Über dreißig Jahre habe ich als Rettungsfachkraft in Schwäbisch Gmünd und im Landkreis Göppingen Menschen in Not versorgt. Ich habe aber auch Kriegs- und Krisengebiete erlebt. Doch die größte moralische Bankrotterklärung erlebe ich nicht im Ausland, sondern hier – mitten in einer der reichsten Regionen Europas: Menschen erfrieren gelegentlich auf unseren Straßen, während wir uns einreden, wir hätten „alles im Griff“.
Die Bilder von Obdachlosen, die in eisigen Nächten erfrieren, erschlagen werden oder schlicht von der Gesellschaft aufgegeben wurden, brennen sich ein. Sie verschwinden nie wieder. Und sie sollten auch nicht verschwinden – denn sie zeigen, wer wir wirklich sind.
Doch machen wir uns nichts vor: Wir haben uns an das Elend gewöhnt. Wir haben uns an das Wegsehen gewöhnt. Wir haben uns an das Schweigen gewöhnt.
Dabei ist der Auftrag unmissverständlich:
Die Menschenwürde ist unantastbar. (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz – kein Deko-Spruch, sondern geltendes Recht.)
Obdachlose brauchen Wohnraum, der ihre Lebensrealität respektiert – nicht irgendwann, sondern jetzt. Erst dann kann eine behutsame Überleitung in stabile Strukturen gelingen. Und ja: Sie schaffen das nicht alleine. Dafür gibt es Sozialpädagogen, die seit Jahren darauf warten, endlich ernst genommen zu werden.
Die Wahrheit ist unbequem: Wir lassen Menschen sterben, weil es uns nicht genug stört.
Die Frage ist längst nicht mehr, ob wir helfen können. Die Frage ist, wie viele Menschen noch erfrieren müssen, bis wir endlich handeln.
Alfred Brandner