Slow Food feiert den Internationalen Tag der biologischen Vielfalt: Schützen wir die Biodiversität vor dem Klimawandel

Jüngste Ereignisse haben uns deutlich gezeigt, wie der Klimawandel die weltweite Biodiversität bedroht.

„Um wirklich in Einklang mit der Natur zu leben, wie es der Internationale Tag der biologischen Vielfalt fordert, müssen wir uns dem Klimawandel stellen und ernsthaft versuchen, seinen Kurs zu ändern“, kommentiert Edward Mukiibi, Präsident von Slow Food. „Der Klimawandel ist eine Realität und wenn wir uns die jüngsten Überschwemmungen in Lateinamerika, Asien und Afrika vor Augen führen, wird deutlich, dass diese dramatischen Phänomene ausnahmslos alle Breitengrade betreffen. Trotzdem verschwinden die Meldungen über den Klimawandel allmählich etwas aus den Nachrichten, obwohl die Umwelt und die biologische Vielfalt nach wie vor stark in Mitleidenschaft gezogen werden. Lasst uns die Biodiversität feiern, vor allem aber müssen wir sie schützen - für uns und für die zukünftigen Generationen.“

Nach Angaben der FAO ist die industrielle Agrar- und Ernährungswirtschaft in hohem Maße verantwortlich für Entwaldung, Wasserknappheit, Verlust der biologischen Vielfalt, Verarmung der Böden und hohe Treibhausgasemissionen, die wesentlich zum Klimawandel beitragen. Gleichzeitig verschärft der Klimawandel Hungersnöte und beeinträchtigt die Lebensgrundlagen in ländlichen und städtischen Gebieten weltweit. Darüber hinaus stehen die Agrar- und Ernährungssysteme vor kurz- und langfristigen Herausforderungen, vor allem aufgrund der Wechselwirkungen zwischen dem Verlust der biologischen Vielfalt und dem Wettbewerb um den Zugang zu natürlichen Ressourcen. Die FAO erinnert uns auch daran, wie der Verlust der Biodiversität die Fähigkeit der für Ernährung und Landwirtschaft genutzten Ökosysteme zur Kohlenstoffbindung bedroht und die verfügbaren Optionen zur Anpassung der Produktionssysteme im Interesse der Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen verringert.

Neuigkeiten aus dem Slow-Food-Netzwerk

Brasilien erlebt eine der schlimmsten Überschwemmungen seiner jüngeren Geschichte, die vierte wetterbedingte Krise im Süden des Landes in weniger als einem Jahr. Vor wenigen Tagen überschwemmten sintflutartige Regenfälle den südlichen Bundesstaat Rio Grande do Sul, in dem 11 Millionen Menschen leben, setzten ganze Städte unter Wasser und brachten einen wichtigen Staudamm zum Einsturz. Nach neuesten Angaben kamen mindestens 105 Menschen ums Leben, weitere 130 werden noch vermisst. Aufgrund der Überschwemmungen, die die meisten der 497 Gemeinden von Rio Grande do Sul betrafen, mussten fast 164.000 Menschen ihre Häuser verlassen.

Das Slow-Food-Netzwerk organisierte sich sofort, um Spenden zu sammeln und den Vertriebenen Hilfe zu leisten, indem es Bauern und Köche einbezog.

„Wir haben Solidaritäts- und Gemeinschaftsküchen als wichtige Einrichtungen ausgemacht, um die Vertriebenen mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die Klimakatastrophe hat auch Kleinbauern direkt getroffen und die Versorgung mit frischem Obst und Gemüse abrupt unterbrochen. Dadurch hat die Qualität der Mahlzeiten stark gelitten“, erklärt Pedro Xavier von Slow Food Brasilien. „Wir koordinieren nicht nur die Spendenaktionen, sondern bringen auch Kooperativen aus dem benachbarten Bundesstaat Santa Catarina zusammen, die gute, saubere und faire agrarökologische Lebensmittel liefern, um die Ernährung zu bereichern und die Qualität der Mahlzeiten in den Solidaritätsküchen zu verbessern.“ So hat die ökologische Kooperative Ecoserra 7 Tonnen agrarökologische Produkte von Bauern aus der Bergregion von Santa Catarina gesammelt und an Bedürftige verteilt.  „Um die Menschen, die ihr Zuhause verloren haben, mit Lebensmitteln zu versorgen, haben wir begonnen, eine Landkarte mit den Küchen zu erstellen, in denen Mahlzeiten für Obdachlose, Freiwillige und professionelle Helfer zubereitet werden können“, erklärt der Koch Fabrício Goulart aus Rio Grande do Sul. Rodrigo Bellora stimmt ihm zu: „Als Köche haben wir unsere Häuser in Produktionsstätten für Lunchpakete und Sammelstellen für Zutaten und Lebensmittel verwandelt. Jetzt denken wir über die nächsten Schritte nach, wie die Menschen wieder auf die Beine kommen, sich erholen und Hoffnung für die Zukunft schöpfen können.“

