Sonntagsgedanken : Viele Strahlen – ein Licht

Schön, dass die Wintersonne in diesen Tagen immer mehr Kraft bekommt. Dass die Tage wieder länger werden. Aber noch immer steht die Sonne recht tief. Bei einem Spaziergang vor ein paar Tagen durch die winterliche Landschaft durfte ich das erleben: Am späten Nachmittag kam mir das Licht der Sonne entgegen. Aber nicht ungefiltert, sondern tausendfach gebrochen durch die Zweige eines großen blattlosen Laubbaums, durch den hindurch sie strahlte. Welch ein wunderbarer Anblick! So wie es manchmal auch zu sehen ist, wenn durch viele einzelne Wolkenlücken hindurch unzählige Strahlen der Sonne sichtbar werden. Ich könnte da stundenlang verweilen. Die Brechung des Sonnenlichtes macht erst sichtbar, was eigentlich immer da ist: Dass das eine Licht der Sonne in unzähligen Strahlen auf unsere Erde scheint.

Im katholischen Gesangbuch „Gotteslob“ haben wir ein neues Lied, das unsere evangelischen Schwestern und Brüder schon lange in ihrem Gesangbuch haben: Nach dem schwedischen Text von Anders Frostenson hat Dieter Trautwein übersetzt: „Strahlen brechen viele aus einem Licht.“ Aber es geht nicht nur um ein Naturphänomen. Gleich hinzugefügt ist: „Unser Licht heißt Christus.“ Ein starkes Bild: Viele Strahlen – ein Licht. Das Licht selber kann ich meist gar nicht sehen, nur einzelne Strahlen kann ich aufnehmen.

In dieser Zeit begehen viele Gemeinden der verschiedenen Konfessionen die Gebetswoche für die Einheit der Christen. Da ist das auch ein gutes Bild für unser ökumenisches Miteinander. Gerade in diesem Jahr, in dem wir auf 500 Jahre Reformation schauen, ist das ein gutes Bild. Die verschiedenen Konfessionen sind wie Strahlen des einen Lichtes. Ja, jeder gläubige Mensch ist wie ein Strahl dieses Lichtes. Es ist gut, das festzuhalten: Ich bin ein Strahl, aber ich bin nicht das Licht selbst. Ich gebe etwas von diesem Licht weiter, aber ich selber bin nicht die Quelle dieses Lichtes. Erst alle Strahlen zusammen geben das volle Licht wieder. Das Licht ist Christus selbst. Das kann uns bescheiden machen, aber auch freudig im Zusammenspiel der verschiedenen Strahlen.

Und noch aus einem Grund finde ich das Bild treffend. Die verschiedenen Strahlen des eines Lichtes, die ja immer da sind, werden erst richtig sichtbar, wenn sie gebrochen werden: durch die dunklen Äste eines Baumes, durch die Wolken am Himmel, durch ein Prisma, das das eine Licht in alle Farben aufspaltet. Auch die Farben des Regenbogens werden erst sichtbar, wenn sich das Sonnenlicht im Regen bricht. Darin sehe ich auch die schmerzhafte Seite in der Geschichte der christlichen Konfessionen. Bei allem Guten, was die Reformation – auch für uns Katholiken – gebracht hat, wir dürfen auch nicht vergessen, dass sie auch einen schmerzhaften Bruch nach sich zog. Aber genau durch die Bruchstellen unserer menschlichen Erfahrungen wird das eine Licht in seinen vielen Strahlen deutlicher sichtbar. „Unser Licht heißt Christus.“ Lassen wir alle unsere Strahlen miteinander leuchten, dann wird deutlich, woher sie kommen.

Pfarrer Bernhard J. Schmid, Katholische Kirchengemeinde St. Markus – Liebfrauen, Eislingen

 

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