Immer häufiger werden Menschen, die anderen in Notlagen beistehen, selbst zum Ziel von Gewalttaten. Die Ursachen dafür sind vielschichtig. Häufig mangelt es den Täterinnen und Tätern an Empathie und Mitgefühl – sie zeigen keinerlei Gespür für das Leid anderer. Die Wurzeln der Gewalt finden sich in der Persönlichkeit der Angreifer.
Doch diese alarmierende Entwicklung ist nicht allein auf individuelle Defizite zurückzuführen. Auch tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen tragen maßgeblich dazu bei:
- Zunahme psychischer Erkrankungen: Immer mehr Menschen leiden unter seelischen Belastungen, während die medizinische Versorgung vielerorts an ihre Kapazitätsgrenzen stößt.
- Destabilisierung sozialer Strukturen: Traditionelle Netzwerke wie Freundes- und Bekanntenkreise, die früher deeskalierend wirkten, verlieren zunehmend an Halt und Einfluss.
- Vereinsamung und Entfremdung: Die soziale Isolation vieler Menschen fördert eine Eskalation von Aggressionen, die kaum noch aufgefangen oder sinnvoll kanalisiert werden können.
Diese Entwicklungen stellen nicht nur eine Gefahr für Helfende dar – sie sind ein Spiegel gesellschaftlicher Spannungen, die dringend Aufmerksamkeit und gemeinsame Lösungen erfordern.
Professionelle Kommunikation in der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr
Ein angelesenes Wissen reicht nicht aus. Um als Rettungsdienst – Einsatztrainer hochkomplexe Inhalte aus den Bereichen der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr – wie Notfallvorsorge, Notfallrettung, Selbstverteidigung, Notfallmedizin (auch unter Ausnahmebedingungen), Personenschutz und Gewaltprävention – sicher, sachlich und verantwortungsvoll zu vermitteln, sind folgende Voraussetzungen unerlässlich:
- Fundierte Fachqualifikationen im Rettungswesen, sowohl auf grundlegender als auch auf fortgeschrittener Ebene
- Umfassende Praxiserfahrung in eigenverantwortlichen Einsatzszenarien
- Besondere Handlungskompetenz in hochdynamischen Ausnahme- und Bedrohungslagen, die schnelle Entscheidungen und ethisch reflektiertes Handeln erfordern
Einsatzorte mit unberechenbarem Risiko
Die potenziellen Schauplätze für gefährliche Situationen sind vielfältig: Straßen, Geschäfte, Rettungswagen, Brandorte, Wohnungen, Arztpraxen, Kliniken und Kneipen. Überall dort kann Gefahr in unterschiedlichster Form lauern – sichtbar oder verborgen. Für Einsatzkräfte bleibt der Moment des Eintreffens stets ein Schritt ins Ungewisse. Umso wichtiger ist es, alle Beteiligten umfassend auszubilden und zu sensibilisieren.
Nur wer gelernt hat, Situationen schnell und präzise einzuschätzen, kann angemessen und sicher reagieren. Die Fähigkeit zur professionellen Gefahrenbewertung ist keine Option – sie ist Voraussetzung.
Wenn Routine zur Bedrohung wird
Ausnahmefälle beschränken sich nicht nur auf offensichtliche Gefahrenlagen, die bereits im Vorfeld erkennbar sind. Zwar erfolgt die Anfahrt zu bedrohlichen Einsätzen oft mit polizeilicher Begleitung – doch nicht jede Gefahr kündigt sich an. Gewalt kann unvermittelt ausbrechen, mitten in der scheinbaren Routine des Rettungsdienstes. Diese plötzlichen Eskalationen stellen ein erhebliches Risiko dar – für die Betroffenen ebenso wie für die Helfenden.
Deshalb braucht es mehr als technische Kompetenz: Es braucht Haltung, Vorbereitung und ein tiefes Verständnis für die Dynamik von Gewalt. Nur so kann Prävention wirksam sein – und Schutz Realität werden.
Einblicke in reales Einsatzgeschehen
Einsatzbericht: Bewusstlose Person mit aggressivem Verhalten
In einer Vorortgemeinde wurde ein bewusstloser Patient gemeldet. Angehörige informierten die Einsatzkräfte über ein bestehendes Alkoholproblem. Beim Eintreffen fanden die Rettungskräfte einen etwa 190 cm großen und 150 kg schweren Mann unter einem Tisch liegend vor. Der Patient schien die Bewusstlosigkeit zu simulieren.
