Ich beobachte das Treiben auf dem Marktplatz. Neben mir sitzen zwei Jungs mit Skateboard, die sich auf rumänisch unterhalten. Am Brunnen gönnen sich vier Mädels schon am Nachmittag drei Flaschen Sekt. Und im Mülleimer stochert ein älterer Herr nach Pfandgut. Ich studiere die Gesichter und lausche den Gesprächen. Unweigerlich scanne ich mein Umfeld und bewerte, was ich wahrnehme. Was zieht mich an, was stößt mich ab? Wer ist mir sympathisch und wer eher nicht? Unterschiede, andere Sichtweisen, können faszinieren und anziehen. Das Fremde und Andersartige kann aber auch irritieren, sogar Angst machen.
In manchen Städten und Gemeinden diskutieren die Bürgerinnen und Bürger über die Frage, ob und wo ein Flüchtlingsheim gebaut werden soll. Draußen am Rande oder direkt im Zentrum? Manche Menschen in unseren Kirchengemeinden wünschen sich mehr Gottesdienste, in denen Lieder von einer Band begleitet werden. Anderen ist das fremd und sie bestehen auf Liedbegleitung durch die Orgel. Eine für alle Seiten befriedigende Lösung gibt es leider selten.
Der Apostel Paulus sagt: „Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.“ An Pfingsten feiern Christen den Geburtstag der Kirche. Ein guter Zeitpunkt, um sich zu erinnern, dass viele unterschiedliche Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen beteiligt waren, als die Kirche geboren wurde. Kirche ist eine Gemeinschaft ganz unterschiedlichen Menschen. Das Miteinander trotz verschiedener Sprachen und äußerer Unterschiede ist bis heute ein Geschenk von Gottes Geist. Paulus erinnert die Gemeinde an ihre Anfänge und empfiehlt: Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.
Leichter gesagt als getan. Einerseits werden Akzeptanz und Toleranz in unserer Gesellschaft groß geschrieben. Andererseits spricht unsere Haltung manchmal eine andere Sprache. Selbstverständlich bin ich tolerant – solange es mich nicht einschränkt. Natürlich akzeptiere ich jeden – wenn er mir nicht zu nahe kommt. Das Andersartige macht manchmal Angst. Es ist mir fremd. Ich kann die Chancen und Risiken nicht abschätzen. Und gleichzeitig spüre ich: das ist nicht recht. Denn so möchte ich auch nicht behandelt werden. Und so hat auch Christus nie gehandelt. Jesus kennt kein Berührungsängste, geht auf jeden zu, nimmt jeden an. Ohne Vorbehalte. Ohne Bedingungen. Seine Liebe kennt keine Grenzen. Diese Mission von Gott bringt Menschen aus unterschiedlichen Sprachen und Kulturen zusammen.
Deshalb versuche ich es so: Ich nehme meine Angst ernst und gebe gleichzeitig meiner Neugierde Raum. Ich frage: Wovor fürchten Sie sich, wenn Flüchtlinge in Ihre Stadt ziehen? Warum befremden Lieder, die im Gottesdienst von einer Band begleitet werden? Ich stelle Fragen und versuche, das mir Fremde mit den Augen Gottes zu entdecken. Das ändert meine Perspektive und schenkt mir die Kraft, den Anderen anzunehmen, obwohl sie mir fremd ist oder wir unterschiedlicher Meinung sind. Ein frohes Pfingstfest wünscht Ihnen Ihr Pfarrer
Johannes Stahl, Göppingen.