„Viele Betriebe in der Region sind nicht nur außerordentlich erfolgreich. Sie sind zudem verantwortungsvolle Arbeitgeber, die auch Menschen Chancen der Beschäftigung und Ausbildung geben, die auf dem Arbeitsmarkt zu unrecht oft aus dem Blick geraten, weil ihre Voraussetzungen für eine berufliche Entwicklung aus unterschiedlichsten Gründen nicht so optimal sind wie bei den meisten anderen Menschen“, sagt IHK-Präsidentin Marjoke Breuning bei der gemeinsamen Pressekonferenz von Industrie- und Handelskammer (IHK) und Handwerkskammer Region Stuttgart. „Und das hat auch Vorteile für die Unternehmen, denn viele Menschen haben Potenziale als Fachkräfte, die mit passgenauen Angeboten und entsprechender Unterstützung erschlossen werden können“, so Handwerkspräsident Rainer Reichhold. Die Kammern fördern und unterstützen das Engagement der Betriebe auf vielfältige Weise und bieten umfangreichen Service, so die Kammervertreter.
Bei der heutigen Pressekonferenz im Stuttgarter IHK-Haus rücken die Kammerspitzen diese Angebote in den Fokus, um sie bei Betrieben und Arbeitnehmern bekannter zu machen. Demnach versetzt die weiterhin sehr gute Konjunktur in der Region Stuttgart viele Betriebe in die Lage, Angebote zum Beispiel an Berufserfahrene machen zu können, die keinen formalen Nachweis ihrer Qualifikation haben, an Menschen mit Handicap, Geflüchtete, leistungsschwächere Jugendliche und Menschen, die für Angehörige sorgen oder alleinerziehend sind. Besonderes Augenmerk widmen die Kammern auch den von Abbrüchen bedrohten Ausbildungsverhältnissen.
Viele Geflüchtete haben inzwischen in Betrieben der Region einen festen Platz: Fast 400 junge Menschen mit Fluchthintergrund sind in diesem Jahr in Handwerksbetrieben der Region in eine Ausbildung gestartet, mehr als 300 sind es in Berufen aus Industrie, Handel und Dienstleistungsgewerbe. Handwerkpräsident Reichhold: „Die Betriebe sind froh über die motivierten Azubis, vor allem in Berufen mit hoher Nachfrage und wenigen Bewerbern, wie im Nahrungsmittelhandwerk. Die Geflüchteten finden im Gegenzug eine berufliche Heimat, kommen im wahrsten Sinne des Wortes in ‚Lohn und Brot‘ und bahnen sich über hilfsbereite, aufgeschlossene Kolleginnen und Kollegen und oft auch den engagierten Chef und seine Familie den Weg in Freundeskreise oder Vereine.“ Es sei wichtig, dass Handwerkskammer und IHK mit ihren Willkommenslotsen, Kümmerern und Beratungsstellen diese Entwicklung unterstützen, so dass noch mehr Flüchtlinge in eine Ausbildung starten könnten.
Dabei sei in Ausbildung und Beschäftigung Planungssicherheit das A und O für die Unternehmen. Laut IHK-Präsidentin hoffen viele Betriebe, dass aus der 3+2-Regelung (3 Jahre Ausbildung + mindestens 2 Jahre berufliche Tätigkeit im erlernten Beruf) eine 1+3+2-Regelung wird, die auch die Einstiegsqualifizierung mit einbezieht. „Das ist die Erfolgsformel für gelingende Integration von Geflüchteten“, so Breuning. Außerdem wünschten sich Unternehmen, die Geflüchtete ausbilden, dass die 3+2-Regelung automatisch gilt, sobald ein Ausbildungsvertrag vorliegt. Das jüngst vereinbarte Eckpunktepapier der Bundesregierung für ein Einwanderungsgesetz bringe dafür allerdings wenige Ansätze. „Damit unsere Betriebe im globalen Wettbewerb um Fachkräfte bestehen können, braucht Deutschland eine moderne Zuwanderungsstrategie, die über reine ausländerrechtliche Regelungen hinausgeht“, so Breuning. Dazu gehörten mehr Standortwerbung, Sprach- und Kulturangebote sowie eine gezielte internationale Fachkräfteakquise.
