Besuch von Dr. Andre Baumann, Staatssekretär im Umweltministerium Baden-Württemberg im Rahmen seiner „Sommertour“ zum Austausch von Biotopverbundmaßnahmen im Göppinger Stadtgebiet 

Am Montagnachmittag, den 05. August 2024 trafen sich Staatssekretär Dr. Baumann sowie lokale Akteure und Interessierte im Gelände bei Hohrein, um sich über den Ausbau des Biotopverbundes in Göppingen auszutauschen. Besichtigt wurden drei musterhafte Beispiele des Landschaftsschutzes. Organisiert wurde der Termin vom LEV Göppingen (Geschäftsführer Alexander Koch und Biotopverbundmanagerin Luisa Klink), über 30 interessierte Bürgermeister, Gemeinderät*innen, Kreisrät*innen, Verwaltungsmitarbeiter*innen des Landratsamtes und der Göppinger Stadtverwaltung und Vertreter*innen des Naturschtzes zeigten, wie wichtig ihnen die Zukunft der Natur ist.

Landrat Edgar Wolff verwies in seinem Grußwort auf die Tatsache, das täglich Planzen und Tiere aussterben und die Zahl der gefährdeten Arten kontinuierlich steigt. Deshalb ist es dem Landkreis Göppingen besonders wichtig, im Rahmen der Möglichkeiten im Landkreis diesem Artensterben etwas entgegenzusetzen. 15 % der offenen Landschaft sollen im Land Baden-Württemberg (10 % bundesweit) dem Landschaftsschutz gewidmet werden. Bis 2030 soll ein Biotopverbundnetz aufgebaut werden.

 

Ziel eines Biotopverbundes ist es, Lebensräume bzw. sog. Kernflächen über Trittsteine und Vernetzungselemente miteinander zu verbinden, sodass ein Wandern bzw. genetischer Austausch von Populationen verschiedener, im Bestand rückläufiger Tierarten gewährleistet ist. Dieser genetische Austausch ist essentiell für das Überleben der Tierarten und somit auch zum Erhalt unserer Artenvielfalt. Als Beispielprojekt aus der Umsetzung von Maßnahmen aus der Biotopverbundplanung der Stadt Göppingen wurde das Gebiet um das Naturdenkmal „Löcherwiesen“ besichtigt, das nordwestlich des kleinen Ortes Hohrein liegt, der zur Gemarkung Hohenstaufen gehört. Hier befindet sich eine Kernfläche der trockenen Standorte, ein gesetzl. geschütztes Biotop mit der Bezeichnung „Borstgrasrasen“. Dieses Biotop mit seinen kennzeichnenden Pflanzenarten ist Lebensraum für viele selten gewordene Tierarten und soll im Rahmen der Maßnahmen in seinem Zustand verbessert werden. Ergänzt wird dieses Biotop durch Trittsteine und Vernetzungselemente wie eine Steinmauer, einen blütenreichen Wegsaum sowie einer Feldhecke. Die Vernetzungselemente geben den Weg in Richtung der nächst gelegenen Kernflächen im Naturschutzgebiet Spielburg westl. von Hohenstaufen vor. Kontinuierliche Pflegemaßnahmen und extensive Beweidung im Naturschutzgebiet Spielburg sorgen dafür, dass auch dieses Kernflächenkomplex in einem guten Zustand erhalten bleibt und somit das Ziel eines „funktionalen Biotopverbundes“, wie er im novellierten Naturschutzgesetz erwähnt ist, erfüllt wird.

Die stellvertretende Bürgermeisterin der Stadt Göppingen freute sich, dass ihre Kommune zu den landesweiten Pilotgemeinden gehört, in den die ersten Biotopverbundpläne umgesetzt werden. Die Stadt investiert hier jährlich 35.000 EUR. Hinzu kommen 50.000 EUR Förderung vom Land. Geplant und umgesetzt werden die Maßnahmen vom LEV.

Gesetzlicher Hintergrund und Rolle des Landschaftserhaltungsverbands (LEV) Göppingen e.V.

