Unternehmen und Arbeitnehmer trifft es hart – Lehner appelliert an Politik
Die Überraschung haben die Prüfer der Deutschen Rentenversicherung im Gepäck. Arbeitgeber sollen jetzt
Sozialversicherungsbeiträge für fiktiv angenommene Arbeitszeiten ihrer Aushilfskräfte nachbezahlen. Das trifft vor allem kleine Dienstleistungsunternehmen, die mit den Nachforderungen mit dem Rücken an der Wand stehen. Lothar Lehner vom Bundesverband Mittelständische Wirtschaft (BVMW) im Kreis Göppingen appelliert an die
Bundestagsabgeordneten, nach einer Lösung zu suchen.
Es geht um eine Regelung, die schon lange Gesetz ist, doch die bislang die Sozialversicherungsprüfer der Deutschen Rentenversicherung bei ihren im Drei-Jahres-Turnus stattfindenden Regelprüfungen bei Unternehmen nicht angewandt haben. Anders jetzt, wie Lothar Lehner (Geislingen) von Betroffenen weiß. Die Prüfer lassen sich die
Arbeitsverträge von Aushilfskräften vorlegen. Ist da keine genaue Stundenzahl an zu leistender Arbeit angegeben, gehen die Prüfer pauschal von 20 Arbeitsstunden in der Woche aus und fordern entsprechende Nachzahlungen.
Bei manchen Kleinunternehmen, vor allem im Dienstleistungsbereich wie in Gastronomie oder Handel, geht das schnell in die Tausende. Zumal nicht nur der Arbeitgeberanteil an den Sozialversicherungsbeiträgen – 20 Prozent – berappt werden darf, sondern auch noch der gleich hohe Arbeitnehmer-Anteil. Und das unter Umständen für Arbeitsstunden, die gar nicht geleistet wurden. Bei den angenommenen 20 Wochenstunden seien das im Monat (im Schnitt 4,3 Wochen) 86 Arbeitsstunden. Setze man den Stundenlohn bei nur zehn Euro an, zahle der Arbeitgeber seinen Anteil von zwei Euro die Stunde, sowie den Arbeitnehmeranteil von ebenfalls zwei Euro. Im Monat seien dies schon 344 Euro, im Jahr 4128 Euro und für die Prüfzeit von drei Jahren dann 12384 Euro.
„Juristisch ist das Vorgehen der Prüfer korrekt“, bestätigt Steuerberater Michael Jakele von Triumcon (Salach) und bescheinigt dem Gesetzgeber, im guten Glauben auch etwas Positives für die Arbeitnehmer getan zu haben. Doch praktikabel sei diese in Gesetz gegossene Regelung keinesfalls. Denn für jene Arbeitgeber, die sich korrekt verhalten wollen, bedeute sie einen zusätzlich hohen Aufwand an Bürokratie. Aushilfskräfte müssten nämlich streng genommen vor und nach der geleisteten Stundenzahl bei der Sozialversicherung permanent an- und abgemeldet werden, um die Pauschalierungen zu vermeiden. Und streng genommen müssen Aushilfskräfte spätestens vier Tage vor ihrem Arbeitseinsatz Bescheid vom Arbeitgeber bekommen.
Die Politik sei da gefordert, eine praxisnahe Regelung zu treffen, so Jakele. Dass an den Paragraphen bislang niemand Anstoß genommen hat lag laut Jakele daran, dass die Prüfer nicht in die Verträge hingeschaut hätten. Weshalb sich die Prüfer der Rentenversicherung nun plötzlich die Arbeitsverträge der Aushilfskräfte vorlegen lassen, kann der Steuerberater, der auch an baden-württembergischen Hochschulen lehrt, nur spekulieren. „Die bei der Pauschalierung anzunehmende Stundenzahl wurde auf 20 heraufgesetzt. Bis Ende 2018 waren es zehn Stunden. Vielleicht war es aber auch das Thema einer Schulung gewesen oder es gab eine Anweisung von der Hauptverwaltung“, so der auch als Rentenberater tätige Experte, der die Arbeit der Betriebsprüfer kennt und daher weiß, dass diese nichts prüfen, was ihnen nicht aufgetragen wurde.
Für Lothar Lehner macht die angewandte Regelung überhaupt keinen Sinn. „Welcher Unternehmer weiß schon bei Abschluss eines Arbeitsvertrages mit einer Aushilfskraft, wann, wie oft und wie lange sie gebraucht wird?“ Da sei es nachvollziehbar, dass die meisten Chefs die konkrete Stundenzahl nicht in den Vertrag geschrieben haben. Regelmäßig nutzten Menschen solche Arbeitsverhältnisse, um einen Hinzuverdienst zu generieren – zusätzlich zum normalen Einkommen, so Lehner. „Stattdessen mutiert der Minijob bei pauschal angenommenen 20 Wochenstunden zu einem Teilzeit-Arbeitsverhältnis und steht unter Umständen sogar der Hauptbeschäftigung des Betroffenen entgegen“, kritisiert der BVMW-Kreisvorsitzende. Und nicht nur das, wie Michael Jakele ergänzt. Eine solche Regelung führe auch bei jenen, die andere Einkommensquellen hätten, wie beispielsweise Rentenbezüge, Arbeitslosengeld oder Bafög, zu einem bösen Erwachen, wenn ihr Zuverdienst durch die 20-Stunden-Regelung plötzlich höher liege als erlaubt.
„Da müssen bei denen, die Minijobber beschäftigen, die Alarmglocken schrillen“, so Lehner und weiß, dass noch nicht alle Steuerberater und Lohnabrechnungsstellen im Landkreis den neuen Prüfungsmethoden Kenntnis erhalten haben. „Das heißt, die Unternehmen laufen unter Umständen ins sprichwörtlich offene Messer der aktuellen Politik.“ Lehner appelliert daher an die Bundestagsabgeordneten im Landkreis, sich des Themas anzunehmen und in Berlin schnell nach einer Lösung zu suchen, bevor die ersten Kleinunternehmen aufgeben müssen.
PM Der Mittelstand. BVMW – Bundesverband mittelständische Wirtschaft, Unternehmerverband Deutschlands e.V.