Die Dachverbände von Betrieben und Unternehmen aus Handwerk, Industrie- und Handel, der Bau- und Wohnungswirtschaft von Haus- und Wohnungseigentümer sowie Kommunen haben sich unter der Überschrift „Zukunft braucht Fläche“ zusammengeschlossen. Sie fordern im gemeinsamen Positions- und Faktenpapier von der Landespolitik, die Gesamtheit der Bedarfe zu berücksichtigen. Die Grundlage dieser Diskussion muss dabei die Zukunftsfähigkeit des Landes sein, insbesondere der Erhalt von Prosperität und Standortqualität Baden-Württembergs.
Aus Sicht von Wirtschaft und Kommunen ist es unerlässlich, auch in Zukunft attraktive Standortbedingungen für Baden-Württemberg zu gewährleisten. Dazu gehört eine Politik, die alle relevanten Aspekte sorgfältig abwägt und das Schaffen von Raum für die Zukunft ermöglicht. Nur so kann die Energiewende gelingen, der dringend benötigte Wohnraum gebaut und Investitionen der Unternehmen am heimischen Standort sichergestellt werden. Einig sind sich die beteiligten Kommunen, Kammern und Verbände: Ohne ausreichend verfügbare Flächen wird dies nicht im erforderlichen Maße möglich sein!
Forderung nach klarer Flächenpolitik
Im gemeinsamen Positions- und Faktenpapier, das heute in Stuttgart im Rahmen einer Landespressekonferenz vorgestellt wurde, haben die elf Verbände konkrete Bedarfe für die kommenden Jahre analysiert und liefern damit eine sachliche Grundlage für den weiteren politischen Prozess. Sie fordern, dass die Politik klare Zielkonflikte benennt und Lösungen aufzeigt. Laut der Analyse werden in den nächsten Jahren erhebliche Flächenbedarfe von mindestens plus 2,4 % der Gesamtfläche Baden-Württembergs (dies entspricht 86.000 ha) in den nächsten beiden Jahrzenten, für die Sicherung des Industriestandorts und der dazugehörigen Arbeitsplätze, den Wohnungsbau, die Umsetzung der Energiewende und den Ausbau einer modernisierten Infrastruktur sowie ein nachhaltiges Umweltmanagement erforderlich sein. Dabei geht es um den Flächenbedarf, der für einen starken Standort Baden-Württemberg zum Erhalt der Daseinsvorsorge (öffentliche Infrastruktur, Energieversorgung, etc.) von Bürgerinnen und Bürgern als auch die Zukunftsfähigkeit von Betrieben und Unternehmen unerlässlich sind. Die Verbände betonen dabei ausdrücklich, dass der sparsame und verantwortungsvolle Umgang mit der Ressource ‚Fläche‘ fraglos hohe Priorität hat. Dies umfasst auch den Schutz der Biodiversität, den Erhalt der Lebensgrundlagen sowie die Berücksichtigung von landwirtschaftlichen Nutzflächen. In diesem Zusammenhang bekennen sich die Akteure klar zur Förderung der Innenentwicklung, um den Flächengebrauch, insbesondere die Versiegelung von Flächen, möglichst gering zu halten.
Gesellschaftsvertrag und Selbstverwaltung als Basis
Die Selbstverwaltung der Kommunen in enger Zusammenarbeit mit der Wirtschaft formen das Rückgrat des baden-württembergischen Gesellschaftsvertrags. Dieser beruht auf den Prinzipien der Daseinsvorsorge und der aktiven Zukunfts-Gestaltung seitens kommunaler und wirtschaftlicher Akteure. Es ist die Erfolgsgrundlage unseres Landes, welche es zu bewahren und fortzuschreiben gilt, damit auch die umfangreiche Transformation in Baden-Württemberg gelingt. Die Verbände wollen mit dieser Erklärung einen auf Grundlage sachlich hergeleiteter Bedarfe entwickelten Beitrag einbringen zur wichtigen Diskussion über das Gelingen einer nachhaltigen, zukunftsorientierten Flächenpolitik im Sinne einer realitätsorientierten Ermöglichungsplanung. Einer Politik, die dem wohlstandswahrenden Wachstum und der zukunftssichernden Entwicklung Baden-Württembergs Rechnung trägt.
