Bei der Kreistagswahl hat der frühere Göppinger Oberbürgermeister Guido Till erneut die meisten Stimmen erhalten. Nun nennt er im Interview mit Rüdiger Gramsch die Themen, die er in der neuen Legislaturperiode anpacken will. Dabei setzt der CDU-Mann auf eine engere Zusammenarbeit mit den Freien Wählern.
Herr Till, 13509 Stimmen – Sie sind bei der Kreistagswahl zum dritten Mal in Folge Stimmenkönig. Überrascht?
Till: Mit einem solch überwältigenden Ergebnis habe ich nicht gerechnet, denn es ist nochmal eine Verbesserung um 20 Prozent gegenüber 2019. Ich bin aber den Wählern dankbar, dass sie mir ihr Vertrauen geschenkt haben. Jetzt geht es darum, mit diesem Rückenwind gute Politik für unseren Landkreis zu machen.
Wo würden Sie gerne im Kreistag den Hebel ansetzen?
Till: Nach dem Wahlergebnis brauchen wir im Kreistag eine neue Mehrheit. CDU und die Freie Wähler, die uns ja nahestehen, hätten diese. Wir sollten mit ihnen Gespräche über eine Zusammenarbeit in zentralen Fragen der Kreispolitik führen. Mit der AfD wird es auf gar keinen Fall eine Zusammenarbeit geben.
Sorgt sie das gute Abschneiden der AfD auf Kreisebene?
Till: Wir müssen mal schauen, warum die Menschen AfD gewählt haben. Da spielt das Thema Sicherheit eine große Rolle. Wenn mir selbst zwei Frauen mit Migrationshintergrund unlängst erzählten, dass sie sich abends nicht mehr allein auf die Straße trauen und deshalb AfD gewählt haben, dann sollten wir das Ernst nehmen. Ich weiß, dass viele Menschen abends nicht mehr weggehen, weil sie Angst haben. Das ist nachteilig für die Gastronomie und für Veranstaltungen. Wir müssen den Menschen ein größeres Sicherheitsgefühl geben und dafür auch etwas tun. Das sind wir im Landkreis gefordert.
Wo wollen Sie mit einer „guten Politik“ im Kreistag denn punkten?
Till: Ein weiter so wie bisher kann es nicht geben. Die Kreisfinanzen lassen keine Spielräume mehr zu, nicht zuletzt auch wegen der Finanzierung des Klinikneubaus und der Klinik-Defizite. Wir können auch nicht die Kreisgemeinden mit einer höheren Kreisumlage belasten, da sonst dort zu viel ins Stocken gerät. Wir werden eisern sparen müssen. Das bedeutet im einen oder anderen Fall auch harte Einschnitte machen zu müssen.
Sparen ist leicht gesagt. Im Kreishaushalt sind viele Ausgaben schon gebunden und vieles sind ja auch Pflichtaufgaben.
Till: Richtig, aber es gibt noch Felder, die wir nach Einsparmöglichkeiten durchforsten müssen. Der Sozialbereich darf da nicht ausgenommen werden. Als früherer Sozialdezernent im Kreis Wittenberg weiß ich, wo wir da hinschauen müssen. Wir müssen nach Doppelstrukturen schauen und ob Angebote, die wir als Kreis seit Jahren immer wieder fördern heute noch die Priorität genießen. Das muss sachlich und fachlich geprüft und das Geld nicht an die gegeben wird, die am lautesten fordern.
Bildung kostet auch. Wollen Sie hier ebenfalls sparen?
Till: Bildung ist ungemein wichtig. Gut ausgebildete Menschen bilden das Rückgrat unserer Wirtschaft. Die Schulen für unsere Kinder sind das eine, Bildung für Erwachsene das andere. Diese ist aber wichtig und wir sollten mal schauen, was die Volkshochschulen in den einzelnen Gemeinden noch in der Lage sind, anzubieten. Möglicherweise müssen wir dort zu anderen Organisationsformen kommen. Als Beispiel nenne ich die Kooperation zwischen der Volkshochschule Göppingen und der Volkshochschule Schurwald. Einen kreisweiten Zweckverband Volkshochschule würde ich nicht ausschließen wollen, wenn dieser kreisweit bessere Angebote in der Weiterbildung machen kann.
