Am Dienstag, dem 27. Juni ist die Sitzung des Ausschusses für Umwelt und Verkehr des Göppinger Kreistages. Was nach einem Termin klingt, der nur für eine begrenzte Anzahl an Politikerinnen und Politiker interessant ist, könnte aber negative Signalwirkung haben. Zumindest wenn der Deutsche Gewerkschaftsbundmit seiner Einschätzung recht hat:
„Nächsten Dienstag entscheidet sich, welchenWeg der Landkreis gehen will“, so Benjamin Stein, Geschäftsführer von ver.di Fils–Neckar–Alb. „Mit dem aktuellen Vorschlag wird das genaue Gegenteil, von dem erreicht, was der Ausschuss für Umwelt und Verkehr erreichen will. Die Arbeitsbedingungen bei der Energieagentur Göppingen werden schlechter und die Auswirkungen des Fachkräftemangels damit nur umso drastischer werden“.
Will man verstehen, was den Gewerkschafter so in Rage versetzt, muss man sich die ganze
Situation genauer anschauen.
Alles beginnt mit guten Nachrichten. Die Energieagentur Göppingen hat viele Aufträge und berät Organisationen, Unternehmen und Privatpersonen im Landkreis rund um die Themen Energie und Klimaschutz. Eine moderne Institution, welche die Wettbewerbsfähigkeit im Kreis steigert und den Klimaschutz vorantreibt. Einziger Gesellschafter der Agentur ist dabei der Landkreis, vertreten durch den
Landrat. Rundum also eine gute Sache, da sind sich alle demokratischen Fraktionen und die Gewerkschaft einig. Gerade in der Energiekrise kann es nicht hochgenug geschätzt werden, dass es ein Unternehmen in öffentlicher Hand gibt, dass Bürger, Kommune und Wirtschaft bei „Energieeinsparung und nachhaltigen Energieversorgung“ mit Rat und Tat zur Seite steht. Entsprechend voll sind die Auftragsbücher und das „junge Team“ der Agentur will sich vergrößern, wie es aufder Homepage heißt.
Hier beginnen die weniger guten Nachrichten. Die Kreisverwaltung schreibt in ihrem Antrag, dass „nicht genügend qualifiziertes Personal gefunden und gehalten werden kann“. Dafür bietet es eine Erklärung an, die in Zeiten des Fachkräftemangels nicht nur Gewerkschaftern höchst Kontraintuitiv erscheinen dürfte:
„durch die Tarifbindung“ sei es nicht möglich, das Entgelt so flexibel zu gestalten, dass die Agentur ein attraktiver Arbeitgeber sein könnte.
„Als zuständige Gewerkschaft sind wir auf mehreren Ebenen irritiert. Erstens gibt es natürlich Regelungen im aktuellen Tarifvertrag, dass die kommunalen Arbeitgeber sogenannte Arbeitsmarktzulagen übertariflich vergeben können. Zweitens sind wir auch jederzeit bereit nachzuverhandeln und unsere Tarifverträge nach oben anzupassen“ legt der Geschäftsführer der Dienstleistungsgewerkschaft dar. Vielleicht, so deutet er versöhnlich an, ist das ja wirklich alles nicht bekannt: „Natürlich stehen wir hier gerne beratend zur Seite, wie die Arbeitsbedingungen noch attraktiver für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gestaltet werden können.
Das ist ja unser ureigenes Interesse“. Dann lächelt der Gewerkschafter sogar, und fügt hinzu: „Gerade Tarifgebundene Arbeitsplätze sind attraktiv und ein gutes Mittel um sich als Arbeitgeber attraktiv zu machen. Einen Tarifvertrag aufzukündigen um Fachkräfte anzulocken, ist ein einziger Widerspruch“.
Entsprechend klingt Stein auch nicht mehr so versöhnlich, wenn er fortfährt: „Es ist allerdings auch wahrscheinlich, dass die Kreisverwaltung das alles weiß. Denn Landrat Wolff ist selbst Mitglied im Kommunalen Arbeitgeberverband und selbst mit verantwortlich für die Tarifentwicklung im öffentlichen Dienst. Dass ausgerechnet ein Funktionär des Arbeitgeberverbandes nun sagt: „unser Tarifvertrag ist zu schlecht, um Fachkräfte zu gewinnen“ lässt tief blicken. Die Kreisverwaltung will jetzt den Kreistag mit vorgeschobenen Gründen dazu bewegen, die Tarifbindung des Unternehmens aufzuheben. Das gibt ihr dann nicht nur die Möglichkeit, übertariflich zu zahlen, was sie jetzt schon könnte, sondern bei anderen Stellen
auch unter Tarif zu zahlen. Das wäre die einzige wirkliche Neuerung. Der Antrag würde das Gegenteil dessen erreichen, was er vorgeblich möchte: die Agentur wird unattraktiver.“ Stein fügt mahnend hinzu: „Ein solches Vorgehen betrachten wir als Tarifflucht. Sollte es so kommen, werden wir natürlich sofort mit den betroffenen Kolleginnen und Kollegen Arbeitskampfmaßnahmen prüfen, um die Mitarbeiterinnen wieder in die Tarifbindung zu holen.“
Was das bedeutet, ist gerade im Landkreis Göppingen gut bekannt. Ende letzten Jahres hat das Mittelständige Unternehmen Saxonia seinen Mitarbeitern angekündigt, dass man aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten sei und die Tarifverträge 2023 nicht mehr für die knappen 200 Mitarbeiter gelten werden. Urlaubsund Weihnachtsgeld sowie die gerade von der IG Metall erkämpften acht Prozent
Lohnerhöhung waren damit plötzlich vakant für die die Arbeiterinnen und Arbeiter der Firma. Dann ging alles sehr schnell, zu schnell für den Chef der Firma, der wohl nicht damit gerechnet hatte, dass seine Belegschaft geschlossen für einen unbefristeten Streik stimmt um die guten Arbeitsbedingungen in der Region zu halten. Nach neun Tagen Streik blieb dem Unternehmen nichts anderes übrig, als wieder einen Tarifvertrag mit der IG Metall Geschäftsstelle Göppingen–Geislingen abzuschließen.
Martin Purschke, der erste Bevollmächtigte der IG Metall erinnert sich noch gut daran, dass auch viele Kolleginnen und Kollegen von ver.di die Streikenden damals unterstützt haben: „Es ist die Stärke unserer Bewegung, dass wir uns nicht alleine klein machen lassen. Die IG Metall wird sehr genau beobachten, wie der Kreistag an diesem Dienstag entscheidet, und wie sich die verschiedenen Fraktionen verhalten werden“. Und sollte es soweit kommen, dass der Landkreis Tarifflucht begeht, kündigt er an, seine Kolleginnen und Kollegen so unterstützen zu wollen, wie sie zu Beginn des Jahres ihn unterstützt haben.
PM DGB Region Stuttgart Esslingen-Göppingen