Es gibt Augenblicke, in denen das Leben uns nicht fragt, ob wir bereit sind. Es stellt uns einfach hin – an eine Schwelle, an einen Abgrund, an einen Punkt, an dem Weitergehen und Stehenbleiben nicht mehr dasselbe bedeuten. In solchen Momenten entscheidet sich, wer wir sind.
Wer sein Leben meistern will, muss das Glauben lernen. Nicht als Trost, nicht als Ritual – sondern als existenzielle Fähigkeit. Glaube ist der innere Muskel, der uns trägt, wenn alles andere versagt. Und wie jeder Muskel verkümmert er, wenn wir ihn nicht benutzen.
Ich begegne täglich Menschen, die an Ängsten, Enttäuschungen und seelischen Verletzungen zerbrechen. Diese Wunden verschwinden nicht. Sie graben sich ein – in Gedanken, in Körper, in Herz. Ein „gebrochenes Herz“ ist kein Bild. Es ist ein Zustand, der Menschen lähmt, krank macht, zerstört.
Wir brauchen Zugehörigkeit, Anerkennung, ein Klima, das uns hält. Fehlt dieses Fundament, beginnt der Mensch zu erodieren. Erst leise. Dann unüberhörbar. Humor, Leistungsfähigkeit, Lebensfreude – sie sterben nicht plötzlich. Sie verdunsten, wenn wir uns selbst verlieren.
Ich habe gelernt, mich nicht an anderen zu messen. Es gibt immer jemanden, der stärker wirkt, reicher ist, schneller vorankommt. Doch das ist bedeutungslos, wenn wir die wichtigste Frage nicht beantworten: Warum bin ich hier? Wer diese Frage nicht stellt, lebt im Schatten seines eigenen Lebens.
Ein Freund sagte mir einmal: „Wenn eine Entscheidung ansteht, dann triff sie.“ Dieser Satz ist existenziell. Denn Zögern ist nicht nur ein Fehler. Zögern ist ein langsames Sterben.
Wer nicht entscheidet, verliert die Fähigkeit, sich selbst zu führen. Er verliert Mut, Klarheit, Würde. Und irgendwann verliert er den Kontakt zu dem Menschen, der er einmal war.
Mutige Entscheidungen sind nie perfekt. Aber sie sind ein Akt des Lebens. Sie reißen uns aus der Starre, geben uns Handlungskraft zurück und öffnen Wege, die wir im Stillstand nie gesehen hätten. Ehrlichkeit ist so ein Weg. Wer sich bewusst dafür entscheidet, lebt leichter – und echter.
Und dann ist da der Glaube. Nicht der religiöse – der existenzielle. Der Glaube an sich selbst. An die eigene Unzerstörbarkeit. An die Möglichkeit eines Neubeginns, selbst wenn alles in Trümmern liegt. Glauben muss man lernen wie das Gehen. Fallen, aufstehen, weitergehen. Immer wieder.
Ich habe Rückschläge erlebt, die mich an den Rand geführt haben. Aber ich habe verstanden: Solange wir an uns glauben, ist nichts endgültig verloren. Der Mensch kann zerbrechen – und dennoch neu entstehen.
Manchmal reicht ein einziger Entschluss, um das Dunkel zu durchschneiden. Manchmal reicht ein Funke Glaube, um ein Leben zu retten – das eigene. Und manchmal reicht ein Schritt, um aus der Nacht in den Morgen zu treten.
Alfred Brandner