Fahrverbote treffen vor allem Pendler Geschäftsbetrieb der Unternehmen muss gesichert bleiben

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart befürchtet durch die von der Landesregierung angekündigten Fahrverbote für Diesel bis einschließlich Euro 4 ab 2019 vor allem Einschnitte für die Beschäftigten der rund 160.000 IHK-Mitgliedsbetriebe im Großraum Stuttgart. Wie stark der originäre Wirtschaftsverkehr mit Liefer- und Servicefahrten betroffen sein wird, werde von der Ausgestaltung der Sonderregeln für die Unternehmen abhängen. „Dass es nun trotz des Rückgangs der Stickoxidbelastung in Stuttgart zu Fahrverboten kommen soll, ist keine gute Nachricht für die Betriebe in der Region“, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Johannes Schmalzl.

Von den Beschränkungen für ältere Dieselfahrzeuge ab Anfang 2019 werden nach Einschätzung der IHK vor allem Berufspendler getroffen. Hauptgeschäftsführer Schmalzl verweist dazu auf ein IHK-Gutachten zur Erreichbarkeit von Gewerbegebieten in der Region Stuttgart. Dieses habe gezeigt, dass viele Gewerbegebiete und Arbeitsplatzschwerpunkte in der Region nur unzureichend an das ÖPNV-Netz angebunden beziehungsweise von Stuttgart aus oft nur mit dem Auto in akzeptabler Zeit erreichbar sind. Das Land müsse darum schnell für Klarheit sorgen, ob neben Fahrten in die Stadt hinein auch Auspendler von Fahrverboten betroffen sein sollen.

Die Wirtschaft dürfte aber auch dadurch betroffen sein, dass Kunden des innerstädtischen Handels und Gäste von Hotels und Gastronomiebetrieben mit älteren Fahrzeugen die Stadt meiden werden. Inwieweit es gelingen wird, diese zu einem Umstieg auf den ÖPNV zu bewegen, müsse abgewartet werden.

Für Handwerker und den Lieferverkehr hat die Regierungskoalition Ausnahmen angekündigt. Das ist aus Sicht von Hauptgeschäftsführer Schmalzl grundsätzlich begrüßenswert, da sich die IHK entsprechend der Beschlusslage in ihrer Vollversammlung wiederholt für umfassende Ausnahmen für den Wirtschaftsverkehr ausgesprochen hat. Vor einer abschließenden Bewertung müsse jedoch abgewartet werden, wie die Ausgestaltung der Ausnahmen konkret aussehen werde. Der Teufel stecke dabei im Detail. So müsse berücksichtigt werden, dass beispielsweise auch Servicetechniker mit älteren Fahrzeugen mobil sein müssen, um EDV-Wartungsverträge erfüllen zu können, oder dass Trockenbauunternehmen, die nicht als Handwerksbetriebe registriert sind, ihre Kunden erreichen müssen.

Bestandteil des aktuellen Maßnahmenkatalogs ist zudem eine Schnellbuslinie, der im Bereich der B 14 stadtauswärts ein Fahrstreifen als reine Busspur zur Verfügung gestellt werden soll. Aus IHK-Sicht ist es im Sinne kurz- bis mittelfristiger Optimierungen zu adäquaten Kosten durchaus sinnvoll, auf Schnell- oder Direktbusse zu setzen. Auf dieser Strecke bestehe so die Chance für ein System, das qualitativ und von der Leistungsfähigkeit her zwischen einem klassischen Busverkehr und einem Schienenangebot liegt. Bislang scheiterten Anläufe für Pilotprojekte in der Region Stuttgart nicht zuletzt an Vorbehalten seitens Politik und Verwaltung. Es wird sich jedoch zeigen müssen, ob der positive Effekt, den die neue Schnellbuslinie mit emissionsarmer, innovativer Antriebstechnik entfalten soll, Nachteile überwiegt. Durch die Umnutzung des Fahrstreifens könnte der Verkehrsfluss für alle anderen Fahrzeuge auf den verbleibenden Spuren verschlechtert werden.