Sparzwang hin oder her. Vor allem die Gemeinden im oberen Filstal wollen den Landkreis am liebsten verlassen? Braucht es eine Initiative für ein neues Miteinander?
Till: Die schadet nicht, wird aber allein nicht helfen. Wir müssen im oberen Filstal und vor allem in Geislingen die Infrastruktur ausbauen, damit der Raum für Investoren und als Wirtschaftsstandort interessanter wird. Es braucht dort neue Arbeitsplätze, die Menschen mit ihren Familien anlocken. Geislingen hat es in der Randlage der Region Stuttgart schwer, deshalb müssen wir als Kreis hier ein besonderes Augenmerk darauf haben, dass das Mittelzentrum nicht weiter abgehängt wird. Daran muss auch das mittlere und untere Filstal ein Interesse haben, denn eine Verbesserung der Situation dort würde die Kommunen bei der Kreisumlage auch finanziell entlasten.
„Modell der Stabstellen hat sich nicht bewährt“
Sie wollen die Wirtschaft stärken. Wie soll das gehen?
Till: Wir brauchen zunächst einmal eine Wirtschaftsförderung, die diesen Namen auch verdient. Hier hat sich das Modell der Stabstellen im Vorzimmer des Landrats meines Erachtens nicht bewährt. Ich denke, wir sollten bei der Wirtschafts- und Innovationsförderungsgesellschaft mbH (WIF) die Aktivitäten sinnvollerweise bündeln und deren Schlagkraft erhöhen. Sie kann dann losgelöst vom Behördenbetrieb eine gute und zielgerichtete Arbeit leisten.
Ist eine gute Gesundheitsversorgung nicht auch Wirtschaftsförderung?
Till: Zumindest muss der Landkreis in diesem Bereich mehr tun. Wir haben zwar eine gute stationäre Versorgung mit der neuen Klinik in Göppingen, aber große Lücken bei der ambulanten Versorgung im Kreisgebiet. Es sind aktuell 39 Hausarztplätze unbesetzt. Wir müssen also schleunigst aktiv werden, das zu ändern, zum Beispiel durch finanzielle Anreize, interessante Arbeitszeitmodelle durch Kooperationen, das Überlassen von Praxisräumen und vielem anderen mehr.
Stichwort Klinik: Mit dem Umzug in die neue Klinik steht auch der Abriss der alten Klinik an. Sie sind dagegen?
Till: Die CDU im Kreistag hat sich immer dafür stark gemacht, vor einer Abrissentscheidung eine Machbarkeitsstudie zu einer Nachnutzung in Auftrag zu geben. Das wurde leider immer wieder mehrheitlich abgelehnt. Ich halte den Abriss in der heutigen Zeit aus Klima- und Umweltschutzgründen nicht mehr zeitgemäß. Außerdem könnte sich der Kreis die hohen Abrisskosten sparen. Geld, das der Landkreis finanzieren müsste und die Haushaltslage dadurch noch prekärer wird als sie eh schon ist.
Tourismusförderung ist auch Wirtschaftsförderung. Ist der Kreis hier gut aufgestellt?
Till: Die Erlebnisregion Schwäbischer Albtrauf leistet sehr gute Arbeit. Ich bedauere aber trotzdem sehr, dass das Thema Staufer im Zuge der Bildung einer kreisweiten Tourismusgemeinschaft unter die Räder gekommen ist. Wir würden uns da leichter tun. Die Staufer kennen viele, mit dem Begriff Albtrauf können die Wenigsten etwas anfangen. Wir dürfen auch nicht bei der Ausweisung von Wanderwegen und Radrouten stehen bleiben, sondern sollten auch ein Auge auf die Qualitätssteigerung oder Neuansiedlung von Ferienunterkünften und attraktiven Freizeiteinrichtungen haben. Und wir dürfen keine Doppelstrukturen in der Tourismusförderung schaffen. Mittel- und langfristig könnte ich mir vorstellen, dass der Bereich eine Abteilung in der schon genannten Wirtschaftsförderungsgesellschaft wird.
