Radfahren bedeutet Mobilität, Unabhängigkeit und Selbständigkeit. Was in Deutschland von Kindesbeinen an selbstverständlich ist, ist Frauen in manchen Ländern verboten – zum Beispiel im Iran. Das Integrationsmanagement der Stadt Göppingen ermöglicht daher Frauen mit Fluchthintergrund, in einem Fahrradkurs, Radfahren unter professioneller Anleitung zu erlernen.
Der Po schmerzt, einige Stürze haben blaue Flecken und Schürfwunden an Armen und Beinen hinterlassen und der Muskelkater ist deutlich zu spüren – und doch strahlen die Teilnehmerinnen, die vor kurzem am Fahrradkurs für Frauen mit Fluchthintergrund in der Jugendverkehrsschule teilgenommen haben. Die körperlichen Blessuren nehmen die Frauen gerne in Kauf, wenn sie dafür am Ende des Kurses gelernt haben, Rad zu fahren. Und sie es voller Stolz geschafft haben, mit dem Rad ihre ersten Runden auf dem Parcours der Jugendverkehrsschule zu drehen.
Der gesamte Kurs ist in vier verschiedene Module aufgebaut: Fünftägiger Praxisteil, kompakte Vermittlung von Straßenverkehrsregeln, Reparatur-Crashkurs und regelmäßige Fahrradtouren durch die neue Heimat Göppingen. Referentin Gabriele Fröhlich, Fachbereichsleiterin Gesundheit und Frauenbildung der Volkshochschule Esslingen, bringt mit viel Motivation und Ermunterung den Frauen das Radfahren auf dem Parcours der Jugendverkehrsschule bei. Dazu gehört unter anderem, dass sie lernen, ihr Gleichgewicht auf zwei Rädern zu halten, die Richtung zu wechseln, Slalom zu fahren oder auch eine Vollbremsung zu machen. Auch Schulterblick sowie Arm ausstrecken, um anzuzeigen, dass man abbiegen will, will erstmal gelernt sein. Alle Frauen sind hochmotiviert und engagiert, denn sie wissen, dass mit den neuen Fähigkeiten auch ihr Selbstbewusstsein steigen wird. Am letzten Tag des Kurses geht es für einen Teil der Teilnehmerinnen der Gruppe bereits in Begleitung der Kursleitung auf die Straßen durch Göppingen.
Eine der sieben Teilnehmerinnen ist Ensieh Mirzaei aus dem Iran. Die 41-Jährige hat Physik auf Bachelor studiert und viele Jahre als Mathematik- und Physiklehrerin gearbeitet. Außerdem war sie Direktorin einer gemeinnützigen Physikschule. Ensieh Mirzaei erläutert, warum ihr der Kurs besonders wichtig ist: „In meinem Heimatland Iran war Fahrradfahren für Frauen verboten. Aber hier in Deutschland möchte ich gerne Fahrrad fahren. Allerdings habe ich noch Angst und erhoffe mir von dem Kurs, vor allem mehr Sicherheit beim Fahren zu bekommen. Ich möchte alles über das Fahrrad lernen, um selbständig damit im Alltag und in der Freizeit zurechtzukommen.“
Kursleiterin Gabriele Fröhlich stimmt Ensieh Mirzaei zu: „Ich möchte Jede und Jeden ermutigen, Fahrradfahren zu lernen. Man ist nie zu alt dafür.“ Katharina Heide vom Integrationsmanagement freut sich über die neuen Errungenschaften, welche die Frauen durch den Kurs bekommen, denn: „Oftmals haben Frauen laut Gesetz keinerlei Recht, Radfahren zu erlernen. Wieetwa im Iran. Oder in Ländern wie der Ukraine fehlt die Infrastruktur. Daher birgt es dort auch größere Risiken, auf öffentlichen Straßen zu fahren. Deswegen ist es für die Frauen so wichtig, dass sie hier die Fähigkeiten dafür sich aneignen können und damit ihre Selbstständigkeit wiedererlangen. Auch der gesellschaftliche Aspekt der Teilhabe und der Austausch untereinander, wird durch diesen Kurs unterstützt.“
Die Möglichkeit, an dem Fahrradkurs teilzunehmen, wird zweimal im Jahr vom Integrationsmanagement der Stadt Göppingen angeboten, finanziert wird das Projekt aus Spendengeldern und durchgeführt in Zusammenarbeit mit dem Lokalen Bündnis für Familien Göppingen. Die Helme für das Radprojekt werden von Fahrradläden aus der Region spendiert, als Übungsfahrräder werden Fundfahrräder der Stadt sowie gespendete und wieder verkehrstauglich gemachte Fahrräder genutzt. Der nächste Fahrradkurs für Frauen mit Fluchthintergrund wird vom 2. bis 6. September stattfinden. Hier können sich interessierte Frauen mit Fluchthintergrund bereits jetzt anmelden, integration@goeppingen.de.
Gesucht: Ehrenamtliche für Fahrradtouren sowie Räder
Gesucht werden Ehrenamtliche für geführte Radtouren, die etwa einmal im Monat stattfinden sollen: Man sollte Spaß am Radfahren haben und diesen den Frauen mit Fluchthintergrund weitervermitteln, so dass diese ihre neue Heimatstadt Göppingen auch auf zwei Rädern entdecken können. Wer den Radanfängerinnen für ihre ersten Erkundungsfahrten ein ausgemustertes Damenrad spenden möchte, kann sich ebenfalls gerne per Telefon oder Mail beim Integrationsmanagement melden.
Kontakt zum Integrationsmanagement
der Stadt Göppingen:
Telefon: 07161 650-55730
Mail: integration@goeppingen.de.
PM Stadtverwaltung Göppingen