Ich war dabei– Notfallrettung 1980: Zwischen Sondersignalen, Stille und den ersten großen Entscheidungen

In jener Winterluft von 1980, die nach Diesel, kaltem Metall und einem Hauch Abenteuer roch, begann für mich ein Alltag, der keiner war. Die Nächte waren länger, die Straßen dunkler, und der Rettungswagen vibrierte wie ein Versprechen, das man nicht aussprechen musste. Wir fuhren los, ohne Navigationsgerät, ohne Standards, oft ohne zu wissen, was uns erwartete – aber immer mit dem Gefühl, dass jemand da draußen genau jetzt auf uns angewiesen war. Es war eine Zeit, in der Improvisation kein Stilmittel war, sondern Überlebensstrategie, und in der Kameradschaft nicht im Dienstplan stand, sondern im Herzen.

Ich stand nicht am Rand. Ich stand nicht hinter der Linie. Ich stand dort, wo der Atem stockt, wo Sekunden zu Ewigkeiten werden, wo Entscheidungen Gewicht haben – manchmal das Gewicht eines ganzen Lebens.

Ich war dabei. Nicht als Beobachter. Sondern als einer, der mitten im Sturm stand.

Ich habe den Wandel nicht nur gesehen – ich habe ihn durch meine Haut dringen gespürt. Ich habe ihn eingeatmet, ausgehalten, mitgetragen. Jede Schicht, jede Nacht, jeder Einsatz hat sich in mich eingeschrieben wie Jahresringe in einen alten Baum.

1980 trat ich ein. In eine Welt, die gleichzeitig rau war und voller Aufbruch. Eine Welt, in der Improvisation unser Werkzeug war und Hoffnung unser Motor.

Wir waren jung, hungrig, entschlossen. Wir wollten mehr: Mehr Wissen. Mehr Professionalität. Mehr Menschlichkeit. Wir wollten, dass Rettungsdienst nicht nur funktioniert – sondern wächst, reift, Bedeutung bekommt.

Und wir hatten Vorbilder. Wir hatten Orientierung. Wir hatten Prof. Dr. med. Ahnefeld und die Sektion Notfallmedizin im BWK Ulm – einen Kompass, der uns zeigte, wohin moderne Rettungsmedizin führen kann. Diese Orientierung war mehr als fachlich. Sie war ein Gefühl. Ein Versprechen. Ein innerer Nordstern.

Und ich? Ich war mittendrin.

Ich habe erlebt, wie aus Chaos Struktur wurde. Wie aus Bauchgefühl Wissenschaft wurde. Wie aus einem Job eine Berufung wurde. Ich habe erlebt, wie wir uns selbst neu erfunden haben – Schritt für Schritt, Schicht für Schicht, Jahr für Jahr.

Ich habe Menschen gerettet, die nicht mehr gehen konnten. Ich habe Hände gehalten, die loslassen mussten. Ich habe Entscheidungen getroffen, die niemand treffen will – und doch getroffen werden müssen.

Ich habe gelernt, dass Mut nicht laut ist. Mut ist das ruhige Atmen im Lärm. Mut ist das Weitergehen, wenn die Nacht schwer ist. Mut ist das Wiederkommen, obwohl man weiß, was einen erwartet.

2015 habe ich den öffentlichen Rettungsdienst verlassen. Aber er hat mich nie verlassen. Er lebt in mir weiter – in meinen Erinnerungen, in meinen Narben, in meinem Stolz, in der Verantwortung, die ich bis heute trage.

Ich bin ein Zeitzeuge dieser Entwicklung. Ein Träger dieser Geschichte. Ein Bewahrer dieser Jahre.

Ich war dabei. Ich bin es noch. Und ich werde es immer bleiben.

Alfred Brandner

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