Der Baden-Württembergische Handwerkstag (BWHT) gratuliert der gestern benannten Mannschaft der neuen Landesregierung. „Die für uns vorrangigen Ministerien sind an der Spitze gut aufgestellt“, sagte Landeshandwerkspräsident Rainer Reichhold. Gespannt sei er auf die Überraschungsbesetzung Nicole Hoffmeister-Kraut als Wirtschaftsministerin. Der grün-schwarze Koalitionsvertrag setze aus Sicht der Wirtschaft die richtigen Schwerpunkte, allerdings gebe es für das Handwerk auch ein paar Kröten zu schlucken.
„Wir erwarten vor allem, dass unsere Hoffnung auf einen Beauftragten oder eine Beauftragte für Mittelstand und Handwerk nicht enttäuscht wird, auch wenn er oder sie wohl leider keinen Kabinettsrang haben wird“, bekräftigte Reichhold eine der zentralen Forderungen des Handwerkstages. Er sei froh, dass das vor kurzem gestartete Strategieprojekt Handwerk 2025 fortgesetzt werde. Dieses Projekt brauche neben einer hochrangigen Begleitung auch Offenheit und Dialogbereitschaft bei der Umsetzung der Handlungsempfehlungen. Das ausdrückliche Bekenntnis zur Mittelstandsförderung sei erfreulich: „Aber das muss sich finanziell konkret bemerkbar machen.“
Der Koalitionsvertrag biete eine gute Grundlage für die Schulpolitik der nächsten fünf Jahre: „Es kommt nicht darauf an, wie die Schulart heißt. Hauptsache, sie fördert leistungsstarke und leistungsschwächere Schüler individuell und führt sie zur Ausbildungsreife“, unterstrich Reichhold. In der beruflichen Bildung müssten begonnene Reformen nicht nur fortgesetzt, sondern verstärkt werden. „Es reicht nicht aus, Verbesserungen für Auszubildende und Handwerksbetriebe zu prüfen. Sie müssen auch umgesetzt werden“, mahnte Reichhold. Dies gelte insbesondere für den Erhalt wohnortnaher Berufsschulen, die Erhöhung der Internatskostenzuschüsse und die Erprobung neuer Ausbildungsmodelle. Um den direkten Übergang in eine duale Ausbildung zu stärken dürfe es keinerlei Änderungen mehr geben am Fach Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung. Die Berufliche Orientierung an allen Schularten müsse fest verankern werden. Zudem müsse die Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Bildungssystemen gestärkt werden.
Zu den großen Herausforderungen im Handwerk zählt die Digitalisierung. Kritisch sieht der BWHT, dass gerade dieser Bereich ins Innen- statt ins Wirtschaftsministerium kommt. Wenn hierdurch Verwaltungsabläufe gestrafft und der Breitbandausbau beschleunigt werde, dann könne man damit gut leben. Reichhold: „Aber Digitalisierung ist auch Aus- und Weiterbildung und Geschäftsmodellentwicklung, es heißt nicht umsonst Wirtschaft 4.0.“ Das Handwerk werde genau schauen, ob die neu geschaffenen Strukturen dem in allen Bereichen gerecht oder ob wieder Stückwerk statt Politik aus einem Guss gemacht werde. Klar sei: „Ohne schnelles Netz bleiben die Vorteile des Internets für Handwerksbetriebe Utopie.“ Reichhold begrüßte den neuen Anlauf, die steuerliche Abschreibung energetischer Gebäudesanierung auf die Agenda im Bund zu setzen. Dies sei ein Schlüsselelement, um die gewünschte Dynamik zur Steigerung der Sanierungsquote zu erreichen: „Da werden wir die Landesregierung in die Pflicht nehmen.“ Mit Bedauern stellte Reichhold allerdings fest, dass das Handwerk zwar einerseits ausdrücklich als ein zentraler Partner bei der ökologischen Modernisierung und der Energiewende genannt werde, an anderer Stelle aber als Akteur der Energiewende und Partner bei Erzeugung, Versorgung und Beratung neben Stadtwerken, regionalen Energieversorgern und EnBW dagegen nicht.
Ein ganz wichtiger Punkt, so Reichhold, sei darüber hinaus das Versprechen, das Subsidiaritätsprinzip nicht aufzuweichen. Wenn man die Hürden senke, sei zu befürchten, dass Kommunen verstärkt handwerkliche Leistungen anbieten und dadurch Handwerksbetriebe vom Markt verdrängen. Positiv vermerkte Reichhold die angekündigte Vereinfachung des Vergaberechts, damit sich auch kleinere und mittelständische Unternehmen leichter an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen können. Aufgeschreckt hat das Handwerk nach den schlechten Erfahrungen in der letzten Legislaturperiode ein Hinweis in den Medien auf eine mögliche Grunderwerbsteuererhöhung: „Der Kauf eines eigenen Grundstücks wird meist in der Phase der Existenzfestigung in Betracht gezogen.“ Damit falle die Steuerzahlung in eine kritische Zeit, in der Erweiterungsinvestitionen anstehen, die Arbeitsplätze schaffen.
Reichhold betonte abschließend, das Handwerk freue sich auf die Zusammenarbeit mit der neuen Landesregierung. Mit Ministerpräsident Kretschmann und Umweltminister Untersteller werde der Handwerkstag den engen und vertrauensvollen Austausch fortsetzen. Die Wirtschaftsministerin komme aus einem familiengeführten Unternehmen mit einer langen handwerklichen Tradition und ihre Staatssekretärin Katrin Schütz habe als Damenschneiderin ihre Wurzeln im Handwerk: „Beste Voraussetzungen also aus unserer Sicht.“ Er sei außerdem sicher, dass Kultusministerin Eisenmann und Staatssekretär Schebesta ein offenes Ohr für die bildungspolitischen Anliegen des Handwerks haben werden.
PM