Das Land hat ein Gutachten zu Hemmnissen und Erfolgsfaktoren multifunktionaler Innenstädte und Ortszentren veröffentlicht.
Das Gutachten „Aufarbeitung von Hemmnissen für die Umsetzung multifunktionaler Innenstädte/Ortszentren sowie von Verbesserungspotenzialen und Lösungsansätzen im Rahmen von Entwicklungsprozessen bei den Kommunen“ (PDF) wurde im Auftrag des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus und des Ministeriums für Landesentwicklung und Wohnen von der imakomm AKADEMIE GmbH erarbeitet. Impulse zur Erarbeitung des Gutachtens kamen auch aus dem Beirat Zukunft Handel/Innenstadt.
„Unsere Innenstädte und Ortszentren müssen einen breiteren Nutzungsmix aufweisen, um weiterhin für Besucher und Kunden attraktiv zu sein. Die Multifunktionalität von Innenstädten und Ortszentren ist deshalb seit einiger Zeit in aller Munde. Dennoch kann sie offenbar vielerorts nur schwer realisiert werden. Das Gutachten bietet wertvolle Anregungen, wie man bestehende Hindernisse überwinden und auf dem Weg hin zur multifunktionalen Innenstadt vorankommen kann“, erklärten Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut, Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus und Nicole Razavi, Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen, anlässlich der Veröffentlichung des Gutachtens.
Einzelhandel weiterhin wichtige Leitbranche in den Innenstädten
Der Einzelhandel werde weiterhin eine wichtige Leitbranche in den Innenstädten sein, sind die Ministerinnen überzeugt. Aber vielerorts werde er nicht mehr allein für eine auskömmliche Frequenz sorgen können. Hinzu komme die Herausforderung, eine gute Erreichbarkeit der Zentren mit einer hohen Aufenthaltsqualität zu verbinden. Nicht zuletzt hätten sich auch die Ansprüche vieler Bürgerinnen und Bürger an ihre Innenstadt verändert. Dies bestätigt auch das Gutachten, das zugleich Wege aufzeigt, wie die Innenstädte und Ortszentren multifunktionaler werden können, beispielsweise durch attraktive öffentlichen Aufenthaltsbereiche und gut frequentierte Einrichtungen. Hierzu zählen etwa Bildungseinrichtungen, attraktive Kultur- und Freizeiteinrichtungen, Co-Working-Spaces und auch mehr Wohnraum.
Beide Ministerinnen sagten zu, die Umsetzung der auf das Land bezogenen Unterstützungsmöglichkeiten im Rahmen der haushalterischen Möglichkeiten zu prüfen. Der Beirat Zukunft Handel/Innenstadt hat zu dem Gutachten ein Positionspapier (PDF) erarbeitet, das die eigenständige Sicht des Gremiums wiedergibt.
Sieben Elemente als Mindestvoraussetzung
Nach dem von der imakomm AKADEMIE GmbH entwickelten Grundmodell umfasst ein multifunktionales Zentrum grundsätzlich sieben Elemente als Mindestvoraussetzung: Versorgung und Einkaufen, Gastronomie, Arbeiten, Wohnen, Soziale Vielfalt/Abbildung der Stadtgesellschaft, qualitätvoller Aufenthaltsraum, Teilhabe aller Gruppen der Stadtgesellschaft (einschließlich Vorhandensein der hierfür notwendigen Strukturen). Bei größeren Städten kommen ein Abend- beziehungsweise Nachtleben (mit den dafür relevanten Angeboten) sowie weitere Freizeitangebote hinzu. Die verkehrliche Erreichbarkeit wird nicht als Element von Multifunktionalität, sondern als notwendige Rahmenbedingung für multifunktionale Innenstädte und Ortszentren gesehen.
Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass es für die Realisierung multifunktionaler Zentren nicht ein zentrales Hemmnis gibt. Es ordnet die in der Praxis identifizierten Schwierigkeiten vier zentralen Themenfeldern zu: einer aktiven Immobilien- und Flächenentwicklung, dauerhaft ausreichenden Mitteln der Kommunen, der Aufrechterhaltung und Stärkung der Leitfunktion des Einzelhandels in den Zentren sowie der Schaffung und Aufrechterhaltung der notwendigen Beteiligungsstrukturen, einschließlich des Willens zum Engagement bei den Innenstadtakteuren.
Das Gutachten leitet aus den Analysen und Befragungsergebnisse insgesamt 30 Handlungsempfehlungen ab, die sich auf die rechtlichen Rahmenbedingungen von Innenstädten, finanzielle/ökonomische Aspekte der Innenstadtakteure, strategische und konzeptionelle Ansätze sowie Fragen der Kommunikation und der Beteiligung der Stadtgesellschaft beziehen. Die Handlungsempfehlungen richten sich an den Bund, das Land, die Kommunen sowie Unternehmen. Vorgeschlagen werden zum Beispiel die Erleichterung einer aktiven Bodenvorratspolitik durch die Kommunen, die Sicherung und Verstetigung der Finanzausstattung der Kommunen und die Schaffung von „gebundener“ Frequenz für und durch den Einzelhandel in den Zentren, beispielsweise durch (Wieder-)Ansiedlung von öffentlichen Einrichtungen, Bildungsangeboten, Gesundheitsdienstleistungen und Wohnen sowie eine Stärkung der Versorgungsfunktion. Daneben wird auch eine moderate Flexibilisierung der Lärmvorschriften angeregt.
Online-Befragung von über 100 Kommunen
Die Studie basiert auf deutschlandweiten Experteninterviews mit Vertreterinnen und Vertretern aus der Wissenschaft und von Fachverbänden, der Auswertung von einschlägigen Studien zum Thema, einer Online-Befragung von über 100 Kommunen mit mehr als 5.000 Einwohnern in Baden-Württemberg und Vertiefungsinterviews in acht ausgewählten Kommunen im Land (Mannheim, Ulm, Pforzheim, Ludwigsburg, Crailsheim, Nagold, Giengen an der Brenz, Trossingen). Interviewpartner waren jeweils der (Ober-)Bürgermeister beziehungsweise die Bürgermeisterin und ein Vertreter des örtlichen Gewerbevereins beziehungsweise Stadtmarketings. Auch die Mitglieder des Beirats Zukunft Handel/Innenstadt wurden einbezogen.
Beirat Zukunft Handel/Innenstadt
Der Beirat Zukunft Handel/Innenstadt wurde von Frau Ministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut und Frau Ministerin Nicole Razavi initiiert und hat am 6. Dezember 2022 erstmalig getagt. In diesem Rahmen werden wichtige Fragestellungen in Bezug auf die Zukunftsfähigkeit und Resilienz von Innenstädten ressortübergreifend und gemeinsam mit Expertinnen und Experten diskutiert und neue Impulse für die Zukunftsfähigkeit des stationären Einzelhandels und der Innenstädte entwickelt. Im Beirat vertreten sind Repräsentanten der Kommunalen Landesverbände, der Verbände des Einzelhandels und der Wirtschaft, der Gewerkschaften sowie der Wissenschaft und von Unternehmen.