- „Tierwohl-Monitoring“: Bundesregierung will Ergebnisse aus eigenem Forschungsprojekt zu besserer Tiergesundheit nicht umsetzen
- Lebensmittelindustrie ist bereits weiter: QS-Siegel nimmt Gesundheit von Nutztieren stärker in den Blick
- Studien: In allen Haltungsstufen leiden Nutztiere unter Krankheiten
foodwatch hat der Bundesregierung vorgeworfen, ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag für eine bessere Tiergesundheit zu brechen. Während die Ampel bei dem Thema komplett auf der Bremse stehe, sei sogar die Lebensmittelindustrie teilweise schon weiter, kritisierte die Verbraucherorganisation.
SPD, FDP und Grüne hatte in ihrem Koalitionsvertrag versprochen, eine „Tiergesundheitsstrategie“ zu erarbeiten. Seitdem sei jedoch nichts passiert, so foodwatch. Im Gegenteil, die Pläne wurden mittlerweile offenbar auf Eis gelegt: Das Bundesagrarministerium hat kürzlich mitgeteilt, es werde die Ergebnisse eines entsprechenden Forschungsprojekts („Nationales Tierwohl-Monitoring“, NaTiMon) nicht umsetzen. foodwatch kritisierte die Entscheidung als völlig falsches Signal.
Dahingegen begrüßte die Verbraucherorganisation eine neue Initiative der Industrie als einen kleinen Schritt in die richtige Richtung: Das Lebensmittelsiegel QS will zukünftig die Befunddaten von Mastschweinen systematisch auswerten. Schweinehalter, die immer wieder Probleme mit kranken und verletzten Tieren haben, müssen sich einer Beratung unterziehen und ein Konzept vorlegen, wie die Tiergesundheit verbessert werden kann.
„Traurig, dass es auch unter Cem Özdemir beim Thema Tiergesundheit nicht vorangeht, sogar die Lebensmittelindustrie sieht offenbar mehr Handlungsbedarf als der grüne Minister. Wir brauchen nicht nur bestmögliche Haltungsbedingungen, sondern endlich auch konkrete Vorgaben für die Tiergesundheit. Denn die wissenschaftlichen Daten sind eindeutig: Schweine, Kühe oder Hühner sind massenhaft krank – auf kleinen Bio-Höfen genauso wie in großen Tierfabriken. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Verbraucher:innen Fleisch, Käse und Eier von kranken Tieren essen“, sagte Annemarie Botzki von foodwatch.
Nutztiere wie beispielsweise Mastschweine litten in allen Haltungsstufen – von Bio bis konventionell – massenhaft unter Krankheiten und Schmerzen. Während einige Betriebe das Gesundheitsmanagement gut im Griff hätten, gebe es auf anderen Höfen immer wieder Probleme mit kranken und verletzten Tieren, und zwar unabhängig von der Haltungsform oder der Betriebsgröße, so foodwatch. Daher sei es gut, dass QS jetzt die Tiergesundheit bei Schweinemast-Höfen stärker in den Blick nehmen wolle – auch wenn der Ansatz noch nicht ausreiche.
Prof. Dr. Albert Sundrum, ehemaliger Fachgebietsleiter Tierernährung und Tiergesundheit an der Universität Kassel, sagte: „Der QS-Vorschlag ist vom Ansatz her längst überfällig, kommt aber viel zu zögerlich daher. Er entfaltet kaum Wirkungen, wenn nur Landwirte, die in den Krankheitsdaten extrem vom Durchschnitt abweichen, einer Beratungspflicht unterliegen. Tiergesundheitsprobleme sind systemimmanent und nicht auf wenige ‚Schwarze Schafe‘ beschränkt. Auf vielen schweinehaltenden Betrieben in Deutschland sind Krankheiten eher die Regel als die Ausnahme – auf mehr als der Hälfte der Betriebe weisen mehr als die Hälfte der Schweine Krankheitssymptome unterschiedlichen Schweregrades auf.“
Eine systematische foodwatch-Auswertung tiermedizinischer Studien hatte im vergangenen Jahr gezeigt: In allen Haltungsstufen gibt es zum Teil gravierende Probleme. So zeigen Schlachthofbefunde, dass knapp 40 Prozent aller Schweine in konventioneller Haltung krankhafte Befunde wie Lungenentzündungen, offene Wunden oder Abszesse haben – in der Bio-Haltung sind es mit 35 Prozent laut einer Studie kaum weniger.
Die Bundesregierung hatte, noch unter Agrarministerin Julia Klöckner (CDU), ein 4,6 Millionen teures Forschungsprojekt zur Tiergesundheit gestartet. Seit 2020 arbeiteten rund 30 Wissenschaftler:innen unter anderem vom Thünen Institut, vom Statistischen Bundesamt und der Humboldt-Universität Berlin daran, die Grundlagen für ein sogenanntes Nationales Tierwohl-Monitoring (NaTiMon) zu erarbeiten. Kürzlich erklärte das Bundesagrarministerium allerdings gegenüber Medien, man sei zu dem Entschluss gekommen, den „Ansatz eines Nationalen Tierwohl-Monitorings nicht weiterzuverfolgen.“
Das QS-Siegel wird von der QS Qualität und Sicherheit GmbH vergeben und kennzeichnet viele Lebensmittel wie Fleisch und Fleischwaren, aber auch Obst und Gemüse. Es umfasst die gesamte Produktionskette.
Quellen und weiterführende Informationen:
- QS-Projekt Tiergesundheitsberatung: www.q-s.de/news-pool-de/projekt-tiergesundheitsberatung-tiergesundheit-ver.html
- Endgültiges Aus für Tierwohl-Monitoring, Tagesspiegel Background: background.tagesspiegel.de/agrar-ernaehrung/endgueltiges-aus-fuer-tierwohl-monitoring
- foodwatch-Report zur Tiergesundheit: www.foodwatch.org/de/tierleid-im-einkaufskorb-warum-alle-haltungsformen-nutztiere-krank-machen-und-wie-sich-das-aendern-laesst
- Übersicht über tiermedizinische Studien: www.foodwatch.org/fileadmin/-DE/Themen/Tierhaltung/Dokumente/2023-01-17_Studienauswertung_Tiergesundheit.pdf
PM foodwatch e.V.