Nach Ansprache reagierte der Mann, änderte seine Position und setzte sich zunächst ruhig auf einen Stuhl. Trotz des professionellen und deeskalierenden Vorgehens der Rettungskräfte sprang der Patient plötzlich auf, nahm eine bedrohliche Haltung ein und griff die Einsatzkräfte körperlich an.
Da eine Fluchtmöglichkeit nicht gegeben war, mussten sich die Rettungskräfte durch kontrollierte Abwehrmaßnahmen und eine anschließende Fixierung schützen. Die Polizei war zu diesem Zeitpunkt bereits verständigt und auf dem Weg zum Einsatzort.
Dieser Vorfall verdeutlicht die Bedeutung spezieller Schulungen im Umgang mit potenziell bedrohlichen Einsatzlagen.
Einsatzbericht: Schnittverletzungen an den Unterarmen
Ein weiterer dramatischer Einsatz gewährt tiefe Einblicke in die Realität des Rettungsdienstes. Der Tag beginnt routiniert mit der Überprüfung von Fahrzeug und Ausrüstung – doch Routine weicht schnell Alarmbereitschaft.
Der Funkmeldeempfänger springt an, und die Leitstelle meldet: „Schnittverletzungen an den Unterarmen – weitere Details unbekannt.“
Am Einsatzort angekommen, greifen wir sofort zu Notfallkoffer und EKG. Keine Zeit für Umschweife – das Team eilt zur Wohnung. Die Tür steht offen, eine Frau erwartet uns bereits im Eingangsbereich. Eine deutliche Blutspur zieht sich durch die Wohnung – ein stummer Zeuge des Geschehens.
Sekunden entscheiden jetzt. Auf unsere Frage nach dem Patienten deutet die Frau auf ein Zimmer. In diesem Moment tritt ein Mann heraus – blutüberströmt, mit tiefen Schnittverletzungen an beiden Unterarmen. Die Situation ist kritisch.
Die Person, bewaffnet mit zwei großen Metzgermessern, die sie bedrohlich in den Händen hält, positioniert sich nun direkt vor dem einzigen Ausgang der Wohnung. Eine Flucht ist unter diesen Umständen nicht mehr möglich, und ein Notruf bei der Polizei kann nicht abgesetzt werden. Es handelt sich offensichtlich um eine zuvor nicht absehbare Situation mit einem äußerst hohen Gefährdungspotenzial.
Einsatzbericht – Zusammenfassung des Einsatzverlaufs
Die folgende Darstellung beschreibt den tatsächlichen Ablauf des Einsatzes. Dank des erfahrenen Einsatzteams unter der Leitung eines Rettungsassistenten, der sich seit Jahrzehnten aktiv in der Gewaltprävention engagiert, konnte die Situation erfolgreich deeskaliert werden.
Eine stark alkoholisierte Person hatte sich zuvor mit zwei Messern selbst Schnittverletzungen zugefügt. Durch gezielte Kommunikation und umsichtiges Handeln gelang es dem Team, die Person dazu zu bewegen, die Messer in sicherer Entfernung abzulegen. Dabei wurde sie unter Einsatz von Küchenstühlen kontrolliert zu Boden gebracht.
Die Messer wurden umgehend aus dem Gefahrenbereich entfernt, und zeitgleich wurde über die Notrufnummer 110 die Polizei verständigt. Im Anschluss erfolgte die notfallmedizinische Versorgung der verletzten Person.
Erstversorgung des Verletzten – Sicherheit geht vor
Glück im Unglück: Dank der besonnenen und professionellen Reaktion des erfahrenen Einsatzteams konnte eine Eskalation verhindert und die Besatzung vor schwerwiegenden Folgen bewahrt werden.
Eigensicherung hat oberste Priorität
In Einsatzsituationen mit potenziell aggressiven oder unberechenbaren Personen – etwa unter Einfluss von Alkohol, Drogen oder bei psychischen Erkrankungen – ist die Gefährdung für Rettungskräfte hoch. Auch Angehörige oder Umstehende können plötzlich gewalttätig reagieren. In solchen Momenten ist nicht garantiert, dass Helfer in Schutzkleidung als solche erkannt oder respektiert werden. Selbst Amokläufer zeigen oft keine Hemmung gegenüber Einsatzkräften.