Unabhängig von den aktuellen Entwicklungen hat die IHK Region Stuttgart zu Fahrverboten die folgende Position:

Die Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart (IHK) spricht sich gegen die Einführung von generellen Fahrverboten bei Überschreiten von Schadstoffwerten in Stuttgart aus. Diese Maßnahmen erscheinen weder geeignet noch angemessen. Sollten die Verantwortlichen generelle Fahrverbote zur Minderung der Schadstoffsituation erlassen, wären umfassende Ausnahmen für den Wirtschaftsverkehr eigentlich nicht zu vermeiden.

Die Einschnitte für Mitarbeiter, die im Falle von Fahrverboten ihre Arbeitsplätze nicht per öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) erreichen könnten und damit die wirtschaftlichen Folgen für Unternehmen wären gravierend. Besonders betroffen wären der Wirtschaftsverkehr und eben nicht nur private PKW-Fahrten sowie die Berufspendler.

Die Verantwortlichen beim Land Baden-Württemberg, dem Regierungspräsidium und der Stadt Stuttgart müssen sich nach Ansicht der Kammer der Herausforderung, trotz überhöhter Schadstoffwerte eine funktionierende Innenstadt zu erhalten, stellen. Gemeinsam mit der Wirtschaft sollte ein Versorgungs- und Logistikkonzept für Stuttgart ausgearbeitet werden. Es muss sichergestellt werden, dass die Bevölkerung mit Waren und Dienstleistungen versorgt werden kann und die Innenstädte als Gewerbestandorte bestehen bleiben.

Supermärkte und Geschäfte müssen mit Lebensmitteln und Waren beliefert, Post und Pakete müssten zugestellt werden, unternehmens- und haushaltsnahe Dienst- und Handwerkerleistungen müssten auch bei überschrittenen Grenzwerten zuverlässig und schnell erbracht werden können. Auch die Verkehre zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftstätigkeit insgesamt müssten sichergestellt sein.

Des Weiteren eröffnet die Aufnahme einer Nordostumfahrung Stuttgarts in den weiteren Bedarf des Bundesverkehrswegeplans langfristig die in der Vergangenheit versäumte Chance, möglichst viel Verkehr zwischen den Räumen Ludwigsburg und dem Rems-Murr-Kreis beziehungsweise dem Neckartal östlich von Stuttgart an der Stuttgarter Gemarkung vorbeizuführen. Die Stuttgarter Gemeinderatsmehrheit, die sich gegen einen Nord-Ost-Ring ausgesprochen hat, sollte umdenken. Die IHK stützt sich dabei auf ein von ihr 2016 in Auftrag gegebenes Gutachten zur Erreichbarkeit von Gewerbegebieten in der Region Stuttgart, die das Defizit auf dieser Verbindung erneut erkennen lässt. Auch die in 2017 veröffentlichte IHK-Studie zu Stauursachen in der Region Stuttgart belegt, dass ein wesentlicher Anteil der Verkehre, die auf Stuttgarter Gemarkung (ins. den Bundesstraßen) stattfinden, Verkehre zwischen den umliegenden Landkreisen sind. Wären Tangentialverbindungen verfügbar, könnte dies zu einer deutlichen Reduzierung der Belastungen in Stuttgart führen. Außerdem zeigt die Studie auf, dass Maßnahmen zur Unfallvermeidung sich direkt positiv auf eine Reduzierung von Staus und somit zu einer Reduzierung von Luftschadstoffen führen.

