Zwischen Januar und März 2021 wurden rund 500 stark pflegebedürftige Streuobstbäume in sechs Kommunen im Landkreis Göppingen von professionellen Obstbaumpflegern aus der Region geschnitten. Auftraggeber war der Landschaftserhaltungsverband Landkreis Göppingen e. V. (LEV).
Nachdem im Frühjahr 2020 bereits über 600 Obstbäume in Lauterstein, Süßen, Kuchen, Bad Überkingen und Geislingen geschnitten wurden, folgten dieses Frühjahr weitere 500 Bäume in den Kommunen Deggingen, Gruibingen, Hattenhofen, Eschenbach, Göppingen und Rechberghausen.
Streuobstwiesen sind ein sehr stark von Nutzung geprägtes Kulturlandschaftselement. Damit die Bäume gesund bleiben und ein hohes Alter erreichen können, ist eine regelmäßige Pflege erforderlich. Diese ist aufwendig und anspruchsvoll. Viele Streuobstwiesenbesitzer haben heute nicht mehr die notwenige Kenntnis, um einen fachgerechten Baumschnitt durchzuführen. Häufig fehlen auch die Zeit oder die erforderlichen Gerätschaften und wegen des großen Aufwands wächst einem die Pflege der Bäume buchstäblich über den Kopf. Manchmal scheitert es schon daran, dass das anfallende Pflegematerial nicht abgefahren werden kann. Die Folge ist ein landesweit rückläufiger Bestand gut gepflegter, intakter Streuobstwiesen. Bei ausbleibendem Rückschnitt überaltern die Bäume und sterben vorzeitig ab. Meist werden die abgängigen Bäume dann nicht ersetzt oder es dauert Jahrzehnte, bis ein Ersatz wieder dieselbe ökologische Funktion übernehmen kann – eine fachgerechte Pflege vorausgesetzt. Mittelfristig verringert sich dadurch weiterhin der Streuobstbestand, der im Naturhaushalt als Mischlebensraum mit Elementen des Offenlands und des Walds eine wichtige Funktion übernimmt. Streuobstwiesen sind wertvolle Lebensräume für zahlreiche Tiere, wie Kleinsäuger und Insektenarten, aber auch für viele Vogelarten, darunter zum Teil in ihrem Bestand in Baden-Württemberg stark gefährdete Arten wie z. B. der Grauspecht oder der Wendehals.
Das Projekt des Landschaftserhaltungsverbands soll einen Beitrag dazu leisten, langfristig den guten Zustand der Streuobstwiesen im Landkreis Göppingen zu sichern und damit diesen ökologisch bedeutsamen Lebensraum zu erhalten. Dabei stand gezielt die Pflege von Beständen im Fokus, die über keine bereits bestehenden Fördermöglichkeiten abgedeckt werden konnten.
Die Mitgliedskommunen des Landschaftserhaltungsverbandes konnten sich 2018 für das Projekt bewerben. Nach der Auswahl der Kommunen und der Projektgebiete durch den LEV, konnten Streuobstwiesenbesitzer ihre Grundstücke bei ihrer Kommune zur Pflege anmelden. Der LEV und ein von ihm beauftragtes Planungsbüro kartierten die Grundstücke und legten fest, welche Bäume den Förderkriterien entsprachen. Bevorzugt sollten alte, hochstämmige und seit vielen Jahren ungepflegte Apfelbäume geschnitten werden, da gerade diese Bäume einen hohen ökologischen Wert haben und deshalb besonders erhaltenswert sind. Außerdem sollten sich die Grundstücke in größer zusammenhängenden Streuobst- und Schutzgebieten, wie bspw. in einem Natura 2000 Gebiet, befinden. Mit im Programm waren aber auch einige alte Birnenbäume, bei denen die Baumpfleger teilweise mit Seilklettertechnik arbeiten mussten, um einen fachgerechten Schnitt durchführen zu können.
Drei professionelle Teams wurden mit der Pflege der Obstbäume beauftragt. Wichtige Gesichtspunkte beim sogenannten „Revitalisierungsschnitt“ waren die Förderung der Vitalität und Stabilität der Bäume, die Entfernung von Misteln und naturschutzfachliche Aspekte wie z. B. der Erhalt von Höhlen.
Das groß angelegte Projekt entstand im Rahmen einer Konzeption für den Ausgleich des Windparks Lauterstein. Der Verursacher ist verpflichtet Ersatzgelder für den unwiederbringlichen Eingriff in Natur und Landschaft zu zahlen, die an anderer Stelle im Landkreis wieder der ökologischen Aufwertung dienen sollen. Diese Gelder werden von der Stiftung Naturschutzfonds Baden-Württemberg verwaltet. Einen Teil davon konnte der LEV als Maßnahmenträger für das Streuobstprojekt verwenden. Dafür erhielt der LEV von der Stiftung Naturschutzfonds einen Zuschuss in Höhe von 70 %. Den verbleibenden Eigenanteil von 30 % der Kosten finanzierte der LEV aus der eigenen Kasse. Außerdem organisierten die Geschäftsstellenmitarbeiter von der Auswahl der Flächen über die Angebotseinholung bis zur Begleitung der Pflegemaßnahmen fast vollständig die gesamte Abwicklung des Projekts. Die Kommunen unterstützten den LEV bei der Kontaktierung und Verwaltung der rund 100 Teilnehmer. Diese mussten lediglich für den Abtransport des Schnittguts sorgen.
