Das gefiederte Glück am Oberrhein hat 2025 einen schmerzhaften Dämpfer erlitten. Auf dem Horst im Rastatter Wald muss sich ein Kampf abgespielt haben, wie jetzt die Speicherkarte der am Nestrand installierten Wildkamera offenbart hat. „Ende April um halb acht abends war die Fischadler-Welt von Chronos und Kepler noch in Ordnung. Zu sehen sind vier Eier im Nest. Doch mitten in der Nacht ändert sich alles. Das letzte Bild zeigt eine aufgebrachte Vogelmutter über ihren Eiern in Abwehrhaltung.
Das erkennt man an ihrem weit aufgestellten Gefieder, dem drohend zum Horstrand gerichteten Schnabel. Vermutlich war das der Moment, in dem ein Baummarder den Baum hoch geklettert kam. Der Eierdieb muss den Horst erklommen, den Vogel vertrieben und die Eier angefressen haben“, vermutet NABU-Fischadlerexperte Daniel Schmidt-Rothmund. Danach blieb das Paar noch einige Zeit auf dem Nest – aber das Elternglück blieb aus, die Eier waren dahin. Dass Nester geplündert werden, ist Teil der Natur – wirft das Projekt zur Wiederansiedlung des Fischadlers im Land aber um ein ganzes Jahr zurück. Spätere Bilder zeigen ein verlassenes Ei am Nestrand, das sicherlich verteidigt, aber später beschädigt zurückgelassen wurde und verloren ging.
Detektivarbeit im Fischadler-Wald: Wer hat sich die vier Eier geholt?
Hoch oben im Horst kann vieles passieren. Die Eier können unbefruchtet bleiben, ein heftiger Sturm kann ein ganzes Nest vom Baum oder die Jungvögel hinauswehen, oder ein Nesträuber – Baummarder, Waschbär oder Uhu – kann Eier oder Küken holen. „Wir werden wohl nie erfahren, was genau passiert ist, denn im entscheidenden Augenblick hat die Kamera leider kein Foto geschossen. Weil der Baummarder in der Vergangenheit auf den Horsten nach Futter gesucht hat, ist er der wahrscheinlichste Kandidat. Er ist ein sehr schneller und guter Kletterer. In 30 Metern Höhe ein Nest zu räubern, passt zu diesem flinken Waldbewohner“, so Ornithologe Schmidt-Rothmund.
Der Leiter des NABU-Vogelschutzzentrums Mössingen, der seit Jahren die Wiederansiedlung des Fischadlers in Baden-Württemberg vorantreibt, war Ende Juli mit einem kleinen Team um Baumkletterer Georg Bürk zum Horstbaum mit installiertem Nistplatz gefahren. Der Auftrag: Hochklettern, Kamera mit Speicherkarte einsammeln und im Horst nach Eiern und Schalenresten suchen. Im Horst fand sich keine Spur des nächtlichen Raubes mehr. Die Speicherkarte hat erst jetzt, nach intensivem Forschen, ihr Geheimnis preisgegeben und einige Bilder ausgespielt. Zu sehen: Ein einzelnes Ei am Horstrand, das später nicht mehr da ist. Chronos und Kepler, die Mitte Juni zum Nest zurückkehren und es nach dem Angriff ausbessern. Kurz drauf taucht das verjagte Fischadlerpaar an zwei anderen Horsten auf, zuerst in sieben Kilometern Entfernung, dann sogar 20 Kilometer weiter im Elsass. Wo wird es 2026 brüten?
Lichtblicke für nächste Brutsaison
Trotz der traurigen Nachricht aus Rastatt gibt es gute Aussichten für 2026: Das Fischadlerpaar hat im Juli ganz in der Nähe seines Horstes gemeinsam eine zweite Nisthilfe in Baden-Württemberg mehrfach und über viele Stunden inspiziert, wie die dortige Nistkamera belegt. „Vielleicht sehen sie sich nach einem neuen Familienheim um? Das ist für Baden-Württemberg auf jeden Fall eine gute Nachricht“, sagt Schmidt-Rothmund. Und eine zweite tröstet ihn über den aktuellen Rückschlag hinweg: Im bayrischen Schwaben, unweit der Landesgrenze zu Baden-Württemberg, hat Schmidt-Rothmund dieses Jahr drei junge Fischadler beringt. „Dramen im Nest gibt es immer wieder. Wichtig ist, dass wir in Baden-Württemberg gemeinsam an der Rückkehr der Fischadler arbeiten, denn mit unserem Engagement können wir ein Stück weit die frühere Ausrottung wiedergutmachen und zeigen, dass echte Erfolge im Naturschutz möglich sind.
