Offener Brief an den Oberbürgermeister der Stadt Tübingen, Boris Palmer
Sehr geehrter Herr Palmer,
die Mitglieder der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer GDL befinden sich seit August 2022 in einem Tarifkonflikt mit ihrem Arbeitgeber, der landeseigenen und durch Steuergelder finanzierten SWEG Südwestdeutschen Landesverkehrs GmbH (SWEG) und der SWEG Bahn Stuttgart GmbH (SBS). Dieser Arbeitgeber lehnt es vehement ab, die guten, am Markt üblichen und fest verankerten tariflichen Regelungen der GDL zu akzeptieren und zu etablieren. Arbeiten im 10-Tage-Rhythmus, 32-Stunden-Ruhen und immer wieder kurzfristige Änderungen im Dienstplan mit Einschnitten in die Freizeit der Kolleginnen und Kollegen sollen in den Augen der Verantwortlichen weiterhin Bestand haben. Unsere Mitglieder fordern zu Recht Arbeitszeitregelungen deutlich zu ihren Gunsten. Zum einen sollen Familie und Beruf in Einklang gebracht werden, zum anderen ist es nur so möglich, neue Kolleginnen und Kollegen für eine Arbeit bei der SWEG zu gewinnen. Andere Eisenbahnverkehrsunternehmen machen es erfolgreich vor. Aber hier in Baden-Württemberg möchte sich ein landeseigenes Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, um bei Ausschreibungen von Nahverkehrsleistungen im eigenen Ländle auf Kosten seiner Mitarbeiter punkten zu können. Allein aus diesem Grund greifen unsere Mitglieder zum Ultima Ratio und gehen in den Arbeitskampf.
Auch wenn Ihre Mitgliedschaft in der Partei „Die Grünen“ momentan ruht, sollten Ihnen dennoch demokratische Prozesse innerhalb einer Organisation mehr als geläufig sein. Unsere Kolleginnen und Kollegen in Ihrem Facebook-Post vom 27.12.2022 als „Lällebäbbel“ zu bezeichnen, weil sie ihre Grundrechte wahrnehmen, ist wohl eher dumm und töricht von Ihnen dahergeredet. Es zeugt davon, dass Ihnen das oben genannte Verständnis von Demokratie und Basisnähe abhandenkommt, wenn es mal persönlich ungemütlich wird. Das am Tag Ihrer Betroffenheit über einen ausgefallenen Zug von Tübingen nach Reutlingen überhaupt kein Arbeitskampf der GDL stattgefunden hat, ignorieren Sie gekonnt. Sie diffamieren wissentlich unsere Kolleginnen und Kollegen auf eine polemische Art und Weise, um einen persönlichen Vorteil innerhalb der Partei zurück zu erlangen, die Ihnen den Rücken gekehrt hat.
Auch Ihre Anmerkungen zum Thema „Macht“ lassen uns eher schmunzeln als nachdenken. Denn ja, Mitglieder in ausreichender Anzahl in den betroffenen Unternehmen geben der GDL Verhandlungsmacht und Rückhalt. Das nennt der Fachmann „Tarifmächtigkeit“. Dass die SWEG die GDL nicht in ihrem Unternehmen möchte, hat sie bereits der breiten Öffentlichkeit mitgeteilt. Dabei scheint man aber nicht mitbekommen zu haben, dass die GDL schon längst da ist, nämlich in Form ihrer starken und entschlossenen Mitglieder! Außerhalb von Arbeitskämpfen sorgen die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner an 365 Tagen im Jahr, 7 Tage die Woche und 24 Stunden am Tag für einen sicheren, zuverlässigen und pünktlichen Eisenbahnverkehr in Deutschland. Damit leisten sie täglich einen großen Beitrag für die notwendige Verkehrswende. Zugegeben, pünktlich und zuverlässig trifft leider nicht immer zu. Eine marode Infrastruktur in der gesamten Republik, flächendeckend defekte Züge die kostengünstig produziert werden müssen und deshalb den Anforderungen nicht gewachsen sind, tragen einen großen Beitrag zu dieser beängstigenden Lage. Doch diese Wirkung liegt an der Ursache der getroffenen politischen Entscheidungen, welche ausschließlich Ihr Berufsstand zu verantworten hat.
Eine objektive und parteiunabhängige Betrachtung des Tarifkonflikts sollte einem Oberbürgermeister würdig und möglich sein. Wir bitten Sie, dies zu bedenken und bei Ihren nächsten Veröffentlichungen zu beachten.
Mit freundlichen Grüßen
Lutz Dächert Jens-Peter Lück Danny Grosshans
Bezirksvorsitzender Stellv. Bezirksvorsitzender Stellv. Bezirksvorsitzender
Zur Information: Facebook Palmer