NABU-Projekt „KiebitzLand“ bringt seltene Wiesenvögel zurück: Erste Brut in Ammerbuch seit 30 Jahren – Feuchtflächen brauchen dringend Schutz

Noch sind sie im Winterquartier – doch wenn die Kiebitze im Februar zurückkehren, fliegen sie vielleicht auch nach Ammerbuch im Landkreis Tübingen. Dort brütete der bedrohte Wiesenvogel in diesem Sommer erstmals seit 30 Jahren. „Diese Rückkehr freut uns, denn sie ist das Ergebnis eines wiederhergestellten Lebensraums. Naturnahe Feuchtflächen sind wichtige Werkzeuge gegen Artenverlust und Klimakrise“, sagt der NABU-Landesvorsitzende Johannes Enssle.

Parallel zu Flächenfraß und intensiver Landwirtschaft kannten die Bestände von Rebhuhn oder Kiebitz jahrzehntelang nur eine Richtung: abwärts. „Um diesen Trend zu durchbrechen, fördern wir das landesweite Projekt ‚KiebitzLand – Hier wächst die Artenvielfalt‘ im Rahmen der Artenschutzoffensive des Landes Baden-Württemberg. Der erste Erfolg in Ammerbuch zeigt: Durch eine enge Zusammenarbeit von Naturschutz, Landwirtschaft und Landschaftserhaltungsverbänden können wir es schaffen, dass sich der selten gewordene Bodenbrüter in unseren Gefilden wieder wohl fühlt. Das ist ein positives Signal schon wenige Monate nach Projektstart, das klar macht, wie lohnenswert es ist, in dieses Vorhaben zu investieren“, freut sich Umweltministerin Thekla Walker.

Am Naturdenkmal „Hinterer See“ hat das Projektteam Gehölze entfernt und flache Tümpel ausgebaggert. Ein Landwirt beweidet diese Teilfläche mit Rindern, um das Wiederaufkommen der Gehölze zu vermeiden. „Die Kiebitze sollen in sogenannten ‚Kerngebieten‘ optimale Bedingungen zum Brüten finden. Wenn sich die Vögel dort etablieren, unterstützen wir sie mit ähnlich aufgebauten ‚Kiebitz-Inseln‘ dabei, sich in der Landschaft auszubreiten“, erklärt NABU-Projektleiter Dr. Lars Stoltze das Konzept. Was Kiebitze magisch anzieht, sind feuchte, offene Flächen mit flachem Bewuchs. Hohe Hecken meiden sie. „Gehölze zu entfernen, schafft Lebensraum für den Kiebitz“, betont Lars Stoltze.

Biber als Helfer in der Not für junge Kiebitze

Wasser ist in Zeiten des Klimawandels und auf drainierten Äckern oft Mangelware. So musste ein weiteres Kiebitz-Kerngebiet in Sauldorf (Landkreis Sigmaringen) im Sommer teilweise bewässert werden. Die 6,5 Hektar große Fläche wurde ebenfalls gut angenommen: Mindestens zehn Paaren gelang eine erfolgreiche Brut. Mindestens elf flügge Jungvögel brauchten dann jedoch tierische Unterstützung, um zu überleben: Ein Biber baute im Seewaldbach mehrere Dämme und flutete Teile des angrenzenden Projektgebiets, wodurch die Kiebitz-Küken leichter Nahrung finden konnten. Das dritte Kiebitz-Kerngebiet in Dunningen (Landkreis Rottweil) verzeichnete in der Brutsaison 2025 noch keinen Bruterfolg. Ein sich länger aufhaltendes Kiebitzmännchen und ein Weibchen hatten sich dort knapp verpasst.

NABU-Projektleiter Lars Stoltze zieht insgesamt ein positives Fazit der ersten Brutsaison im Projekt „KiebitzLand“: „Wir haben in drei Kerngebieten und drei Kiebitz-Inseln insgesamt 25 Hektar Fläche feldvogelgerecht gestaltet. Elf Brutpaare mit 14 flüggen Jungvögeln in diesen Gebieten sind ein guter Start“. Dazu trägt die vielerorts sehr gute und enge Zusammenarbeit der Projektbeteiligten bei. „Wir brauchen diesen Dreiklang aus Landwirtschaft, Naturschutz und Verwaltung, denn gemeinsam entsteht partnerschaftlicher Feldvogelschutz auf Augenhöhe. Eine attraktive Förderkulisse erleichtert es den Landwirtinnen und Landwirten, Artenschutz als Betriebszweig zu etablieren. Daher ist in der neuen Förderperiode der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) ab 2028 unabdingbar, dass die EU einen langfristig wirksamen Agrarnaturschutz finanziert“, erklärt der Projektleiter.

Hoffnung für ein „KiebitzLand“ Baden-Württemberg gibt auch der riesige Rückhalt, den die Natur bei den Menschen in Baden-Württemberg genießt. Das zeigte Ende September eine repräsentative Umfrage des Instituts Civey im Auftrag des NABU. Fast 84 Prozent der mehr als 5.000 Befragten unterstützen das EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur und wünschen sich einen stärkeren politischen Umsetzungswillen. Das Vorhaben verpflichtet die EU-Mitgliedsstaaten dazu, zerstörte Ökosysteme wieder zu gesunden Lebensräumen zu entwickeln. Für das Gesetz erstellt Deutschland aktuell einen nationalen Maßnahmenplan. „Dieser muss die Stärken von wiedervernässten Acker- und Grünlandflächen hervorheben”, betont NABU-Projektleiter Lars Stoltze. „Ebenso wie Auen und Moore wirken diese Feuchtflächen wie Schwämme: Sie nehmen Wasser bei Starkregen auf, speichern es und geben es langsam wieder ab. So schützen sie Dörfer und Städte vor Hochwasser und mindern Trockenheit. Gleichzeitig kühlen sie ihre Umgebung und schaffen Lebensräume für unzählige gefährdete Arten – nicht nur für den Kiebitz. Wer diese Ökosysteme wiederherstellt, investiert in Klimaschutz und Biodiversität zugleich.“

Über das Projekt „KiebitzLand – Hier wächst die Artenvielfalt“

  • „Kie-witt, kie-witt!“ Der Ruf des Kiebitzes ist selten geworden. In Baden-Württemberg ist der Kiebitz-Bestand seit 1992 um etwa 92 Prozent eingebrochen.
  • Das Projekt „KiebitzLand“ bringt den Wiesenbrüter zurück: In den ersten drei Kerngebieten in Ammerbuch (Landkreis Tübingen), Dunningen (Landkreis Rottweil) und Sauldorf (Landkreis Sigmaringen) wurden bereits optimale Lebensräume geschaffen.
  • Das Vorhaben wird gefördert durch das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg im Rahmen der Artenschutzoffensive des Landes.
  • Vogel des Jahres 2024: Der Kiebitz im Porträt – NABU BW
  • www.NABU-BW.de/kiebitzland

 

Informationen zur Wiederherstellungsverordnung der EU: Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur – NABU

Fotos: Jürgen Podgorski/NABU-naturgucker.de und NABU/Lars Stoltze

PM NABU Baden-Württemberg

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