Die IHK-Erreichbarkeitsanalyse zeigt zudem, dass viele Gewerbegebiete in der Region nur unzureichend mit den Verkehrsmitteln des ÖPNV erreichbar sind. Hier setzt die Kammer im Sinne der Standortpolitik auf eine Verbesserung und ausreichende Finanzierung. Zugleich verweist sie aber auch darauf, dass diese Arbeitsplatzschwerpunkte von Stuttgart aus oft nur mit dem Personenkraftwagen (Pkw) in akzeptabler Qualität erreichbar sind. Verkehrsrestriktionen in Stuttgart würden diese Verkehre mit Ursprung in Stuttgart erheblich behindern.

Die Wirtschaft ist bereit, weiterhin zu einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung beizutragen. Allerdings können die Unternehmen nicht in immer kürzeren Zyklen Fahrzeuge anschaffen, die die neueste Abgasnorm erfüllen. Die IHK plädiert dafür, dabei die ökonomischen Rahmenbedingungen, denen die Unternehmen unterworfen sind, zu berücksichtigen. Denn selbst eine effizientere Gestaltung von Logistik und Verkehr oder der verstärkte Umstieg auf die so genannten umweltfreundlichen Verkehrsträger lassen nur begrenzte Wirkungen im Hinblick auf Nachhaltigkeit erwarten. Auch der Transitverkehr, den die Unternehmen im Land nicht beeinflussen können, lässt noch immer ein überdurchschnittliches Wachstum und damit erhebliche Probleme erwarten.

Die Wirtschaft spricht sich aus Gründen der Vermeidung eines „Flickenteppichs“ dafür aus, die Umweltzonen in Baden-Württemberg und die dafür geltenden Maßnahmen zu vereinheitlichen. Außerdem plädiert die IHK dafür, dass möglichst bundesweit eine einheitliche Regelung gefunden wird.

Seit der Einführung von Umweltzonen und dem damit eingeführten System roter, gelber und grüner Plaketten zur leichteren Identifizierbarkeit der Emissionsklassen der Fahrzeuge, sind die EU-Abgasvorschriften weiterentwickelt worden. Deshalb erscheint es sinnvoll, für die Kennzeichnung von Fahrzeugen, die aktuellen Abgasvorschriften genügen, eine zusätzliche (blaue) Plakette einzuführen. Gleichsam rät die Wirtschaft dazu, im Sinne guter Planbarkeit und politischer Zuverlässigkeit nicht dazu überzugehen, mit jeder Einführung neuer EU-Abgasklassen auch neue Plakettenfarben zu verbinden. Die IHK hält es indes für sinnvoll, künftig für die Beurteilung des Emissionsverhaltens realistische Fahrszenarien reinen Prüfstandsmessungen vorzuziehen.

Sofern seitens der öffentlichen Hand die Einführung von Restriktionen zur Einhaltung gesetzlicher Vorgaben gegenüber bestimmten Verkehren oder Fahrzeugen bzw. Verkehrsmitteln als notwendig erachtet wird, ist aus Sicht der Wirtschaft insbesondere Wert darauf zu legen, dass die Restriktionen geeignet, angemessen und wirkungsvoll sind. Dabei ist zudem abzuwägen, ob Maßnahmen oder Restriktionen gegen andere Emittenten von Luftschadstoffen in ihrer gesundheitlichen und volkswirtschaftlichen Wirkung nicht besser geeignet sind als Maßnahmen gegen den Verkehr. Planbarkeit ist in diesem Zusammenhang für die Unternehmen besonders wichtig. Deshalb werden Maßnahmen, die einen kurzen zeitlichen Vorlauf von nur einigen wenigen Monaten aufweisen, von der Wirtschaft grundsätzlich abgelehnt. Kurzfristige Planungshorizonte kollidieren regelmäßig mit den eher mittelfristigen Investitionszyklen von Unter-nehmen, insb. wenn es um höherpreisige Güter wir Kraftfahrzeuge geht. Zudem sind kurzfristige Maßnahmen regelmäßig dazu geeignet, eine Wettbewerbsverzerrung herbeizuführen.