In Lauterstein, Süßen, Bad Überkingen und Kuchen wurden die Teilnehmer sogar dabei unterstützt. Dort musste bei der Pflegemaßnahme im Vorjahr lediglich das angefallene Material an den Parzellenrand bzw. eine ausgewiesene Sammelroute getragen werden. Die Planung der Routen und die Begleitung der Umsetzung hat sich als recht kompliziert erwiesen und den LEV wie auch die beauftragten Firmen vor große Herausforderungen gestellt.
Kleine Rückschläge gab es leider auch zu verzeichnen. Eigentlich war im Rahmen des Projekts geplant je 100 Jungbäume der Lokalsorten Göppinger Musch, Gingener Luiken und Börtlinger Weinapfel herstellen zu lassen und diese den Kommunen zur Verfügung zu stellen. Für diese Sorten hat der Landkreis eine Patenschaft übernommen. Leider war es jedoch nicht möglich vom Göppinger Musch und vom Gingener Luiken krankheitsfreies Vermehrungsmaterial zu finden. Im ganzen Landkreis wurden von verschiedenen Bäumen sogenannte Veredelungsreiser gewonnen und zur Überprüfung an das Landwirtschaftliche Technologiezentrum Augustenburg geschickt. Dort hat man neben der Apfeltriebsucht, einer häufigen bakteriellen Erkrankung von Apfelbäumen, auch verschiedene Virenerkrankungen wie Apfelblattfleckenvirus, oder Apfelmosaikvirus nachgewiesen. Eine Vermehrung in einer Baumschule war damit nicht mehr zulässig und auch nicht sinnvoll. Der LEV wird sich weiter darum bemühen von diesen Sorten vermehrungsfähiges Material zu finden, damit diese Lokalsorten, von denen es im Landkreis nur wenige bekannte Bäume gibt, erhalten bleiben.
Das Streuobstprojekt ist nun nach insgesamt fünfjähriger Laufzeit auf der Zielgeraden. Zum Abschluss werden noch bis zum Ende des Jahres Nisthilfen für Vögel und Fledermäuse angeschafft. Diese Maßnahme richtet sich an im Streuobstwiesenschutz aktive Vereine und Verbände im Landkreis, wie beispielsweise Obst- und Gartenbauvereine, NABU oder BUND Ortsgruppen oder Fördervereine für Streuobstwiesenprodukte. Die Vogelnistkästen und Fledermausquartiere werden vom LEV an die Vereine und Verbände verteilt und von diesen auf Streuobstwiesen vorzugsweise im Vogelschutzgebiet ausgebracht. Die knapp 100 Nisthilfen tragen zu einer weiteren Aufwertung des Lebensraums Streuobstwiese bei, und schaffen bessere Bedingungen und Nistmöglichkeiten für die dort heimischen Tierarten. Unterschlupf finden können dort zum Beispiel Meisen, Stare, Halsbandschnäpper oder Gartenrotschwanz aber auch verschiedene Fledermausarten.
Insgesamt standen für die Aufwertung der Streuobstwiesen im Landkreis Göppingen knapp 90.000 € zur Verfügung. Die Umsetzung dieses Mammut-Projekts hat den LEV vor manche Hürde gestellt. Insgesamt kann aber eine äußerst positive Bilanz gezogen werden. Es ist erfreulich, dass zahlreiche Landkreiskommunen an dem Projekt mitgewirkt haben und viele Privateigentümer die Fördermöglichkeit in Anspruch nahmen. Auch in Zukunft werden die Streuobstwiesen, neben den Wacholderheiden und weiteren ökologisch wertvollen Landschaftselementen im Fokus der LEV-Arbeit stehen, da sie weit über den Kreis hinaus eine Besonderheit in der Kulturlandschaft darstellen.
Hintergrundinformationen:
Der Landschaftserhaltungsverband Landkreis Göppingen e. V. (LEV) ist ein gemeinnütziger Verein, der sich für den Schutz und den Erhalt der Kulturlandschaft und biologischen Vielfalt einsetzt. Für den Landkreis Göppingen prägende Biotope und Landschaftselemente, wie Wacholderheiden, Hecken oder auch Streuobstwiesen, werden durch individuelle Pflegemaßnahmen betreut, sodass deren Funktion als Lebensraum erhalten bleibt. Die Aufgabe des LEV ist dabei vorrangig die Koordination, Organisation und Begleitung der Landschaftspflegemaßnahmen im Konsens mit allen Beteiligten. Dabei spielt Natura 2000, eine zentrale Rolle. Ebenso gehört die Beratung und Öffentlichkeitsarbeit zum Tätigkeitsfeld des LEV.
Der Verein setzt sich aus Vertretern der Kommunen, der Landwirtschaft und des Naturschutzes zusammen. Dabei ist die Drittelparität des Vorstandes hervorzuheben. Aktuell sind 32 Kommunen und 7 Vereine Mitglieder. Vorsitzender des Vereines ist Landrat Edgar Wolff.
Für weitere Informationen lohnt sich ein Besuch der Homepage des LEV: www.lev-gp.de.
Natura 2000
Natura 2000 ist ein zusammenhängendes Netz von Schutzgebieten innerhalb der Europäischen Union und setzt sich zusammen aus FFH-Gebieten (Fauna-Flora-Habitat) und Vogelschutzgebieten. Sein Zweck ist der länderübergreifende Schutz gefährdeter wildlebender heimischer Pflanzen- und Tierarten und ihrer natürlichen Lebensräume.
Streuobstwiesen im Landkreis Göppingen
Im Landkreis Göppingen gibt es in etwa 4.400 Hektar Streuobstwiesen mit ca. 240.000 Bäumen.
PM Landschaftserhaltungsverband Landkreis Göppingen e.V.