Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst finden toten Mann erst nach zwei Jahren in seiner Wohnung – so lautete die nüchternen Meldung vom12.12.24 auf T-Online Portal. Ein Satz, der klingt wie eine Randnotiz. Doch er erzählt eine Geschichte, die uns alle angeht. Eine Geschichte über Gleichgültigkeit, Egoismus und das Verstummen menschlicher Nähe.
Der Mann lag nun seit Jahren tot in seiner Wohnung. Wochen – inmitten eines dicht besiedelten Ortes, umgeben von Menschen, die zur Arbeit gehen, einkaufen, ihre Hunde ausführen, Pakete entgegennehmen. Wochen, in denen niemand klopfte, niemand nachfragte, niemand etwas bemerkte.
Solche Einsätze gehören für Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst längst zur täglichen Praxis. Professionell abgearbeitet, sachlich protokolliert, abgeheftet wie ein Ladendiebstahl oder ein Einbruch in den Kartoffelkeller. Doch wer glaubt, dass ein solcher Einsatz mit dem Schließen der Fahrzeugtür endet, irrt gewaltig. Die Bilder bleiben. Die Fragen bleiben. Die Sorge bleibt.
Denn es macht mir große Angst, immer wieder feststellen zu müssen, dass man in unserer westlichen Wohlstandsgesellschaft einsam sterben kann – unbemerkt, ungesehen, unbetrauert.
Wir erleben Fälle, in denen Verstorbene erst nach Wochen, Monaten, manchmal sogar Jahren gefunden werden. Und jedes Mal zeigen sich alle betroffen: Kinder, Verwandte, Nachbarn. Niemand will etwas bemerkt haben. Niemand will verantwortlich sein. Niemand will hinschauen.
Dabei liegen die Hinweise oft offen zutage:
- überquellende Briefkästen
- unbezahlte Rechnungen
- abgedrehter Strom und Gas
- Mahlzeiten, die sich vor der Tür stapeln
Signale, die jeder Kleinkriminelle zu deuten weiß – aber die Menschen im direkten Umfeld offenbar nicht mehr wahrnehmen können oder wollen. Nachbarn, Postzusteller, Stadtwerke, ja sogar Angehörige übersehen, was eigentlich unübersehbar ist.
Ich erinnere mich an einen Fall, bei dem ein Mitarbeiter eines Mahlzeitendienstes die Essensbehälter Tag für Tag vor der Wohnungstür einer älteren Dame abstellte. Niemand öffnete. Niemand fragte nach. Als wir schließlich die Tür öffneten, war die Frau genauso viele Tage tot, wie Behälter vor ihrer Tür standen.
Was ermöglicht ein solches Sterben? Es ist die Mischung aus fehlender Kommunikation, zunehmender Anonymisierung, Gleichgültigkeit und einem Egoismus, der sich hinter dem Satz „Das geht mich nichts an“ versteckt.
Doch es geht uns etwas an. Es geht uns alle etwas an.
Denn eine Gesellschaft zeigt sich nicht an ihrem Wohlstand, sondern daran, ob Menschen in ihr gesehen werden – oder ob sie spurlos verschwinden können, ohne dass jemand es merkt.
Alfred Brandner