Nicht nur in der Göppinger Notfallrettung von 1991 bis 2015 als Rettungsfachkraft, sondern auch auf zwei Rädern auf der Autobahn. Ich habe Tagebuch geführt und dokumentiert, dass Hilfe fast immer in zehn Minuten möglich wäre.
In Baden Württemberg werden die Hilfsfristen der Rettungsdienste durch das Landesrettungsdienstgesetz geregelt. Die Frist von 15 Minuten ist im Vergleich zu anderen Bundesländern schon eher großzügig gehalten. Doch auch bei häufig fehlenden Rettungsgassen auf den Autobahnen, sind diese Vorgaben kaum einzuhalten. Die Retter stehen oftmals hilflos im Stau, und sind zur Untätigkeit gezwungen. Doch Zwischenzeitlich kommen die „Retter auf zwei Rädern“ zunehmend zum Einsatz. In Zeiten, wo die Verkehrsdichte höher wird, setzen Hilfsorganisationen verstärkt aufs Motorrad. Eine sinnvolle Ergänzung zu den üblichen Rettungsmitteln, denn so schnell und wendig wie kein anderes Fahrzeug, kann ein Motorrad die Rettungsfachkräfte zu den Einsatzorten bringen.
Bei einem Herzstillstand kann jede Sekunde zählen. Bei einem Schlaganfall oder Herzinfarkt kommt es auf die Minuten an. Zusammen mit den traumatischen Notfällen, handelt es sich bei diesen Ereignissen um One – Hour – Diseases.
Im Geschäftsleben bedeutet der Faktor Zeit Geld. In der Notfallmedizin Leben. Leben, Tod oder lebenslange Behinderung, wenige Minuten können den Unterschied ausmachen
Erste qualifizierte Hilfe vor Ort kann das therapiefreie Intervall entscheidend verkürzen. Es gibt sehr gute Erfahrungswerte es mit den Rettern auf zwei Rädern.
First Responder, ein in der Notfallmedizin gängiger Begriff. Die neuzeitliche Beschreibung für das Personal zur Erstversorgung von Notfallpatienten beschreibt aber keine neue Aufgabe. Schon von 1988 bis 19991 war ich in Baden Württemberg in einer Rettungsdienst-Motorradstaffel vom Malteser Hilfsdienst auf der A7 tätig. Die schnelle, qualifizierte Hilfe bei medizinischen Notfällen war meine Aufgabe. Lange Anfahrtswege aus den Städten, sowie das Risiko unpräziser Notfallmeldungen, und der daraus resultierenden Verzögerung der Entsendung geeigneter Rettungsmittel, begründeten den Einsatz von Motorrädern als Vorausfahrzeuge. Diese waren immer im Einsatzgebiet auf „Streife“. Neben der schnellen Hilfe auf der Autobahn, stand auch die Erstversorgung von Notfallpatienten in den Dörfern linkes und rechts neben der Autobahn auf dem Plan.
Mit einer kleinen Einsatzdokumentation, werde ich einen damals schon erfolgreichen Einsatz- und Tagesablauf beschreiben:
Es ist Samstag 8.00 Uhr und der Dienst beginnt mit der üblichen Fahrzeug- und Ausstattungsüberprüfung. Das Funkgerät ist auf den richtigen Kanal gestellt. Der Tank ist voll. Eine Sonderregelung sorgt dafür, dass wir auf dem Kanal der Autobahnpolizei die Einsatzgespräche führen, bzw. von der Polizei direkt zum Einsatzort beordert werden. Dann die Blicke in die Notfallkoffer die ähnlich wie die in den RTW bestückt sind, und schon kann es losgehen. Meine Dienstzeit geht heute von 8.00 – 14.00 Uhr. Das Verkehrsaufkommen ist hoch aber noch kein Stau. Mein aktueller Standort ist die A7 bei Westhausen in Fahrtrichtung zur A8 München. Bei Heidenheim befindet sich die Autobahnmeisterrei. Hier unterbreche ich die Fahrt, und bei einer Tasse Kaffee mit dem Diensthabenden wird die aktuelle Situation erörtert. Danach geht’s wieder auf die Strecke. Zwischen Aalen und Heidenheim bekomme ich den ersten Alarm: „Verkehrsunfall bei den Ellwanger Bergen“. Nach kurzer Fahrzeit erreiche ich den Einsatzort. Polizei und ADAC waren zufällig in der Nähe und sichern die Unfallstelle. Mehrere Fahrzeuge sind aufgefahren. Obwohl sich alle Beteiligten in einem scheinbar unverletzten Zustand befinden, lasse ich mich nicht beirren, und tätige die erforderliche Ersteinschätzung. Es muss erwähnt werden, dass in einer solchen Situation die psychischen und physischen Reserven gefordert sind. Man ist auf sich alleine gestellt, ohne die Möglichkeit zu haben, einen Hilfe suchenden Blick auf Kollegen oder den Notarzt werfen zu können. Die Vorgehensweise hat sich wieder bewährt. Eine PKW – Fahrerin mit Thoraxtrauma wurde nach Erstversorgung an die zwischenzeitlich eintreffende RTW – Besatzung übergeben.
