig vom jeweiligen Weltbild immer gilt: Welt und Leben sind ein wunderbares Geschenk Gottes, uns anvertraut zu verantwortungsvollem Umgang. Ähnlich bei der Geschichte von Adam und Eva, die wir nicht als historische Individuen verstehen, sondern als Symbolfiguren für das stets aktuelle typisch Menschliche. Dies zeigt sich darin, dass wir Menschen seit jeher immer wieder schuldig werden an Gott, an seiner Schöpfung, an unseren Mitmenschen. Deshalb bleiben wir von A bis Z auf Gottes Gnade und Barmherzigkeit – auf Liebe! – angewiesen. Und eben darauf, so die Bibel, können wir uns verlassen. Umkehr und Neuanfang werden möglich. Für diese ernüchternde, aber auch total befreiende Botschaft hat Jesus sein Leben eingesetzt. Seinen Weg zum Kreuz bedenken wir in den Andachten und Gottesdiensten der gegenwärtigen Passionszeit. Wer kommen will, kann kommen und sich von Jesus trösten, ergreifen und neu ausrichten lassen.
Pfarrer i.R. Walter Scheck, Göppingen