Stimmen der Akteure:
Für den BWIHK – Thilo Rentschler, Hauptgeschäftsführer der für Wohnen & Bauen sowie Flächenthemen federführenden IHK Ostwürttemberg: „Zukunft braucht Fläche – für den BWIHK ist es unerlässlich, dass sich dieses Prinzip im künftigen Landesentwicklungsplan widerspiegelt. Angesichts der enormen Herausforderungen, die durch die aktuellen Transformationen in der Südwestwirtschaft entstehen, ist es von entscheidender Bedeutung, dass genügend Raum für die Entwicklung und den Wandel der Wirtschaft bereitgestellt wird. Nur so können Unternehmen die notwendigen Anpassungen vornehmen und ihre Wettbewerbsfähigkeit auch in Zukunft sichern.“
Für den Spitzenverband des baden-württembergischen Handwerks, Handwerk BW, sagt Präsident Rainer Reichhold: „Flächen sind nicht unbegrenzt verfügbar. Das ist auch dem Handwerk sehr bewusst, und unsere Betriebe gehen seit jeher verantwortungsvoll damit um. Das Handwerk muss jedoch auch die Versorgung vor Ort sicherstellen können und deshalb im ganzen Land präsent und gut erreichbar sein. Um die große Aufgabe der Daseinsvorsorge zu stemmen, müssen unsere Betriebe Flächen sowohl im urbanen wie auch ländlichen Raum nutzen können. Das sichert zudem kurze Wege. Mit dem Landesentwicklungsplan müssen daher Perspektiven geschaffen werden, die sich an der Realität orientieren, der Plan darf nicht zu einem Kolbenfresser im Transformationsmotor werden.“
Manuel Geiger, Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Unternehmer Baden-Württemberg (UBW): „Die baden-württembergische Wirtschaft befindet sich in einem fundamentalen Strukturwandel. Dabei ist eine kluge Flächennutzungspolitik, die den Anforderungen einer modernen Industriegesellschaft gerecht wird, von zentraler Bedeutung. Auch die UBW sehen die Notwendigkeit, dass möglichst sparsam mit Flächen umgegangen werden muss. Aber der Flächenschutz darf nicht als absolutes Ziel über alle anderen gestellt werden. Denn ohne ausreichend verfügbare Flächen, die es den Unternehmen ermöglichen, in neue Technologien und klimaschonende Produktionsverfahren zu investieren, steht die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Baden-Württemberg auf dem Spiel.“
Thomas Möller, Hauptgeschäftsführer der Bauwirtschaft Baden-Württemberg e.V., verweist auf die Bertelsmann-Studie, die Baden-Württemberg bis zum Jahr 2040 einen Bevölkerungszuwachs von 4,6 Prozent auf insgesamt 11,61 Millionen Menschen prognostiziert. „Innerstädtische Verdichtung allein kann das Wohnungsproblem nicht lösen“, so Möller. „Die Zukunftsfähigkeit ist zu beachten. Notwendige Investitionen und Maßnahmen zur Schaffung von bezahlbarem (!) Wohnraum und zur Sicherung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit dürfen keinesfalls verzögert werden.“ Die Bauwirtschaft kann laut Möller auch auf kleineren Flächen bauen – doch ohne zusätzliche Flächen gehe es nicht.
„Im Wohnungsbau – insbesondere im bezahlbaren Wohnungsbau – lässt sich ohne Fläche nicht viel bewirken“, betont Peter Bresinski, Präsident des vbw Verband baden-württembergischer Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V. „Ein starker Wirtschaftsstandort wird getragen von den Menschen, die hier arbeiten und wohnen. Um die Bevölkerung mit ausreichend bezahlbarem und generationengerechtem Wohnraum versorgen zu können, reicht die Innenentwicklung in den Kommunen allein nicht aus“, unterstreicht vbw-Präsident Peter Bresinski. „Vielmehr müssen dafür auch neue Flächen in Anspruch genommen werden. Insbesondere wenn es im bezahlbaren Mietwohnungsbau um hohe Geschossflächenzahlen und serielle Bauweise geht.“
Gerald Lipka, Geschäftsführer des BFW Baden-Württemberg, führt aus: „Um den Wohnraumbedarf einer wachsenden Bevölkerung in einem prosperierenden Land wie Baden-Württemberg zu gewährleisten, haben unsere Unternehmen bereits viele innerstädtische Flächen entwickelt. Wir benötigen jedoch künftig weitere Flächen, um den benötigten Wohnraum zu schaffen. Nur ein ausreichendes Angebot an Wohnraum wirkt preisdämpfend und hält Baden-Württemberg auch für Arbeitskräfte attraktiv.“