Hintergrund:
Adler in Deutschland: Alle vier in Deutschland vorkommenden Adlerarten (See-, Schrei-, Stein- und Fischadler) sind gefährdet. Fischadler sind die einzigen, die in Baden-Württemberg brüten – erstmals 2023 nach 116-jähriger Pause.
Fischadler im Südwesten:
- Zwei Bruterfolge seit 1907: 2023 und 2024 gab es erstmals nachweislich erfolgreiche Fischadler-Bruten in Baden-Württemberg. Das Fischadlerpaar aus Rastatt stammt ursprünglich aus Sachsen-Anhalt. Im ersten Jahr flogen Balbü und Kju aus, im zweiten Fuchur, Artax und Luna.
- Ausrottung: Noch im 19. Jahrhundert war der Fischadler in Baden-Württemberg entlang von Donau, Rhein, Neckar und an Kocher und Jagst beheimatet. Das zeigen Jagdstatistiken aus dem 19. Jahrhundert mit langen Abschusslisten. Auch Eiersammlungen in Museen belegen das. Als vermeintlicher Nahrungskonkurrent des Menschen wurde der Greifvogel erbarmungslos abgeschossen, seine Gelege wurden geplündert und Horstbäume gefällt, bis zur Ausrottung 1907 im Südwesten.
- Rückkehr: Aktuell leben zwei Fischadlerpaare am Oberrhein, auf deutscher und französischer Seite, wenige Kilometer voneinander entfernt. Wo sich der Nachwuchs aus den Vorjahren niederlässt, ob in Frankreich, in der Schweiz oder an ihrem Heimatort am Oberrhein, ist offen. Mögliche Reviere wären an Donau, Rhein oder am Bodensee.
- Besonderheit: Fischadler jagen Fische und stürzen sich dafür zielsicher in Gewässer. Damit ihr Gefieder beim Tauchen nicht durchnässt, pflegen sie es akribisch. Das Fett dafür stammt aus einer vergrößerten Bürzeldrüse am Schwanz.
- NABU-Engagement: Für Daniel Schmidt-Rothmund ist die Wiederansiedlung der Fischadler im Südwesten ein Herzensthema und Lebenswerk, das viel Zeit, Energie, Geduld und nicht zuletzt Geld erfordert. Er hat im Land viele Plattformen auf hohen Bäumen installiert, Nistmaterial hochgeschafft und die Standorte regelmäßig besucht. Das ist möglich dank einem großen Netz aus Ehrenamtlichen, vogelbegeisterten Spenderinnen und Spendern sowie der Bereitschaft von Forst BW, Gemeinden und Privatwaldbesitzenden, ihre Flächen zur Verfügung zu stellen.
- Artenschutz: Seit 30 Jahren installiert der NABU in Baden-Württemberg Nisthilfen für den imposanten Greifvogel in dessen alter Heimat an Rhein, Donau und Bodensee. Im Zuge eines Projekts gemeinsam mit der französischen Partnerorganisation LPO (Liga für Vogelschutz) kamen zehn Nisthilfen beidseits des Rheins zwischen Basel und Karlsruhe hinzu. Ermöglicht wurde das Projekt durch die sehr gute Zusammenarbeit mit der LPO Alsace, das grenzüberschreitende Interreg-Projekt des NABU Südbaden und die Kooperation mit dem NABU-Bezirksverband Mittlerer Oberrhein. Finanzielle Unterstützung erhielt der NABU auch von der Artenschutzstiftung Zoo Karlsruhe und der Schweizer Stiftung Pro Pandion.
- Artenschutzprojekt Fischadler: www.NABU-Vogelschutzzentrum.de/projekte-partner/artenschutzprojekt-fischadler
- Mehr über den Fischadler: www.NABU-BW.de/tiere-und-pflanzen/voegel/arten/greifvoegel/21101.html
- Greifvogel-Patenschaft – Im Einsatz für eindrucksvolle Wildvögel: www.NABU-BW.de/Patenschaften
Foto von NABU/Daniel Schmidt-Rothmund
PM NABU Baden-Württemberg