Im Rahmen der Verabschiedung eines Gesetzespakets zum Erhalt der Artenvielfalt im Land (Biodiversitätsstärkungsgesetz) zum 31. Juli 2020 wurde das Naturschutzgesetz (NatSchG) sowie das Landwirtschafts- und Landeskulturgesetz (LLG) geändert. Gemäß § 22 NatSchG soll ein funktionaler Biotopverbund stufenweise auf mindestens 15 Prozent der Landesoffenlandfläche bis zum Jahr 2030 ausgebaut werden. Für die Umsetzung werden die Kommunen aufgefordert Biotopverbundplanungen zu erstellen oder ggf. ihre Landschafts- und Grünordnungspläne anzupassen. Das Land stellt den Kommunen bei der Planerstellung sowie auch bei der Maßnahmenumsetzung umfangreiche Fördermittel und Arbeitshilfen zur Verfügung. Die Bio­topverbundplanungen, die über das Förderinstrument Landschaftspflegerichtlinie Baden-Württemberg (LPR) mit jeweils 90 Prozent gefördert werden, sollen mithilfe eines Musterleistungsverzeichnisses ausgeschrieben und an ein Fachbüro vergeben werden. Die Umsetzung der darin vorgeschlagenen Biotopverbundmaßnahmen ist jeweils zu 70 Prozent über die LPR förderfähig, die restlichen 30 Prozent können dem kommunalen Ökokonto angerechnet werden.

Für den Ausbau des Biotopverbundes wurden bei den LEVen im Land, die sich als Bindeglied zwischen Landwirtschaft und Naturschutz bereits seit einiger Zeit um naturschutzgerechte Landschaftspflege kümmern, extra neue Stellen geschaffen. Seit 2020 ist Luisa Klink beim LEV Göppingen als „Biotopverbundmanagerin“ angestellt. Darüber hinaus werden den LEVen für die Umsetzung seit 2021 jeweils ein Sonderbudget bereitgestellt, das für Biotopverbundmaßnahmen im Rahmen der LPR ausgeschöpft wird. Für folgende Kommunen ist eine Biotopverbundplanung bereits abgeschlossen: Aichelberg, Bad Boll, Dürnau, Gammelshausen, Göppingen, Hattenhofen und Zell u. Aichelberg. Die Biotopverbundplanungen für Eislingen und Süßen befinden sich in Bearbeitung, Eschenbach und Heiningen in Vorbereitung. Auch die Umsetzung läuft gut. Im Jahr 2023 konnten die bewilligten Biotopverbund-Sondermittel im Landkreis Göppingen mit einem Umfang von ca. 78.000 € vollständig für Maßnahmen wie z.B. die Sanierung von mehreren Stillgewässern, einer Mahdgutübertragung und vielen Erstpflegeeingriffe ausgeschöpft werden.

Umsetzung der Biotopverbundplanung für die Stadt Göppingen als Pilotkommune

Den Startschuss im Landkreis Göppingen machte die Stadt Göppingen. Die Anfang 2021 begonnene Biotopverbundplanung, die als Pilotprojekt vom Regierungspräsidium damals an das Büro Tier- und Landschaftsökologie Dr. Deuschle aus Köngen als Auftrag vergeben wurde, konnte im Sommer 2022 abgeschlossen werden. Bereits während der Planerstellung fand die Umsetzung einer Erstpflegemaßnahme im Gebiet „Löcherwiesen“ statt.

Weitere Umsetzungen folgten, wie z.B. Auflichtungs- und Heckenpflegemaßnahmen entlang des Radwegs beim Krettenhof und um Maitis begleitet von einer extensiven Pflege der Saumabschnitte sowie Erstpflegemaßnahmen am südexponierten Bereich des Aasrückens bei Hohenstaufen. Im Jahr 2023 folgten weitere Maßnahmen wie Tümpelsanierungen, eine Trockenmauer- und Steinriegelanlage sowie diverse Gehölzpflegemaßnahmen.