Dramatische Augenblicke
Die Situation an der Einsatzstelle verschärft sich dramatisch. Da die Autobahn an der Unfallstelle nur einspurig befahrbar ist, ergeben sich gefährliche Szenen. Ein Kradfahrer der die Unfallstelle mit mäßiger Geschwindigkeit passiert, wird von einem Raser „abgeschossen“ und samt seiner Maschine durch die Luft geschleudert und kommt zu Fall. Der Fahrer steht selbst wieder auf und begibt sich in Sicherheit. Eine sorgfältige Untersuchung lässt außer diverser Prellungen und Hautabschürfungen zunächst keine ernsthaften Verletzungsmuster erkennen. Dennoch erfolgen die Erstversorgung (venöse Zugänge, Infusionen, Halskrause!) und der anschließende Transport mit dem zwischenzeitlich eingetroffenen RTW in die Klinik.
Der Einsatz ist beendet. Ich befinde mich bereits wieder in Fahrtrichtung Heidenheim/München, als mich ein neuer Alarm erreicht.
Psychische erste Hilfe
„Verkehrsunfall bei der Anschlussstelle Heidenheim“ Bereits nach wenigen Minuten habe ich die Einsatzstelle erreicht. Mit dem Krad hatte ich trotz erheblichem Rückstau keine Schwierigkeiten die Einsatzstelle anzufahren. Mehrere Fahrzeuge sind kollidiert, aber glücklicherweise ist niemand verletzt. Eine PKW-Fahrerin wird wegen psychischer Überlastung zur kurzzeitigen Betreuung an einen Mitarbeiter des THW übergeben.
Die Fahrt geht nun wieder in die andere Richtung. Ziel sind die Ellwanger Berge. In der dortigen Raststätte ist eine kurze Pause vorgesehen. Aber bereits nach wenigen Minuten Fahrzeit erfolgt die nächste Alarmierung. Gemeldet wird ein internistischer Notfall am Badesee Rainau. Auch RTW und NEF befinden sich auf der Anfahrt. Nach zehn Minuten Fahrzeit treffe ich als erster ein. Schnell wird klar, dass es sich um ein weniger dramatisches Geschehen handelt. „Kreislaufdysregulation“ so meine Verdachtsdiagnose und Rückmeldung an die Leitstelle.
Nach diesem Einsatz naht auch schon das Dienstende, und ich bin sehr froh darüber, dass ich keine Schwerverletzte oder akut erkrankte Patienten versorgen musste.
Abschließend kann man sagen, dass die Motorradstaffel von allen Behörden, Organisationen, und vor allem von den Patienten gut angenommen wurde. Das Eintreffen schneller Hilfe, wurde offensichtlich zum Vorteil großer Zielgruppen erheblich verbessert. Qualifizierte, medizinische Erstversorgung für Autobahnnutzer und die Bewohner der der Autobahn nahe liegenden Dörfern, in einem Zeitrahmen von zehn Minuten.
Alfred Brandner