Um Menschen ohne Berufsabschluss, aber mit Berufserfahrung, einen Weg in qualifizierte Beschäftigung zu ebnen, beteiligt sich die IHK an dem bundesweiten Projekt ValiKom, an dem auch die Handwerkskammer demnächst mitwirken wird. „Fast 40 Prozent aller Arbeitnehmer in Deutschland arbeiten derzeit nicht im erlernten Beruf. Wenn diese Personen qualifizierte Tätigkeiten ausüben, erwerben sie für den Betrieb wertvolle berufliche Kompetenzen, die formal aber nicht bestätigt sind. Mit dem Projekt ValiKom sollen diese beruflichen Kompetenzen erfasst, beurteilt und damit sichtbar gemacht werden“, sagt Breuning. Neben Ungelernten kommen für das Verfahren auch Personen in Frage, die in einem anderen als dem erlernten Beruf tätig sind, sowie Quereinsteiger und Menschen mit im Ausland erworbenen Berufserfahrungen, die keinen Anspruch auf eine Anerkennung dieses Abschlusses haben. Seit März 2017 erprobt die IHK – gemeinsam mit anderen Kammern – das entwickelte Verfahren schwerpunktmäßig in der Metalltechnik und in der Gastronomie. Bisher konnten 31 solcher Verfahren abgeschlossen werden, 30 davon erfolgreich.
„Auch Ausbildungsabbrüche treiben die Kammern um“, sagt Handwerkspräsident Reichhold. „Denn jeder Abbruch – aus welchen Gründen auch immer – ist ein herber Rückschlag für den jungen Menschen und mit viel Frust für den Ausbildungsbetrieb verbunden.“ Damit möglichst wenige Ausbildungsverhältnisse vorzeitig gelöst werden und bei Problemen konstruktiv Lösungen gefunden werden, unterstützen Handwerk und IHK zahlreiche Projekte, die Ausbildungsqualität fördern und Abbruch vermeiden, wie zum Beispiel „Erfolgreich ausgebildet – Ausbildungsqualität sichern“ sowie das bundesweite Netzwerk „VerA – Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen“.
Breuning und Reichhold sind beeindruckt davon, dass in Mitgliedsbetrieben auch viele Menschen einen Platz finden, die wegen der Art und Schwere ihrer Behinderung eine Ausbildung in einem anerkannten Beruf nicht absolvieren können. Derzeit erlernen 324 Auszubildende mit Handicap einen gewerblichen oder kaufmännischen Sonderberuf, die meisten von ihnen bei Bildungsträgern. Diese Berufe sind von anerkannten Ausbildungsberufen abgeleitet, enthalten aber weniger Theorie und schließen mit dem Fachpraktiker-Abschluss ab. Die meisten Abschlüsse werden in Metallberufen, im Lagerbereich und in Küchen absolviert. Im Handwerk dominieren bei den Fachwerker-Berufen die Bau- und Metallmaler. Insgesamt sind beim Handwerk aktuell 144 aktive Auszubildende und Umschüler in Sonderberufen in die Handwerksrolle eingetragen.
Die Kammervertreter berichten auch über Fälle, bei denen ein erlernter Beruf nicht weiter ausgeübt werden kann, zum Beispiel weil er in Deutschland in dem Maße nicht mehr gebraucht wird, wie beispielsweise der „klassische“ Drucker. Häufig sind es auch gesundheitliche Gründe, die zu einer Umschulung führen, zum Beispiel Unverträglichkeiten bestimmter Stoffe oder Allergien. Auch aus der Arbeitslosigkeit heraus erfolgen Umschulungen. Typische Umschulungsberufe sind Kaufmann/-frau Büromanagement, Industriemechaniker/-in und Fachinformatiker/-in Systemintegration. Neu hinzu kommt ab 2019 der Beruf Qualitätsfachmann/-frau Fertigungsprüftechnik. In Industrie, Handel, Dienstleistungsgewerbe und Handwerksbetrieben in der Region Stuttgart werden aktuell insgesamt fast 1.300 Menschen umgeschult.
Die Kammern beraten auch zum Thema Teilzeitausbildung. Dieses Berufsbildungsangebot richtet sich an Personen, die aus privaten Gründen nicht in Vollzeit arbeiten können. „Wer beispielweise Angehörige pflegt oder sich um seine Kinder kümmert, kann so gleichzeitig einen Abschluss erlangen. Auch in Teilzeit könne man einen wichtigen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten, so die Kammervertreter. Mehr als 100 Azubis werden aktuell in der Region Stuttgart in Teilzeit ausgebildet.
PM IHK Region Stuttgart