HK und Handwerkskammer appellieren: Wirkungsgutachten nochmals überprüfen – Kammern wollen aktuelle Verringerung der Schadstoffwerte berücksichtigt wissen

Handwerkskammer und Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart appellieren an das Regierungspräsidium Stuttgart, bei der nun notwendigen Anpassung der Maßnahmen im Luftreinhalteplan zur Einhaltung der Immissionsgrenzwerte für NO2 in Stuttgart die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahmen noch einmal in den Blick zu nehmen. Das Gesamtwirkungsgutachten des Regierungspräsidiums, das Grundlage des durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigten Stuttgarter Urteils ist, unterschätze möglicherweise die positive Dynamik der Flottenentwicklung, wie die Abnahme der Schadstoffwerte in den letzten zwei Jahren vermuten lasse, argumentieren die Kammern.

Es sollte berücksichtigt werden, dass technische Verbesserungen bereits zu einer deutlichen Annäherung an die Grenzwerte geführt haben. Werden die Grenzwerte aber auch ohne drakonische Sperrmaßnahmen in absehbarer Zeit eingehalten, sollte die Notwendigkeit von Fahrverboten nochmals auf den Prüfstand.

Optimistisch stimmt laut Kammern auch die Vereinbarung im Koalitionsvertrag der Großen Koalition, wenn sie denn zustande kommt. Dort haben sich die Koalitionspartner darauf geeinigt, bei der pauschalen Dienstwagenbesteuerung für Elektro- und Hybridfahrzeuge einen reduzierten Satz von 0,5 Prozent des inländischen Listenpreises einzuführen. Allein in der Landeshauptstadt sind aktuell rund 75.000 Fahrzeuge auf gewerbliche Halter zugelassen. Auch wenn das nicht alles klassische Dienstwagen sind, so käme bei einem Wechsel auf E-Fahrzeuge ein nicht geringer Anteil der insgesamt rund 300.000 in Stuttgart zugelassenen Fahrzeuge in den Genuss des Steuervorteils. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sich auch dies positiv auf die Flottenerneuerung auswirken wird.

Thomas Hoefling, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Region Stuttgart, verweist auf die hohe Betroffenheit der Unternehmen in der Region Stuttgart: „Ein Fahrverbot ist ein gravierender Eingriff und trifft die Unternehmen in der Region ins Mark. Die meisten unserer Handwerksbetriebe wären direkt betroffen, obwohl sie das Problem nicht verursacht haben.“ Es mangele schlicht an Alternativen bei den Dieselfahrzeugen, denn teils noch bis 2016 wurden in den für das Handwerk relevanten Fahrzeuggruppen fast nur Dieselfahrzeuge der Euro-5-Norm angeboten.

IHK-Hauptgeschäftsführer Johannes Schmalzl sagt: „Offensichtlich zeigen die ergriffenen Maßnahmen bereits Wirkung. Es ist wahrscheinlich, dass die Grenzwerte auch ohne Fahrverbote deutlich schneller eingehalten werden können, als ursprünglich angenommen. Daher sollte von Fahrverboten Abstand genommen werden.“

Mit dem Bundesverwaltungsgerichtsurteil liegt die Forderung nach einem ganzjährig geltenden Verkehrsverbot für alle Kraftfahrzeuge mit benzin- oder gasbetriebenen Ottomotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 3 sowie für alle Kraftfahrzeuge mit Dieselmotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 6/VI wieder auf dem Tisch. Das Stuttgarter Verwaltungsgericht hatte diese Maßnahme im letzten Jahr als die derzeit einzige Luftreinhalteplanmaßnahme zur schnellen Einhaltung der überschrittenen Immissionsgrenzwerte eingestuft. Allerdings bezog sich das Gericht dabei auf das Gesamtwirkungsgutachten. Wie sich jetzt zeigt, waren die darin enthaltenen Prognosen aber zu konservativ. Das wird deutlich, wenn man den Status quo 2017 am Neckartor mit den Werten aus dem Jahr 2015 vergleicht. Die Werte für 2015 sind deshalb so bedeutsam, weil das Gesamtwirkungsgutachten bei seinen Prognosen zur Beschreibung der angenommen Entwicklung darauf Bezug nimmt. Tatsächlich sank die Zahl der NO2-Stundenwertüberschreitungen am Neckartor mit Werten größer 200 µg/m³ von 61 im Jahr 2015 auf 3 im Jahr 2017. Das bedeutet eine Reduktion der Grenzwertüberschreitungen von 95 Prozent. Beim Jahresmittelwert sind die Rückgänge nicht ganz so deutlich. Doch auch hier bedeutet der Rückgang von 87 µg/m³ im Jahr 2015 auf 73 µg/m³ im Jahr 2017 eine Reduktion um 16 Prozent. Im Vergleich dazu prognostizierte das Wirkungsgutachten bis zum Jahr 2020 – also über einen mehr als doppelt so langen Zeitraum – nur einen geringfügig größeren Rückgang um 23 Prozent auf 67,2 µg/m³.

Vor diesem Hintergrund ist das Regierungspräsidium einerseits gefordert, sein Wirkungsgutachten nochmals zu überprüfen und andererseits, jetzt nicht über das Ziel hinauszuschießen, mahnen die beiden großen Wirtschaftskammern in der Region Stuttgart, die zusammen die Interessen von rund 190.000 Mitgliedsbetrieben vertreten. Sollten Fahrverbote nach einer Aktualisierung des Wirkungsgutachtens überhaupt noch erforderlich sein, müsse die Versorgung der Innenstadt durch einen weiterhin fließenden Wirtschaftsverkehr sichergestellt werden. Der aktuelle Entwurf des Luftreinhalteplans enthalte aus Sicht der Wirtschaft dafür gute Ansatzpunkte.

Hinweis auf Minderheitenmeinung in der Vollversammlung der IHK Region Stuttgart: Am 13. Juli 2017 haben Mitglieder der Vollversammlung unter anderem den Antrag gestellt, dass die Landesregierung aufgefordert werden soll, ab Januar 2018 ganzjährige Fahrverbote in Stuttgart für alle Diesel-Fahrzeuge vorzubereiten. Das Fahrverbot soll antragsgemäß auch für benzingetriebene Fahrzeuge gelten, falls diese im Alltagsbetrieb den Grenzwert nicht einhalten und ebenfalls an der Verschmutzung beteiligt sind. Für diesen Antrag haben 21 Mitglieder der Vollversammlung gestimmt, 49 Mitglieder haben gegen den Antrag gestimmt.

PM

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