Für die Arbeitsgemeinschaft Haus & Grund Baden-Württemberg betont Thomas Haller, Vorstand von Haus & Grund Baden: „Eine auf Dauer angelegte Erhaltung und Förderung der Standort- und Lebensqualität in Baden-Württemberg setzt auch die Schaffung zusätzlichen Wohnraums in erheblichem Umfang voraus. Allein durch eine Nachverdichtung wird dies nicht gelingen.“ Die Arbeitsgemeinschaft Haus & Grund Württemberg hält das Ziel einer „Netto-Null“ bei der Flächennutzung in diesem Zusammenhang für kontraproduktiv. Stattdessen bedarf es der Bereitstellung zusätzlicher Flächen für den Wohnungsbau in einem Umfang, der ein bedarfsgerechtes Wohnen für alle Menschen in unserem Land ermöglicht, ohne den Blick auf einen schonenden Umgang mit unseren Ressourcen zu verlieren.“
Bernd Hertweck, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Baden-Württembergischer Bausparkassen, stellt fest: „Die Schaffung von mehr Wohnraum ist eine der größten sozialen und gesellschaftspolitischen Aufgaben unserer Zeit. Die Fertigstellungszahlen im Wohnungsneubau liegen deutlich unter dem tatsächlichen Bedarf und den von der Politik gesetzten Zielen. Einerseits gilt es mit Priorität, Flächen im Bestand durch Nachverdichtungen, Aufstockungen und Umwidmungen zu aktivieren, andererseits auch neue Bauflächen auszuweisen. Zusätzlich muss es gelingen, Bauen wieder billiger damit einfacher zu machen, um ein investitionsfreundlicheres Umfeld zu schaffen. Dazu zählen insbesondere der Abbau von regulatorischen Vorgaben und die Prozessbeschleunigung. Damit können wir die nötigen Wohnungen für Menschen schaffen, die im Land leben und arbeiten. Es braucht dafür einen Schulterschluss von Politik, den Kommunen, der Bauwirtschaft und den Finanzierungsunternehmen, um die Wohnungsbaulücke zu schließen.“
„Damit sich Kommunen entwickeln können und in Zeiten des demographischen Wandels und des Zuzugs attraktiv bleiben, ist neuer, bezahlbarer Wohnraum unverzichtbar“, sagt Dr. Frank Pinsler, Vorsitzender der KoWo – Vereinigung baden-württembergischer kommunaler Wohnungsunternehmen. Die Wohnungsnachfrage übersteigt seit vielen Jahren das Angebot, gerade in den urbanen Ballungsräumen. Es wird nicht gelingen, den Bedarf allein durch die Nutzung von Baulücken und durch Aufstockung zu decken. Notwendig sind auch neue Baugebiete für verdichteten Wohnungsbau im bezahlbaren und geförderten Preissegment, die den aktuellen demographischen und gesellschaftlichen Anforderungen gerecht werden. Die kommunalen Wohnungsunternehmen können ihren Beitrag nur leisten, wenn auch zukünftig ausreichend Bauland zur Verfügung gestellt werden kann.“
Steffen Jäger, Präsident des Gemeindetags Baden-Württemberg, erklärt für die kreisangehörigen Städte und Gemeinden: „Ein sparsamer und verantwortlicher Umgang mit Fläche soll auch künftig die Leitlinie bei der Flächenplanung sein. Doch auch in den kommenden Jahren wird es zusätzliche Flächen brauchen, um die vielfältigen Bedarfe unserer Gesellschaft zu decken. Wohnen, Leben und Wirtschaften, zudem die grundlegende Energiewende; all das lässt sich nicht mit pauschalen Vorgaben wie einer „Netto Null“ oder durch Flächenkontingente verwirklichen. Stattdessen braucht es einen Ermöglichungsrahmen mit kommunalem Spielraum für eine gute und ausgewogene Zukunftsgestaltung.“
Für die Landkreise ergänzt der Präsident des Landkreistags Baden-Württemberg, Landrat Joachim Walter (Tübingen): „Die Landkreise unterstützen ausdrücklich das Ziel, die zusätzliche Flächeninanspruchnahme möglichst gering zu halten. Es geht um Biodiversität und den Erhalt fruchtbarer Böden für die Landwirtschaft. Allerdings erwarten wir realistische und flexible Zielsetzungen, die alle Raumnutzungsbedürfnisse berücksichtigen. Das Ziel der Netto-Null beim Flächenverbrauch ist in seiner jetzigen Form nicht erfüllbar und passt nicht zu einer wirklich nachhaltigen Entwicklung unseres Landes. So erfordern notwendige Infrastrukturprojekte und der Ausbau erneuerbarer Energien ausreichende Freiflächen. Auch der Bedarf an Gewerbe- und Wohnflächen wird sich allein durch Innenentwicklung nicht decken lassen.“
PM Baden-Württembergischer Industrie- und Handelskammertag