Kennen Sie das Märchen „Hans im Glück“ der Gebrüder Grimm? Es erzählt die Geschichte eines glücklich Gescheiterten. Hans hat sieben Jahre seinem Herrn treu gedient und möchte nun nachhause zu seiner Mutter. Er bekommt als Lohn einen Klumpen Gold „groß wie Hansens Kopf“. Doch das Gold ist schwer und drückt auf die Schultern auf dem beschwerlichen Weg nachhause.
Als ein Reitersmann fröhlich auf seinem Pferd vorbeitrabt ist die Verlockung groß und Hans tauscht das Gold gegen das Pferd ein. Die weitere Geschichte ist schnell erzählt: Hans tauscht Pferd gegen Kuh, Kuh gegen Schwein, diese gegen eine Gans und zuletzt die Gans gegen einen Wetzstein und immer ist er Glücklicher als zuvor, ein richtiges Sonntagskind. Als schließlich der beschwerliche Wetzstein in einen Brunnen fällt ist Hans der glücklichste Mensch unter der Sonne, dankt Gott für die Gnade und mit leichtem Herzen, frei von aller Last läuft er heim zu seiner Mutter.
Dieses Märchen war in meiner Kindheit immer eine meiner liebsten Geschichten. Wie kann Hans glücklich sein? Er ist doch dumm, bestenfalls naiv oder mit kindlicher Unschuld gesegnet. Er erlebt ein ökonomische Desaster und steht nach sieben Jahren Arbeit mit lehren Händen da. Hans berechnet denn Tauschwert seiner Ware, seines Besitzes, nicht nach dem Äquivalenzprinzip der Ökonomie, wie Wirtschaftswissenschaftler sagen würden. Ja er rechnet eigentlich gar nicht, zumindest nicht in der üblichen Weise. Seine Tauschpartner machen ein gutes Geschäft. Sie sind vielleicht glücklich, weil sie einen Dummkopf gefunden haben.
Also ein Scheitern auf ganzer Linie oder doch eine Erfolgsgeschichte? Es kommt offensichtlich auf die Perspektive an.
Glück ist etwas sehr erstrebenswertes in unserer Gesellschaft. Jeder möchte glücklich und seines Glückes Schmid sein oder doch gelegentlich „übersprudeln vor Glück“ (so in einem Popsong).
Es wird so getan, als sei Glück erlernbar wie Autofahren oder mit ein paar Kniffen und dem richtigen Dreh herstellbar. Zeitschriften und Ratgeber, auch GRATIS Online-Glückstrainer, verkünden die „Sechs Säulen des Glücks“ und versprechen Wohlbefinden und Gesundheit. Google verzeichnet über 82 Millionen Ergebnisse für Glückssuchende. Die ARD widmete vor einiger Zeit dem Glück eine ganze Themenwoche auf allen Kanälen. Amerika, der Hort alles Machbaren, hat das Recht auf Streben nach Glück sogar in seine Unabhängigkeitserklärung geschrieben und es genießt dort Verfassungsrang. Es könnte einem Schwindlig werden vor soviel Glück.
Glück ist etwa sehr persönliches. Meine Großmutter sagte einmal zu mir, „Glück ist, wenn einem gerade nichts mehr weh tut“. Es ist also die Abwesenheit von etwas und wird einem nur zeitweilig geschenkt.
Hans findet sein persönliches Glück, indem er immer aus der aktuelle Situation heraus, „ohne Sinn und Verstand“ im Blick auf seinen wirtschaftlichen Vorteil, handelt. Das ist sicher nicht nach jedermanns Geschmack und erst recht nicht vernünftig. Aber es ist offensichtlich ein möglicher Weg – zumindest im Märchen.
Wir wissen nicht, wie die Geschichte weitergeht, was Hans zuhause bei der Mutter erwartet und ob sein Glück von Dauer ist. Vielleicht hätte er sein Gold noch gut gebrauchen können. Manches Glück wandelt sich in Unglück und umgekehrt. Aber für den Moment ist Hans der glücklichste Mensch auf der Welt, ein richtiges Sonntagskind.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen sonnigen Sonntag und unbeschwerte Sommertage.
Gerhard Betz
Leiter der Psychologische Familien- und Lebensberatung der Caritas, Geislingen