Die Teilnehmenden des Bürgerforums zur Dauer des allgemein bildenden Gymnasiums haben die Kurzfassung ihres Gutachtens mit den Empfehlungen am Montag (11. Dezember 2023) an Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung Barbara Bosch übergeben. Die baden-württembergische Landesregierung hatte den Beteiligungsprozess im Juni dieses Jahres gestartet. „Das Thema G8/G9 wurde noch nie so ganzheitlich, nachhaltig und umfassend diskutiert. Dafür bin ich den Mitgliedern des Bürgerforums sehr dankbar. Der Dialogprozess hat eindrücklich gezeigt, dass Bürgerforen funktionieren. Sie wirken wie ein Gegenfilter zu den Filterblasen der Sozialen Medien und der Einseitigkeit öffentlicher Erregungswellen. Sie nehmen eine Gewichtung der vielen Argumente vor und sind offen für langfristige Sichtweisen und Kompromisslinien“, sagte Staatsrätin Barbara Bosch bei der Übergabe in Stuttgart.
Tuğba Veli, Ursula Dow und Sébastien Gambin, die gemeinsam mit 52 weiteren Personen in vier Onlinesitzungen und zwei Präsenztagen im Bürgerforum mitgearbeitet haben, stellten die zentralen Ergebnisse vor: „Lernen, Kreativität und Entwicklung sind Prozesse, die Zeit benötigen. Deshalb brauchen wir ein modernisiertes G9 mit Wahlmöglichkeiten für G8. Ein neues G9 soll unseren Kindern die benötigte Zeit für ein möglichst stressfreies und konstruktives Lernen geben. Trotz angespannter Haushaltslage sollte uns die Bildung unserer Kinder als Motor für Innovation und Zukunftsfähigkeit die nötigen Investitionen wert sein.“
Insgesamt enthält das Gutachten 48 Empfehlungen zur Dauer des allgemein bildenden Gymnasiums sowie zur Weiterentwicklung des Gymnasiums und des gesamten Schulsystems. Eine klare Mehrheit von 78 Prozent sieht G8 nicht allein als Ursache für die Belastungen der jungen Menschen und demzufolge G9 auch nicht als die einzige Lösung, um Belastungen zu reduzieren. Mit die höchsten Zustimmungswerte mit über 95 Prozent erhielt die Aussage, dass weder bei G8 noch bei einer Rückkehr zum alten G9 die Sicherheit bestehe, dass die Bildungsziele mit dem aktuellen Schulsystem erreicht werden. Beides müsse reformiert werden. Daraus resultiert eine mit großer Mehrheit (89 Prozent) gefasste „dringende Empfehlung“ einer schulartübergreifenden Bildungsreform, um die Bildungsziele besser umsetzen zu können.
Ein starkes Argument für die zentralen Empfehlungen ist der Faktor Zeit. Eine klare Mehrheit (83 Prozent) denkt, dass junge Menschen in der Pubertät mehr Zeit brauchen, um sich zu entwickeln, um Verantwortung zu lernen und Orientierung zu finden. Einig war sich das Bürgerforum, dass mehr Zeit zum Lernen, Üben und Vertiefen des Unterrichtsstoffs zur Verfügung stehen sollte. Dieser Empfehlung haben als einzige alle Bürgerinnen und Bürger zugestimmt. Deshalb sprechen sich 89 Prozent für ein neues G9 als Normalform an allgemein bildenden Gymnasien mit für alle erreichbare G8 Wahlmöglichkeiten aus
(4 Prozent Ablehnung, 7 Prozent Enthaltungen). 53 Prozent sind darüber hinaus der Meinung, dass die strukturellen Auswirkungen auf die anderen Schularten beachtet werden sollen.
Auch zur Ausgestaltung eines modernisierten G9 äußert sich das Bürgerforum. 93 Prozent fordern kreative und partizipative Unterrichtsformate, die Verantwortung und Sozialkompetenzen fördern. 95 Prozent empfehlen mehr Praxisbezug durch Kooperationen mit Handwerk, Sozialdiensten usw. Für 85 Prozent soll die Schule grundsätzlich engere Kooperationen mit Vereinen, Hochschulen und Betrieben pflegen. 91 Prozent wünschen sich, dass die Digitalisierung vorangetrieben wird und 78 Prozent sind der Ansicht, dass mehr Unterrichtszeit für aktuelle gesellschaftliche Themen genutzt werden soll. Mit einer sehr hohen Zustimmung von 95 Prozent und ohne Gegenstimme kommt das Bürgerforum zum Schluss, dass die Investitionen in Bildung einen hohen gesellschaftlichen Wert darstellen und sich die Investitionen auch wirtschaftlich durch bessere Fachkräfte und innovationsfähige junge Menschen „rechnen”.
Staatsrätin Barbara Bosch betonte: „Das Verfahren hat dazu geführt, dass alle Argumente auf den Tisch gekommen sind. Das konnte man zum Beispiel an der Themenlandkarte zu Beginn des Prozesses sehen, die im Laufe der Zeit immer größer wurde. Und das war auch genau der Grund, weshalb wir das Bürgerforum ins Leben gerufen haben. Die öffentliche Debatte um G8 und G9 wurde bislang sehr verengt geführt. Und Bürgerforen sind ideal geeignet, ein komplexes Thema in seinen verschiedenen Facetten differenziert zu diskutieren.“
Staatsrätin Barbara Bosch dankte sowohl den Teilnehmenden des Bürgerforums für ihr großes Engagement als auch den Initiatorinnen der Initiative „G9 jetzt! BW“, denn sie hätten das Thema auf die landespolitische Bühne getragen. Bosch: „Die Landesregierung schätzt die Zivilgesellschaft und das gilt auch dann, wenn es kontroverse Debatten zur Regierungspolitik gibt. Bei diesem Bürgerforum ging es um eine Kernfrage in einem zentralen Feld der Landespolitik. Das ist gelebte Politik des Gehörtwerdens.“
Die Spitzen der Koalition werden sich morgen mit den Empfehlungen des Bürgerforums beschäftigen.
Weitere Informationen
Das Gutachten des Bürgerforums zur Dauer des allgemein bildenden Gymnasiums finden Sie auf dem Beteiligungsportal unter: https://beteiligungsportal-bw.de/buergerforum-g8g9 oder unter: www.servicestelle-buergerbeteiligung.de
Der mehrstufige Prozess hat mit einer Themenlandkarte als Kern der Beteiligung begonnen. Beim Beteiligungsscoping mit Vertreterinnen und Vertretern zahlreicher Institutionen, Verbände, Fraktionen und Initiativen wurde die Themenlandkarte ergänzt. Daraufhin wurden 50 Verbände aufgefordert, eine Stellungnahme abzugeben. Bei der anschließenden Online-Beteiligung konnten alle Bürgerinnen und Bürger ebenfalls Themenvorschläge machen. Dabei wurden über 900 Kommentare ergänzt. Das Bürgerforum hat die Aspekte der Themenlandkarte aufgenommen und in sechs Sitzungen bearbeitet und diskutiert. Das Moderationsbüro DIALOG BASIS hat das Bürgerforum im Auftrag der Servicestelle Bürgerbeteiligung organisiert und moderiert.
PM Staatsministerium Baden-Württemberg