Maßgeblich verantwortlich für die laufende Umsetzung ist die gute Zusammenarbeit zwischen dem LEV, der Stadt Göppingen, den Fachbehörden sowie weiteren lokalen Akteuren wie der NABU Göppingen. Für die Finanzierung der Biotopverbundmaßnahmen stellt die Stadt Göppingen explizit ein Sonderbudget bereit. So wurden im Jahr 2023 etwa 38.000 € für die Umsetzung von Maßnahmen im Göppinger Stadtgebiet ausgegeben, wovon 30 Prozent von der Stadt finanziert und 70 Prozent vom Land über die Landschaftspflegerichtlinie bezuschusst wurden.

Auch im Jahr 2024 sind wieder Mittel eingeplant. Eine beispielhafte Maßnahme ist die ökologische Aufwertung des Radwegsaums, der sich vom Krettenhof bei Birenbach bis über Abschnitte auf Gemarkung Wäschenbeuren sowie Maitis und Lenglingen in Richtung Rechberg in den Nachbarlandkreis zieht, wo sich die nächsten Kernflächen befinden. Die lineare Struktur und das Aufwertungspotenzial machen den Saum zum idealen, gemeindeübergreifenden Vernetzungselement. Eine ökologische Aufwertung soll durch die Umstellung zu einer extensiven Pflege (Mahd mit Abräumen) zur Förderung von Blütenpflanzen und durch Einsaat einer einheimischen Blühmischung an geeigneten Stellen erreicht werden.

Biotopverbundmaßnahmen im Gebiet „Löcherwiesen“ bei Hohrein

Für das Gebiet „Löcherwiesen“ wurde vom Planungsbüro Dr. Deuschle einer von insgesamt 22 Maßnahmensteckbriefen erstellt. Der Maßnahmensteckbrief gibt u.a. Auskunft über die Lage, die Bedeutung für den Biotopverbund, den aktuellen Zustand und die potenziellen Zielarten. Abschließend werden Maßnahmenempfehlungen beschrieben. Bei den sog. Zielarten handelt es sich um weniger mobile, anspruchsvolle und meist selten gewordene Tierarten. Ziel der Planung ist es, anspruchsgerechte Maßnahmen für diese Zielarten zu definieren. Werden dann solche umgesetzt, so profitieren auch viele weitere, weniger anspruchsvolle Arten davon und die Artenvielfalt kann gestärkt werden. Da im Rahmen der Konzeption keine neuen Artkartierungen gemacht wurden, hat das Büro eine Zielartenliste auf Basis vorhandener Daten mit Angabe der aktuellen Vorkommenswahrscheinlichkeit auf Göppinger Markung erarbeitet. Im Steckbrief sind beispielsweise folgende Zielarten mit einer hohen Vorkommenswahrscheinlichkeit im Naturschutzgebiet (NSG) Spielburg und dessen Umfeld aufgelistet: Großes Mausohr (Myotis myotis), Schlingnatter (Cornella austriaca), Magerrasen-Perlmuttfalter (Boloria dia), Thymian-Widderchen (Zygaena purpuralis) und der Heide-Grashüpfer (Stenobothrus lineatus). Die Insekten benötigen eine Vielfalt an nektarreichen Blütenpflanzen, die sehr lichtbedürftig sind und magere, also nährstoffarme Bodenverhältnisse, um sich in Konkurrenz zu den Gräsern durchsetzen zu können. Insekten sind wiederrum eine wichtige Nahrungsquelle für Fledermäuse, Vögel und Reptilien. Oft ist das Vorhandensein bestimmter Pflanzenarten Voraussetzung und Bestandteil im Lebenszyklus mancher Tagfalterarten. Das Thymian-Widderchen ist beispielsweise in der Roten Liste der Schmetterlinge Baden-Württemberg als gefährdet eingestuft. Seine Raupenfutterpflanze ist der wilde Thymian (Thymus serpyllum), der auf Magerrasen wächst. Um die biotoptypischen Blütenpflanzen zu fördern finden regelmäßig Pflegemaßnahmen in naturschutzwichtigen Gebieten statt.

