Der Göppinger Kräutergeist „Borato“

Datum/Zeit
Date(s) - 04/06/2018
19:30 - 21:00

Veranstaltungsort
Göppingen - Museum "Storchen"

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Hans Mayer hat die Geschichte des Markenprodukts und das damit verbundene Schicksal der jüdischen Familie Bernheimer erforscht. Am Montag, 4. Juni, wird er um 19:30 Uhr im Museum im Storchen die Ergebnisse seiner Recherchen vorstellen.

Die Älteren im Filstal haben ihn vermutlich gern getrunken – den Kräuterschnaps „Borato“ und den Kräuterlikör „Boratiner“. Deren Produktionsstätte befand sich zuletzt in Heiningen, wo die „Barbarossa-Destillerie“ bis 1984 existierte. Auf dem Etikett der markanten, bauchigen Flasche stand als Qualitätssiegel „Stammhaus seit 1857“. In diesem Jahr war von Jakob Bernheimer in Jebenhausen ein „Branntwein- und Zigarrenhandel en gros und en dètail“ eröffnet worden. 1864 übersiedelte Bernheimer nach Göppingen. Hier hatte er das Anwesen Geislinger Straße 3 erworben, eine ehemalige Gaststätte. Die Geschichte der Familie Bernheimer und des „Borato“ hat Dipl.-Soziologe Hans Mayer, geboren in Göppingen und wohnhaft in Berlin, in den letzten Jahren gründlich erforscht. Er wird am Montag, 4. Juni im Museum im Storchen die Ergebnisse seiner Recherchen vorstellen, die ausführlich in eine Broschüre eingeflossen sind, die am Ende der Veranstaltung vorgestellt wird.

Hans Mayer zeigt auf, wie die Familie Bernheimer unter den Zeichen der Emanzipation und rechtlichen Gleichstellung der Juden in Württemberg bis zum Ersten Weltkrieg ihre Handelstätigkeit mit Branntwein und Zigaretten ausbauen konnte. Nach dem Tod des Firmengründers im Jahr 1904 forcierte der Sohn Eugen, ein gelernter Brennmeister, den Aufbau einer eigenen Branntweinbrennerei und Likörherstellung. Zu ihrem Markenprodukt wurde der „Borato“, ein mit Kräutern, Wurzeln und Fruchtessenzen verfeinerter Magenschnaps. Er wurde mit dem Werbespruch angepriesen „Wer diesen Tropfen nur probiert, / dem ist sein Magen schon kuriert, / drum lasset alle Doktorei / und trinket nur von der Arznei.“

Hans Mayer schildert in seiner Abhandlung über die Firma Bernheimer deren wirtschaftliche Schwierigkeiten in den Jahren des Ersten Weltkriegs und der Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1933. Eine ernsthafte Bedrohung für das Unternehmen und die Familie kam unter dem Nationalsozialismus. Bereits am 1. April 1933, dem Tag des „Judenboykotts“, postierten sich SA-Leute vor Bernheimers Laden in der Marktstraße 4 und verhinderten sein Betreten. Nach der Pogromnacht wurde am 10. November 1938 das Wohnhaus Geislinger Straße 4 mit den Gewerberäumen im Erdgeschoss belagert, mit Steinwürfen demoliert und auch beschossen. Eugen Bernheimer wurde verhaftet und mit den anderen jüdischen Männern von Göppingen ins KZ Dachau gebracht, wo er 20 Tage inhaftiert blieb. Damals legte die NS-Politik ihren Schwerpunkt auf die „Arisierung“ jüdischer Geschäfte. Auch Eugen Bernheimer war von dieser wirtschaftlichen Zwangsenteignung betroffen und musste seinen Besitzstand unter Wert verkaufen. Immerhin konnte die Familie im Mai 1939 in die USA emigrieren und damit ihr Leben retten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Unternehmen unter amerikanische Vermögenskontrolle gestellt. 1946 setzte Eugene Bernheim, wie er sich jetzt nannte, das sogenannte Wiedergutmachungsverfahren in Gang. Dieses zog sich bis zum endgültigen Abschluss bis 1962 hin. Das zunächst rückerstattete Anwesen Geislinger Straße 3 verkaufte Eugene Bernheim 1952 an die Stadt Göppingen, die es für den Straßenausbau abreißen ließ. Die Borato-Destillerie ließ sich nicht veräußern. Die Göppinger Brennerei Hermann Schaile, die ab 1954 den Namen „Barbarossa-Destillerie“ führte, hatte aber Interesse an der bekannten Marke „Borato“. Hermann Schaile erwarb 1952 daran die Rechte und die Rezeptur. Fortan stand der „Borato“ wieder im Ladenregal.

Die Veranstaltung im Storchen beginnt um 19:30 Uhr. Der Eintritt kostet fünf Euro, ermäßigt vier Euro. Die Broschüre, 52 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, ist im Museum im Storchen sowie im Stadtarchiv zum Preis von 3,50 Euro erhältlich.

Foto: Eugen Bernheimer (1878-1970) mit seiner Frau Selma (1893-1981). Er begründete die Marke „Borato“. Foto: Privatbesitz

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