Die Kooperative Ecoserra, der Verein Slow Food Brasilien, die Gemeinschaft Verantwortungsbewusster Verbraucher und SOS Co.zinhas RS haben sich zusammengeschlossen, um Bedürftigen zu helfen. Ziel der Kampagne ist es, Spenden an verschiedene Solidaritätsküchen und Notunterkünfte in Rio Grande do Sul zu schicken. Jeder kann dazu beitragen, durch eine Spende an Wise https://wise.com/pay/me/fabriciom777.

Die Region leidet regelmäßig unter den Auswirkungen von El Niño, einem zyklischen Klimaphänomen, das im Süden Brasiliens heftige Regenfälle, im Amazonas-Regenwald hingegen Trockenheit verursachen kann. Diese Auswirkungen werden durch eine Kombination aus Klimawandel, Entwaldung und unkontrollierter Urbanisierung verschärft. Zudem versuchen Politiker, nationale Gesetze zugunsten der Agrarindustrie aufzuweichen. Wie internationale Quellen bestätigen, liegen dem Kongress derzeit 25 Gesetzesentwürfe und drei Anträge auf Verfassungsänderungen vor, um die Umweltgesetzgebung aufzuweichen. So wird beispielsweise versucht, das Waldgesetz — das wichtigste Gesetz des Landes zum Schutz der einheimischen Vegetation — , die Umweltgenehmigungen und die Finanzierung der Umweltpolitik zu untergraben. Diese Vorhaben sind so gravierend, dass das Klimaobservatorium sie als „Zerstörungspaket“ bezeichnet.

Kenia und Ostafrika werden derzeit von heftigen Regenfällen und Überschwemmungen heimgesucht, die die Existenzgrundlage von Tausenden von Menschen zerstört und zu Verlusten an Menschenleben, Eigentum und Unterbrechungen lebenswichtiger Dienstleistungen geführt haben. In Kenia kamen fast 300 Menschen ums Leben und zirka 300.000 mussten ihr Zuhause verlassen. Nach Angaben des Meteorologischen Dienstes wird die Situation weiter andauern und die Auswirkungen werden noch lange zu spüren sein. Harley Kibon von der indigenen Gemeinschaft der Endorois beschreibt die Situation des SlowFoodGemeinschaftsgartens in Sossion: „Unser Garten wurde schwer getroffen. Er stand wochenlang komplett unter Wasser und die Ernte von Sorghum, Mais und verschiedenen Gemüsesorten wurde erheblich beschädigt. Kein Fleckchen des einen Hektar großen Gartens blieb verschont, auch nicht unsere Häuser, so dass wir uns vorübergehend eine Notunterkunft suchen mussten. Wir haben so etwas noch nie erlebt und sind sehr besorgt, dass die Ernährungsunsicherheit weiter zunehmen wird, wenn die Regenfälle anhalten.“

Slow Food Kenia hat sich mit anderen Organisationen zusammengeschlossen, um in den betroffenen Gebieten Ressourcen zu mobilisieren und die betroffenen Gemeinschaften mit Lebensmitteln, Hilfsgütern, Schulungen und agrarökologischen Ressourcen zu unterstützen, damit sie ihre täglichen Aktivitäten wieder aufnehmen können, sobald sich die Situation verbessert.

John Kariuki, Koordinator von Slow Food Kenia, sagt: „Wir müssen uns klarmachen, dass die meisten Katastrophen, die mit dem Klimawandel zusammenhängen, in Entwicklungsländern auftreten, besonders in Afrika, obwohl diese Länder die wenigsten Treibhausgase produzieren. Extreme Wetterschwankungen haben Kleinbauern, Viehzüchter und indigene Gemeinschaften getroffen und die Armut und Ernährungsunsicherheit in Kenia und Afrika verschärft. Wir können uns nicht zurücklehnen und weiter zusehen, wie unsere Gemeinschaften leiden. Slow Food Kenia wird sich weiterhin für die Agrarökologie und den Erhalt der biologischen Vielfalt einsetzen, denn dies sind die einzigen praktikablen Lösungen für den Klimawandel. Kleinbauern sind die Hüter indigenen Wissens und haben seit langem bewiesen, dass die wirklichen Lösungen für die Herausforderungen, mit denen die Welt und das globale Ernährungssystem konfrontiert sind, nicht in der industriellen Landwirtschaft zu finden sind.“