Im Flächenhaften Naturdenkmal Löcherwiesen gibt es Magerrasen, die sich durch „Verbuschung“ in einem ungünstigen Zustand befinden. Als Erstpflegemaßnahme wurden deshalb einige beschattende Bäume gefällt sowie mit Brombeeren zugewucherte Bereiche mit einer Mulchraupe frei gepflegt. Um das Brombeerwachstum weiter einzudämmen, finden dort seitdem jährlich Pflegeeingriffe statt. Eine traditionelle, extensive Beweidung mit Rindern und Ziegen im Rahmen eines LPR-Vertrages sorgt für den Erhalt des Biotops. Die Beweidung mit Ziegen hat den Vorteil, dass diese auch junge Gehölze verbeißen und somit in Kombination mit der jährlichen Entfernung der Brombeersukzession ein erneutes Zuwachsen der Weideflächen mit Gehölzen verhindern. Im Jahr 2023 fand gemäß den Maßnahmenempfehlungen eine Heckenpflege statt, um diese als Vernetzungselement in einem guten Zustand zu erhalten. Ergänzend dazu wird der begleitende südexponierte Wegsaum, der durch viele wärmeliebende und nektarreiche Blütenpflanzen besteht, extensiv durch eine einmalige Mahd im Spätsommer gepflegt. Somit können einige Pflanzen aussamen und auch spät blühende Pflanzen gefördert werden. Dabei ist auch ein insektenschonender Schnitt und das Abräumen des Mahdgutes, um einen Nährstoffentzug hervorzurufen, wichtig. Die an einem Wegabschnitt begleitende Stützmauer wird gerne von Zauneidechsen und vielleicht auch Schlingnattern als Sonnenplatz genutzt, weshalb auch diese von überwuchernder Brombeersukzession frei gepflegt wurde.

Mithilfe der Biotopverbundkonzepte als fundierte Planungsgrundlage und durch viele weitere Pflegeeingriffe, die den Zustand der Kernflächen und Vernetzungselemente im Landkreis verbessern sollen, sowie durch ggf. Neuschaffung von Kernflächen und Trittsteinen kann der Biotopverbund und die Artenvielfalt im Landkreis weiter gestärkt werden.

Dr. Andre Baumann, MdL und Staatssekretär im Umweltministerium zeigte sich begeistert von den Ansätzen des Biotopverbundnetzes in Göppingen: „hier sieht man, warum wir Naturschutz betreiben“. 116.000 Hektar Streuobstwiesen gibt es in BW, dem Streuobstwiesenland schlechthin, so Baumann, außerdem ist Baden-Württemberg ein Wiesenland und ein Schäfereiland mit einst über 900.000 Schafen, die ursächlich sind für die heutigen Wacholderheiden. Diese vielen Biotope müssen wir jetzt sinnvoll verbinden. Dafür hat das Land die Naturschutzmittel stetig gesteigert. Sinn soll auch sein, den Bewirtschaftern dieser Naturflächen ein auskömmliches Einkommen zu sichern.

Das dies nicht unbedingt der Fall ist, berichtete Landwirt Alexander Hold aus Hohensteufen, der Naturflächen mit seinen Rindern und Ziegen beweidet. Der Arbeitsaufwand ist doch immens. Alleine das Aufstellen der Zäune in den oft steilen Bereichen ist sehr arbeitsaufwendig. 370 Euro bekommt er für jeden Hektar mit Rindern, weitere 160 EUR für Flächen, die er mit Ziegen beweidet. Insgesamt beweidet er sieben Hektar in diesem Gebiet als Landschaftsschutz.

Broschüre: 20220905_Biotopverbundplanung_Stadt Göppingen_Text

Karte_Löcherwiesen_1968

Karte_Löcherwiesen_aktuell

Foto: Viele Interessierte bei der Besichtigung der Biotope

Abbildung 1: Vor der Umsetzung: drohende Verlandung

Abbildung 2: Nach der Umsetzung

Abbildung 3: Vor der Umsetzung: Beweidungsflächen mit wuchernder Brombeersukzession

Abbildung 4: Nach der Umsetzung – Entfernung beschattender Bäume (überwiegend Eschen) und Mulchen der Brombeersukzession (Abb 1-4: L. Klink)

Joachim Abel

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