Für den NABU Baden-Württemberg ist die Entscheidung aus Brüssel und Berlin, die Regelung zur Schaffung von Brachen auf vier Prozent der Ackerfläche (GLÖZ 8) erneut auszusetzen, eine herbe Enttäuschung. „Vom grünen Bundeslandwirtschaftsminister hätten wir uns deutlich mehr Stehvermögen erhofft. Dem Vernehmen nach hat sich auch Bundeskanzler Scholz von den wütenden Traktorprotesten erpressen lassen und ist eingeknickt. Geschenke an die Landwirtinnen und Landwirte im EU-Wahljahr auf Kosten der Natur lösen aber keine Strukturprobleme, sie heizen das Artensterben weiter an“, kritisiert der NABU Landesvorsitzende Johannes Enssle die aktuelle Agrarpolitik der EU-Kommission und der Bundesregierung. Aus Sicht des NABU ignoriert diese Ampelentscheidung die Folgen der Naturkrise. Statt mit der Natur wird erneut gegen sie gewirtschaftet. Das Prinzip „öffentliche Gelder für öffentliche Leistungen“ werde damit außer Kraft gesetzt.
NABU-Landeschef Enssle sieht die Verantwortung aber nicht nur bei der Bundesregierung, sondern auch bei Baden-Württembergs CDU-Landwirtschaftsminister: „Minister Peter Hauk ist für das Schlamassel mitverantwortlich. Als Vorsitzender der unionsgeführten Agrarressorts der Länder hat er sich ganz maßgeblich dafür eingesetzt, die Brachflächen-Regelungen erneut auszusetzen. Ich frage mich, wie er nun das in Baden-Württemberg gesetzlich verankerte Ziel erreichen will, auf zehn Prozent der landwirtschaftlichen Fläche wertvolle Refugialflächen für die Natur zu schaffen“, fragt Enssle und schiebt gleich einen konkreten Lösungsvorschlag hinterher:
„Um den Wegfall der vier Prozent EU-Brachen zu kompensieren, muss Hauk jetzt schnell Geld mobilisieren, notfalls durch Umschichtung aus seinem eigenen Haushalt. Es braucht wirksame Maßnahmen, wie die mehrjährige Brache (FAKT E8) oder den ‚Erweiterten Drillreihenabstand‘ mit blühender Untersaat (FAKT E13.2). Sie müssen finanziell so attraktiv gemacht werden, dass sie von den Betrieben angenommen werden“, kommentiert Enssle. Möglich wäre das zum Beispiel durch Umschichtung von Fördermitteln für Maßnahmen, die keinen großen Nutzen für die Artenvielfalt haben oder reine Mitnahmeeffekte darstellen. Dies betrifft beispielsweise die FAKT-Maßnahme zum Verzicht auf Silage (FAKT A2) oder Maßnahmen, die bereits zur guten landwirtschaftlichen Praxis gehören, wie die „Begrünungsförderung“ (FAKT E1.2). Alleine mit der Umwidmung dieser beiden Fördermaßnahmen könnten zusätzlich circa 8,6 Millionen Euro pro Jahr für die Brachen in Baden-Württemberg zur Verfügung gestellt werden.
Für Enssle liegt die Notwendigkeit für Brachflächen auf der Hand: „Die Uhr tickt: Der desolate Zustand der Natur und der Artenvielfalt in der Agrarlandschaft braucht mutige Antworten aus der Politik. Das Rebhuhn, einst ein häufiger Vogel in ganz Europa und im Südwesten, steht am Abgrund, so wie viele weitere Feldvögel. Seit 1980 sind seine Bestände europaweit – und auch im Südwesten – um 94 Prozent geschrumpft. Es braucht echte Brachen, um den Sinkflug bedrohter Feldvögel zu stoppen. Dass diese wirksam sind, hat die Geschichte schon bewiesen: Bereits vor 20 Jahren gab es die Pflicht zur Flächenstilllegung von zehn Prozent der Ackerflächen, damals aus Gründen der Angebotsregulierung. Der Regelung folgte ein sehr erfolgreicher – aber leider nur kurzfristiger – Anstieg der Feldvogelbestände.“
Der NABU-Landeschef betont: „Vier Prozent Zwischenfrüchte oder Leguminosen sind kein adäquater Ersatz für vollwertige Brachen, die Feldhase, Rebhuhn und Grauammer einen Lebensraum bieten. Die Aussaat von Zwischenfrüchten ist für viele Betriebe ohnehin bereits gute fachliche Praxis, die Anträge auf Schaffung von Brachflächen sind längst gestellt und das Saatgut ist bestellt. Die Absage der Politik an GLÖZ 8 ist daher auch bitter für all jene Betriebe, die sich in Sachen Biodiversität schon längst auf den Weg gemacht haben.“
Zum Hintergrund:
GLÖZ heißen die Standards für den guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand von Flächen, von denen es neun gibt. Der Titel des GLÖZ 8-Standards lautet „Mit nicht-produktiven Flächen Biodiversität fördern“. Weitere Info: www.nabu.de/natur-und-landschaft/landnutzung/landwirtschaft/agrarpolitik/31886.html
PM NABU (Naturschutzbund Deutschland), Landesverband Baden-Württemberg e. V.