Leider blieb auch der Rest der Welt nicht von den extremen Wetterereignissen verschont. So wurden die Niederlande, Deutschland und Frankreich Ende Dezember und Anfang Januar von Überschwemmungen und starken Regenfällen heimgesucht, während die nordischen Länder von enormen Schneefällen betroffen waren. Im April gab es in Golfstaaten wie den Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Katar, Saudi-Arabien und Oman heftige Regenfälle und Überschwemmungen, während Afghanistan in den letzten Tagen von Überschwemmungen verwüstet wurde, die Menschenleben forderten, Tausende obdachlos machten und die Landwirtschaft zerstörten. Afghanistan gehört zu den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Ländern, ist aber für weniger als 0,1 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Die Sanktionen, die nach der Machtübernahme der Taliban im Jahr 2021 verhängt wurden, blockierten 32 Programme zur Eindämmung der Folgen des Klimawandels.

Die Lösung liegt vor Ort

Die Lösung liegt in den Händen derer, die sich tagtäglich um das Land, die natürlichen Ressourcen und die lokale biologische Vielfalt kümmern und diese und uns vor den verheerenden Auswirkungen des Klimawandels schützen. „Seit jeher setzt sich das Slow-Food-Netzwerk mit seinen 1200 Gemeinschaften auf der ganzen Welt und Hunderten von Projekten zum Schutz der biologischen Vielfalt von Lebensmitteln und Lebensmittelkulturen, zur Förderung von Gemeinschafts- und Schulgärten und zur Unterstützung einer gesunden lokalen Wirtschaft aktiv für die natürlichen Ressourcen, Ökosysteme und Landschaften ein“, fügt Mukiibi hinzu.

In Brasilien beispielsweise hat Slow Food im Laufe der Jahre zahlreiche Initiativen entwickelt, um die biologische Vielfalt der Lebensmittel zu fördern, darunter die Entwicklung von 20 Projekten mit bäuerlichen Gemeinschaften (den Slow Food Presidi) und die Identifizierung von 235 vom Aussterben bedrohten Lebensmitteln, die in der Arche des Geschmacks von Slow Food dokumentiert sind.

In Kenia hingegen gibt es 11 Projekte mit bäuerlichen Gemeinschaften (die Slow Food Presidi) und 79 Lebensmittel, die die Gemeinschaften vorm Verschwinden retten wollen (Passagiere der Arche des Geschmacks). Darüber hinaus bieten fünf Märkte der Erde den Menschen die Möglichkeit, regelmäßig frische Produkte aus der Region zu kaufen. 42 Köch*innen gehören der Slow Food Chef Alliance an, einem Netzwerk, das Köch*innen und Küchenchefs mit unterschiedlichem Hintergrund zusammenbringt, um die biologische Vielfalt zu erhalten, Kleinbauern zu unterstützen und die Verbraucher über gerechtere und nachhaltigere Lebensmittelsysteme zu informieren.

Ein Blick in die Zukunft

Heute befürchten viele internationale Wissenschaftler wie Ruth Cerezo-Motfear oder Jonathan Cullen von der Universität Cambridge, dass die globalen Temperaturen in diesem Jahrhundert um 2,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau ansteigen werden, also weit mehr als die erwarteten und erhofften 1,5 °C. Das zwischenstaatliche Gremium für Klimaänderungen (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) hat dramatische Prognosen für die Zukunft: Hungersnöte, Konflikte und Massenmigration, ausgelöst durch Hitzewellen, Waldbrände, Überschwemmungen und Stürme von einer Intensität und Häufigkeit, die weit über das hinausgeht, was wir bisher erlebt haben.

„Die biologische Vielfalt und die Klimakrise hängen eindeutig miteinander zusammen und müssen ganz oben auf der Agenda der politischen Entscheidungsträger, der Medien und der Öffentlichkeit stehen. Ohne dieses Bewusstsein und ohne eine weltweite Umstellung der Ernährungssysteme auf agrarökologische Praktiken ist es leider absehbar, dass die Menschheit auf eine Katastrophe zusteuert“, schließt Mukiibi.

Mehr zum Internationalen Tag der biologischen Vielfalt: https://www.cbd.int/biodiversity-day

Slow Food ist ein weltweites Netzwerk lokaler Gemeinschaften, das 1989 gegründet wurde, um dem Verschwinden lokaler Lebensmitteltraditionen und der Verbreitung der Fast-Food-Kultur entgegenzuwirken. Seitdem ist Slow Food zu einer globalen Bewegung gewachsen, die Millionen von Menschen in mehr als 160 Ländern einbezieht und sich dafür einsetzt, dass wir alle Zugang zu guten, sauberen und fairen Lebensmitteln haben.

PM Slow Food International

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