Da sich das Verhalten solcher Personen schwer einschätzen lässt, muss die Eigensicherung stets oberste Priorität haben.
Nicht erkennbare Gefahrenneigung
Eine nicht erkennbare Gefahrenneigung birgt dagegen erhebliche Risiken für die Helfenden. Deshalb muss an allen Einsatzorten eine Ersteinschätzung zur Eigensicherung erfolgen, eventuell müssen die Fluchtwege gesichert werden. Das ist unauffällig möglich und erfordert wenig Zeit. Ggf. sollte man versuchen, die Lage zu entschärfen und die aufgebrachten Personen zu beruhigen. Dabei sollte man sich auf vier Aspekte konzentrieren: das Auftreten, das Erscheinungsbild, das Verhalten und insbesondere die Kommunikationsfähigkeit können maßgeblich über den Einsatzverlauf in einer solchen oder ähnlichen Ausnahmesituation entscheiden.
- Auftreten und Körpersprache: Da ein gewisses Risikopotenzial in jeder Einsatzsituation gegeben ist, sollte man als Rettungsfachkraft immer einen Sicherheitsabstand wahren. Dazu hält man die Hände wie ein Schutzschild vor Gesicht und Körper. So kann man ruhig und aus relativ sicherer Ausgangslage mit den anwesenden Personen kommunizieren.
- Erscheinungsbild: Achten sollte man darauf, die Patientinnen und Patienten nicht (unbewusst) zu provozieren. Eine große Stabstaschenlampe – vermeintlich hieb bereit in der Hand – könnte als Bedrohung angesehen werden. Auch die gerne verwendeten „Zugriffshandschuhe“, vergleichbar mit Polizei-Einsatzmitteln, dienen nicht der Deeskalation.
- Verhalten: Grundsätzlich sollte man patientenorientiert, ruhig und sachlich auftreten. Nervöses Verhalten und Belehrungen in Oberlehrermanier begünstigen einen negativen Einsatzverlauf. Menschen in psychischer Ausnahmesituation sollte man vermitteln, dass sie das Einsatz- und Rettungsfachpersonal nicht als Gegner betrachten müssen, sondern als qualifizierte Hilfe. Auf keinen Fall darf man sich provozieren lassen.
- Kommunikation: Sätze wie „Beruhigen Sie sich doch“ oder „In diesem Zustand können wir nicht diskutieren“ sollte man vermeiden. Sie sind gut gemeint, haben aber für Menschen in psychischer Ausnahmelage einen belehrenden Charakter, der zur Eskalation der schon gegebenen Ausnahmelage beitragen kann. Besser ist es – stets unter Beibehaltung eines erforderlichen Sicherheitsabstandes – mit einfachen Fragen die Ursachen der Aufregung zu erforschen. Wenn man aufmerksam zuhört, kann man feststellen, dass dieses ruhige Auftreten bereits eine positive Auswirkung auf die aufgebrachte Person hat und dazu beiträgt, die Konfliktsituation zu entschärfen. Günstig sind Sätze wie „Hallo, wir sind vom Rettungs dienst – wie können wir Ihnen helfen?“ oder „Keine Sorge, wir werden gemeinsam Möglichkeiten für ein weiteres Vorgehen finden!“.
Handlungsempfehlung für Ersthelfer in bedrohlichen Situationen
In Einsatzlagen, in denen herkömmliches Vorgehen nicht mehr ausreicht und Ersthelfer einem rechtswidrigen Übergriff ausgesetzt sind, sind geeignete Maßnahmen erforderlich, um die eigene Gesundheit und das Leben anderer zu schützen.
Wird in einer solchen Situation ein Polizeinotruf abgesetzt, ist zunächst das Eintreffen der Einsatzkräfte abzuwarten. In der Zwischenzeit kann jedoch ein Handeln notwendig werden – vorausgesetzt, es erfolgt ohne unnötige Gefährdung der eigenen Person oder Dritter.
Sollte ein sofortiges Eingreifen unumgänglich sein, kann ein koordiniertes Einschreiten – gegebenenfalls unter Einbeziehung weiterer Passanten – in Betracht gezogen werden. Dabei ist es essenziell, das Risiko sorgfältig abzuwägen und sich ehrlich zu fragen, ob man körperlich und psychisch in der Lage ist, eine solche Maßnahme verantwortungsvoll umzusetzen.