Hintergrund:

Verkehr ist Voraussetzung und zugleich Folge des Wirtschaftens. Wirtschaftswachstum geht in einer arbeitsteiligen Gesellschaft mit Verkehrsmengenwachstum einher, eine Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Verkehrsmengenwachstum ist bislang nicht möglich. Verkehr, gleich ob Wirtschafts-, Berufs- oder Freizeitverkehr, ist jedoch mit Umweltbelastungen verbunden. Insbesondere sind dies die Emissionen aus dem Verbrennungsprozess in den Motoren. Der technische Fortschritt in der Motorenentwicklung führt zwar zu einer ständigen Verbesserung, indes kann die Erneuerung der Fahrzeugflotte nicht mit den schnell steigenden Umweltanforderungen Schritt halten.

Die rechtlichen Regularien rund um die Zulassung von Kraftfahrzeugen und deren Luftschadstoffemissionen sind bislang nicht in einer Art und Weise ausgestaltet, dass die Einhaltung der gesetzlich festgelegten Grenzwerte im realen Fahrbetrieb jederzeit gegeben ist. Dies belegen Überprüfungen an einigen zugelassenen Fahrzeugen durch diverse (Prüf-) Organisationen, die teilweise eklatante Überschreitungen dokumentieren. Es ist anzunehmen, dass die Überschreitungen der Prüfmesswerte im Realbetrieb auch Auswirkungen auf die Schadstoffkonzentration in Stuttgart haben. Zum September 2017 werden für die Typgenehmigung neuer Fahrzeugtypen und im weiteren Zeitverlauf auch für die Typgenehmigung neuer Fahrzeuge (unabhängig davon, ob Otto- oder Dieselkraftstoff verbrannt wird) deutlich strengere Maßstäbe an das Emissionsverhalten fossil angetriebener Fahrzeuge angelegt.

Die Automobilindustrie sollte einen Beitrag dazu leisten, dass künftig erstmals zum Straßenverkehr zugelassene Fahrzeuge einen wesentlich geringeren Anteil zur Luftschadstoffbelastung beitragen, als dies bislang der Fall ist.

Die Folge ist eine derzeit anhaltende Überschreitung der zulässigen Grenzwerte, insbesondere bei Stickoxiden. Darauf reagieren die zuständigen Behörden mit Maßnahmen, die eine Einhaltung der Grenzwerte sicherstellen sollen. Diese Maßnahmen umfassen auch restriktive Anordnungen wie beispielsweise zu Beginn der Luftreinhaltemaßnahmen die Einführung von Umweltzonen und „Umweltplaketten“ nach der 35. Bundes-Immissionsschutzverordnungen (BImSchV) oder die Einführung von LKW-Durchfahrtsverboten. Darüber hinaus wurde vom Land angekündigt, ab Januar 2018 mit dem Ziel, die Luftschadstoffbelastung zu reduzieren, Fahrverbote für bestimmte Fahrzeuge anzuordnen.

Minderheitenposition zum Thema Fahrverbote:
Die Industrie- und Handelskammern sind nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 12. Juli 2017 aufgefordert, abweichende Interessen einzelner Mitglieder darzustellen. Gerne kommt die IHK Region Stuttgart dieser Vorgabe mit folgender Darstellung zum Thema Fahrverbote nach:
In der Vollversammlung der IHK Region Stuttgart am 13.Juli 2017 haben Mitglieder der Vollversammlung unter anderem den Antrag gestellt, dass die Landesregierung aufgefordert werden soll, ab Januar 2018 ganzjährige Fahrverbote in Stuttgart für alle Diesel-Fahrzeuge vorzubereiten. Das Fahrverbot soll antragsgemäß auch für benzingetriebene Fahrzeuge gelten, falls diese im Alltagsbetrieb den Grenzwert nicht einhalten und ebenfalls an der Verschmutzung beteiligt sind. Für diesen Antrag haben 21 Mitglieder der Vollversammlung gestimmt, 49 Mitglieder haben gegen den Antrag gestimmt.

IHK Region Stuttgart

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