Uhingen hält einige Überraschungen bereit

Bei der Aktion „Stadtradeln für Neubürger“ entdecken die Teilnehmer auf teils unbekannten Pfaden inmitten der Natur Uhingens Vergangenheit und erhalten seltene Einblicke beim Uhinger Weltmarktführer Kolberg Percussion.

Auch wenn Uhingen, rein auf den historischen Vergleich mit anderen Städten, laut Stadtarchivarin Carola Eberhard, keine „nennenswert außergewöhnliche Stadtgeschichte“ vorweisen kann, so hat die Stadt im unteren Filstal doch einiges zu bieten. Das zeigte sich kürzlich bei der dritten Auflage der Aktion „Stadtradeln für Neubürger“.  Die radelnden Teilnehmer erlebten nicht nur den Mix zwischen Urbanität und Ökologie, sondern schauten auch bei einem Weltmarktführer in die Produktionsräume.

Als „ältestes Verwaltungsgebäude im Landkreis Göppingen“ stellte Carola Eberhard das Rathaus an der Kirchstraße vor und verriet auch, dass es einst eine Schankgerechtigkeit gab – also die amtliche Erlaubnis, Besucher des Rathauses zu bewirten. Als nämlich in grauer Vorzeit Verträge im Rathaus geschlossen wurden, sei es Brauch gewesen, das beschlossene Rechtsgeschäft zu betrinken. Diese Tradition aber gehört längst der Vergangenheit an, ebenso wie der einstige Nutzungszweck des benachbarten Gebäudes, in dem sich die Stadtkämmerei und das Stadtbauamt befinden. „Es war einmal ein Schulhaus, wurde aber für die vielen Schüler in Uhingen zu klein“, sagte die Stadtarchivarin. Denn durch die Industrialisierung und Eisenbahnstrecke zwischen Stuttgart und Ulm wuchs Uhingen stetig an. Eine Folge des Wachstums in jüngerer Vergangenheit: 1997 wurde Uhingen zur Stadt erhoben, was zum Smalltalk zwischen den Teilnehmern der Tour und Bürgermeister Matthias Wittlinger führte. „Im Gegensatz zu einer Gemeinde können wir als Stadt zusätzliche Aufgaben übernehmen, müssen es aber nicht“, sagte der Bürgermeister.

Für Staunen sorgte der nächste Abstecher: das Jugend- und Bürgerhaus an der Kirchstraße 1. Das für 3,1 Millionen Euro sanierte einstige Bauernhaus beherbergte früher eine Schreinerei und danach eine Fahrschule. Natürlich ließen es sich die Frauen und Männer nicht nehmen, das Gebäude gründlich anzuschauen. Im Jugendhaus schauten sie den Kindern und Jugendlichen beim Billardspielen oder Tischkickern zu, dann ging es in die durch Balken und schiere Raumgröße beeindruckenden Dachgeschosse. „Je höher wir kommen, desto schöner wird es“, scherzte Matthias Wittlinger. Dass auch standesamtliche Trauungen in dem Gebäude stattfinden, wussten nur die wenigsten. „Von außen lässt sich nicht erahnen, wie groß und schön es im Inneren ist“, ließ sich eine Radlerin entlocken.

Und dann ging es auch schon aufs Fahrrad, zum längsten Abschnitt des „Stadtradelns für Neubürger“. Dieser entpuppte sich für einige Teilnehmer, die zwischen einem und acht Jahren in Uhingen wohnen, als unerwartetes Eintauchen in ein Kleinod neben der viel befahrenen B10: Auf dem geschotterten Radweg zwischen Bundesstraße und plätschernder Fils ging es entspannt an den Uhinger Ortsrand in Richtung Ebersbach, am Bauhof vorbei und an der Kläranlage zum Epplesee. Carola Eberhard verriet, dass der idyllisch anmutende See einst eine Abbaugrube von Kies war und durch eintretendes Grundwasser geflutet wurde. Und welchen Zweck haben die beiden kleinen schwimmenden Häuser auf dem See, an dessen Ufern sich das Vereinsheim des Uhinger Fischereivereins befindet? Diese Frage kam bei der kleinen Pause auf und wurde von Matthias Wittlinger beantwortet: Sie dienen der Zufuhr von Sauerstoff ins Wasser. „Als es noch keine künstliche Belüftung gab, haben sich im Sommer zum Teil Algen ausgebreitet und den See ganz rot gefärbt“, sagte der Bürgermeister. Seitdem die kleinen Häusle aber für ausreichend Luftzufuhr sorgen, was bei künstlichen Gewässern mangels Zufluss nötig ist, besteht keine Gefahr mehr.

Dass Uhingen die Heimat eines Weltmarktführers ist, sahen die Frauen und Männer anschließend beim Besuch eines Unternehmens mit beeindruckender Geschichte und noch beeindruckender Gegenwart: Kolberg Percussion (Foto). Was kaum einer weiß: In dem unscheinbar wirkenden Gebäudekomplex an der Stuttgarter Straße entstehen sämtliche Schlag-Instrumente und pfiffige Ausstattungsgegenstände für Orchester, die auf der gesamten Welt heiß begehrt sind – und nur auf diesem hohen Qualitätsniveau in Uhingen gefertigt werden. „Jeder macht wahnsinnig viel“, verriet Geschäftsführer Klaus Kolberg über die nur 30 Mitarbeitenden, die Erste-Klasse-Lösungen für Musiker liefern. Es sind das feine Gespür für den Markt gepaart mit schwäbischem Tüftler-Genie, was Kolberg ausmacht. Beispiel gefällig? Mit verstellbaren Orchesterstühlen, die mangels Lagerflächen in den Konzertsälen dieser Welt gestapelt werden müssen und können, besetzt das Uhinger Familienunternehmen eine Nische und ist das einzige Unternehmen weltweit, der solche qualitativ hochwertigen Produkte anbietet.