Rechtsgrundlagen
Einen tätlichen Angriff auf sich selbst oder auf Kollegen abzuwenden ist erlaubt und in den §§ 32 STGB – Notwehr, 33 STGB – Notwehrüberschreitung festgeschrieben. Auch die Straffreiheit bei der Abwehr rechtswidriger Angriffe ist gesichert. Dem Gesetzestext ist sinngemäß zu entnehmen: Wer in Notwehr handelt, handelt nicht rechtswidrig und kann somit auch nicht bestraft werden – auch dann nicht, wenn der Angreifer im Rahmen der erforderlichen Notwehr Schaden erleidet.
Eine berechtigte Grundlage zur Notwehr ist ein rechtswidriger und gegenwärtiger Angriff. Unter „gegenwärtig“ ist in diesem Fall zu verstehen, dass der rechtswidrige Angriff begonnen hat, aber noch nicht beendet ist. Unbedingt zu beachten ist, dass bei den Notwehrmaßnahmen die Erforderlichkeit gewahrt sein muss: Man darf nicht überreagieren; die Mittel der Gegenwehr müssen dem Angriff angemessen sein. Natürlich muss sich der Angegriffene nicht auf Risiken einlassen, zumal entscheidende Abwehrmaßnahmen in den meisten Fällen unverzüglich und in Zeitnot erfolgen müssen.
Paragraph 32 STGB – Notwehr
1.Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.
2 Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff von sich oder einem Anderen abzuwenden.
(Notwehr zugunsten eines dritten wird als „Nothilfe“ bezeichnet.)
Paragraph 33 STGB – Notwehrüberschreitung
Überschreitet der in Notwehr Handelnde die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.
Paragraph 34 STGB – Rechtfertigender Notstand
Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.
Begrenztes Notwehrrecht aus sozialethischen Gründen
Allerdings könnte das Prinzip der Rechtsbewährung aus sozialethischen Gründen begrenzt sein, z.B. dann wenn Patienten, Angreifer oder Täter ihr rechtswidriges Verhalten aufgrund ihres Zustandes nicht erkennen können, wie zum Beispiel nach einer Hypoglykämie, einem Krampfanfall, einer Drogenintoxikation, einem Entzug, oder einer psychischen Ausnahmelage.
Gegenwehr nur als Ausnahme
In einer Notlage, in der Flucht unmöglich ist und Gesundheit sowie Leben unmittelbar gefährdet sind, ist Selbstverteidigung erlaubt. Auch Ungeübte können sich erfolgreich wehren, indem sie den Angreifer kräftig wegstoßen. Einfache, aber wirkungsvolle Verteidigungs- und Befreiungstechniken wie lautes Schreien, Ausweichen, Blocken, Treten oder Schlagen können in bedrohlichen Situationen die Chance zur Flucht eröffnen. Wichtig ist es jedoch, niemals die Einsatzsituation oder die beteiligten Personen zu unterschätzen.
Vom Einsatz von Reizstoffwaffen in Ausnahmesituationen wird abgeraten, da deren sachgemäße Anwendung Erfahrung voraussetzt und sonst die Gefahr besteht, sich selbst zu verletzen. Der Besuch von Selbstschutzseminaren bietet eine solide Basis für den Umgang mit Gefahrensituationen.
Auch regelmäßige Trainings, wie sie zum Beispiel im Rahmen von Pflichtfortbildungen im Rettungsdienst stattfinden, sind empfehlenswert. Die Ausbildungsinhalte sollten rechtliche Grundlagen und praktische Übungen umfassen, wobei keine komplexen Selbstverteidigungstechniken, sondern einfache, schnell abrufbare Verteidigungs- und Befreiungstechniken vermittelt werden sollten, die Schutz und Fluchtmöglichkeiten bieten.
Einige Rettungsdienste haben bereits die Notwendigkeit spezieller Mitarbeiterschulungen erkannt und bieten diese an. Das Ziel jedes Selbstschutzseminars sollte es sein, den Teilnehmern die Prinzipien der Eigensicherung sowie angemessenes Verhalten an Einsatzorten und im Umgang mit auffälligen Patienten oder deren Umfeld zu vermitteln. Die Schulungsmaßnahmen müssen grundsätzlich auf die Bedürfnisse des Rettungsdienstpersonals abgestimmt sein.
Alfred Brandner