Müllheizkraftwerk: Mit EEW auch über 2035 hinaus zusammenarbeiten
Ein kreispolitisches Thema ist das Müllheizkraftwerk. Wie stehen Sie zur Re-Kommunalisierung?.
Till: Zugegeben, für mich hatte die Idee, das Müllheizkraftwerk (MHKW) wieder in kommunale Hände zu legen, anfangs auch Charme. Inzwischen hat sich die Energiewelt aber verändert. Vom MHKW erwarten wir künftig Fernwärme für möglichst viele Haushalte. Und da beginnt es dann kompliziert zu werden. Die Betreibergesellschaft EEW hat langfristige Entsorgungsverträge mit zahlreichen Landkreisen. Die Müllmenge brauchen wir, um die Fernwärme zu produzieren. Würden wir die Verträge mit der EEW kündigen, würde das Unternehmen zur Erfüllung seiner Verpflichtungen gegenüber den Landkreisen seine Verträge mitnehmen und in andere MHKWs umlenken. Wir hätten dann das Problem, Müll für die Verbrennung suchen zu müssen. Mal ganz unabhängig von den hohen technischen Erfordernissen, die auch wir zu erfüllen hätten, halte ich es heute für sinnvoller, dass wir mit der EEW auch über das Jahr 2035 hinaus weiterarbeiten.
Wenn wir gerade beim Thema Müll sind? Jährlich massiv steigende Müllgebühren führen zu immer mehr wütenden Bürgern…
Till: Es ist schwer verständlich und nicht mehr vermittelbar, dass bei einem geringeren Müllaufkommen und sinkenden Dienstleistungen die Müllgebühr immer weiter ansteigen. Ich glaube, wir müssen unsere Müllentsorgung komplett neu denken. An dem System ist in denen vergangenen Jahren soviel verändert worden, dass es möglicherwiese verschlimmbessert wurde. Die fehlende Transparenz seitens des Abfallwirtschaftsbetriebes tut ihr übriges dazu. Wir müssen das Rad auch sicherlich nicht neu erfinden. Aber wenn es anderswo besser klappt und günstiger ist, dann kann man dieses Modell ja übernehmen und die Bürger entlasten. Säcke, Tonnengrößen und Abfuhrintervalle dürfen kein Tabu sein.
Die Mitgliedschaft im Verkehrsverbund Stuttgart (VVS) hat viel Positives gebracht. Doch das Angebot auf der Schiene führt zu immer mehr Frust.
Till: Es ist ärgerlich, dass der Anbieter Go ahead aus vielerlei Gründen sein Schienenangebot immer wieder ändern und ausdünnen muss. Dabei ist ein verlässlicher Takt Grundvoraussetzung dafür, dass die Menschen vom Auto auf die Bahn umsteigen. Ungeachtet dessen, brauchen wir den S-Bahn-Anschluss auf der Filstalstrecke. Das Angebot nehmen die Menschen dann an, wenn sie nicht mehr auf den Fahrplan schauen müssen, wann der nächste Zug kommt, sondern man weiß, in spätestens 15 Minuten kommt wieder einer. Das gilt auch für den Busverkehr. Ein 15-Minuten-Takt in städtischen Gebieten ist sinnvoll, macht aber in strukturschwachen Gegenden keinen Sinn. Hier könnten dann auch Shuttle oder autonom fahrende Busse eine Alternative sein.
Foto von Rüdiger Gramsch
Das Interview wurde geführt von Rüdiger Gramsch