Im „Showroom“ sprach Klaus Kolberg dann über die Anfänge des Unternehmens, wie sein Vater und Firmengründer Bernhard Kolberg aus einer Ein-Mann-Tüftler-Werkstatt den Grundstein für ein eigenes Werk mit mehr als 6000 Quadratmetern Prodkuktions- und 1000 Quadratmetern Ausstellungsfläche  in Uhingen schuf. Alles fing mit einem kleinen Gegenstand an, um Becken für Schlagzeuge  richtig zu platzieren und dennoch ein ideales Klangerlebnis zu haben. „Es gab nicht so viele Möglichkeiten und oftmals nutzten Musiker einen umgedrehten Drumstick, den sie in eine Halterung steckten und darauf das Becken befestigten.“ Während seines Studiums (Schlagzeug an der Musikhochschule Stuttgart) stellte Bernhard Kolberg fest, dass es für den Bereich Percussion im Sinfonieorchester kaum praxisgerechtes Zubehör gibt und schuf damals die Basis für zwei wichtige Produktgruppen des Unternehmens: Zum einen begann er bereits mit der Herstellung von Percussion Mallets, zum anderen tüftelt er das bis heute einzigartige Kombiständersystem aus.

Vor den Besuchern sprach Klaus Kolberg aber auch über die Hürden bei der Weiterverarbeitung hochqualitativen Holzes aus Übersee für die Instrumente: „Das Schiff war auf dem Ozean in Richtung Deutschland unterwegs, als die Einfuhrbestimmungen geändert wurden“, erinnerte sich der Geschäftsführer. „Unsere Ware hing am Hafen fest, obwohl sie bezahlt war.“ Glücklicherweise aber wurden die Einfuhrbestimmungen wieder geändert. Auch erfuhren die Teilnehmer der exklusiven Tour, welche Schattenseiten es haben kann, exklusive und hochwertige Instrumente und Orchester-Zubehör herzustellen: Produktpiraterie. „Wir konnten die Versuche, unsere Produkte zu kopieren, bisher immer erfolgreich abwehren.“ Außerdem hörten die Teilnehmer des „Stadtradelns für Neubürger“, dass der „größte Anbieter von traditionellen asiatischen Instrumenten für Orchester“ das Uhinger Unternehmen Kolberg ist und die Uhinger Instrumenten-Tüftler sogar für den Filmklassiker „Die Blechtrommel“ drei Trommeln herstellten. Das erklärt auch die Trommel im Logo der Firma.

Nicht ohne Stolz betonte Klaus Kolberg: „Wir sind in unserem Bereich die Firma, die am leistungsfähigsten ist.“ Doch bei all dem Erfolg und den positiven Rückmeldungen aus aller Herren Länder, setzt man bei Kolberg Percussion auf Bodenständigkeit. Bestes Beispiel ist der Versand der Uhinger Produkte: Für die Herstellung der Instrumenten-Kisten verwendet das Unternehmen Holz aus dem Nassachtal oder aus Jebenhausen. Außerdem war die Firma eine der ersten, die Solarpaneele auf dem Dach montieren ließ, die sich am Stand der Sonne ausrichten.

Von diesem Einblick in eine ganz andere Welt tief beeindruckt, ging es für die Radler entspannt entlang der Stuttgarter Straße durch den Gerber Park und weiter zum historischen Ensemble des Berchtoldshofs. Das schmucke Fachwerkhaus wurde erstmals im Jahr 1477 urkundlich erwähnt. Nach dem Kauf und Umbau durch die Gemeinde Uhingen wurde es als erstes Bürgerhaus der Gemeinde 1983 eröffnet und beherbergt seither das Museum, die Musikschule und erst seit 2022 das Fotomuseum. Am Beispiel des Berchtoldshofs, der ein gewisses Zentrum darstellt, machte Matthias Wittlinger deutlich: „In Uhingen haben wir keine wirkliche Stadtmitte; wo befindet sie sich?“ Stadtarchivarin Carola Eberhard ergänzte, dass die Stuttgarter Straße, an der sich der Berchtoldshof und viele Geschäfte sowie Gastronomie-Betriebe befinden, auch eine große Bedeutung in der Vergangenheit hatte. „Hier befanden sich zwei große Wirtshäuser, die als Herberge für Reisende dienten.“ Und damit erfolgte die Überleitung zum gemütlichen Teil des „Stadtradelns für Neubürger“: „Und zu einem dieser Wirtshäuser fahren wir jetzt“, sagte Carola Eberhard und führte die Gruppe zum „Hotel Ochsen“, wo ein entspannter Ausklang bei einem Vesper erfolgte. Bis nach Einbruch der Dunkelheit hockte die Radel-Gruppe beisammen, ließ sich die Leckereien schmecken und plauderte über dies und das. Dabei zeigte sich: Solche Führungen sollte es häufiger geben.

Info: Stadtarchivarin Carola Eberhard bietet über die Volkshochschule Uhingen regelmäßig Stadtführungen zu unterschiedlichen Themen an. Auch für Privatgruppen stellt sie eine Tour durch Uhingens Vergangenheit zusammen. Informationen gibt es per E-Mail an carola.eberhard@uhingen.de oder Telefon 07161 / 93 80 135.

PM Stadt Uhingen

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