Feuer, Form und Fernweh – Ein Lebensweg zwischen Glasmacherkunst und gesellschaftlichem Engagement

Wenn man auf ein Arbeitsleben von 45 Jahren zurückblickt, ist es nicht nur eine Aneinanderreihung von Tätigkeiten – es ist ein Spiegel der Zeit, der Gesellschaft und der persönlichen Entwicklung. Mein beruflicher Weg führte mich durch verschiedenste Felder: Ich war Glasmacher, Seemann, Rettungsfachkraft, Erfinder, Fachlehrer, Kampfsportler und Dozent in der Gewaltprävention. Jede Station war geprägt von Hingabe, Neugier und dem Streben nach Sinn.

Doch erst im Nachhinein, Jahrzehnte später, erkannte ich die tiefgreifende Bedeutung meines ersten Berufes – der Glasmacherei. Ein Handwerk, das nicht nur Produkte formt, sondern auch Charakter.

Schwäbisch Gmünd – Stadt der Glasmacher

In den 1960er Jahren war Schwäbisch Gmünd ein Zentrum der Glasproduktion. Die Josephinenhütte (Cäcilienhütte), die Ludwig Breit Wiesenthalhütte und die werkseigene Glashütte der WMF in Geislingen waren Orte, an denen Glas nicht nur gefertigt, sondern gelebt wurde. Ich trat als junger Mann in diese Welt ein – nicht ganz freiwillig, aber mit wachsender Faszination.

Glasmacher war ein ehrbarer und gut bezahlter Beruf. Die Arbeit begann früh, oft um fünf Uhr morgens, und war geprägt von Präzision, Teamarbeit und körperlicher Ausdauer. Die Werkstattteams bestanden aus Meister, Formenhalter, Kölbelmacher, Einbläser, Kaier und Einträger – jeder mit klarer Aufgabe und Verantwortung.

Rhythmus der Hütte – Arbeit und Gesang

Unvergessen bleibt mir der morgendliche Gesang der Glasmacher: „Ein Glasmacherleben, das heißt ja früh aufstehen… Wenn die Anderen schlafen, müssen wir schon schaffen…“

Diese Lieder hallten durch die Hallen und schufen ein Gemeinschaftsgefühl, das über die harte Arbeit hinwegtrug. Während wir formten und bliesen, arbeiteten die Glasschmelzer nachts an den Öfen, bei über 1200 Grad, um das Gemenge aus Quarzsand, Pottasche und Kalk zu schmelzen.

Lehrjahre und Spezialisierung

Meine ersten Aufgaben als Einträger waren körperlich fordernd – das Glas musste im Laufschritt zum Kühlband gebracht werden. Später bediente ich die Holzformen, schloss sie von Hand und lernte, wie ein Moment der Unachtsamkeit Ausschuss bedeutete. Mit der Zeit entwickelte ich mich weiter zum Kaier, Kölbelmacher und Einbläser.

Besonders prägend war meine Zeit in der Großzeugwerkstätte der Wiesenthalhütte. Dort entstanden Bodenvasen und Lampenschirme im Großformat für internationale Kunden. Die Arbeit war anspruchsvoll, aber ich hatte gute Lehrer und lernte, mit Glas nicht nur zu arbeiten, sondern es zu verstehen.

Wandel und Rückkehr

Das Fernweh trieb mich zur Seefahrt und in andere Berufsfelder. Ich wurde Rettungsfachkraft, Fachlehrer, Kampfsportler und Dozent für Gewaltprävention. Doch Jahre später kehrte ich noch einmal zur Glasmacherei zurück – mit gereifter Perspektive und wachsender Wertschätzung.

Heute erkenne ich die Glasmacherei als bildende Kunst. Die Musterfertigung für Kirchenfenster, die Herstellung großer Einzelstücke – all das erforderte manuelles und künstlerisches Geschick. Ich vermisse den Geruch der Holzformen, das Zischen des heißen Glases, das rhythmische Leben in der Hütte.

Das Ende einer Ära

Die Glashütten in Schwäbisch Gmünd, Wiesensteig, Dürnau und Geislingen sind längst stillgelegt. Selbst in Frauenau im Bayerischen Wald, wo das Glasmacherhandwerk eine besondere Tradition hatte, wurde die letzte Hütte 2021 geschlossen. Damit endet eine Ära – doch die Erinnerung lebt weiter.

Vermächtnis und Ausblick

Ich bin stolz, Teil dieser Geschichte gewesen zu sein. Im Gmünder Einhornjahrbuch und in der SWR Landesschau durfte ich meine Erfahrungen teilen. Mein Name – Alfred Brandner – steht für ein Leben voller Wandel, Tiefe und Leidenschaft. Und für ein Handwerk, das nicht nur Glas formt, sondern auch Menschen.

Alfred Brandner

Permanentlink zu diesem Beitrag: https://filstalexpress.de/filstalexpress/197475/

Schreibe einen Kommentar