Christian Rauch zu seinen Einschätzungen über Industrie 4.0 Interview mit dem Vorstand der Bundesagentur für Arbeit Regionaldirektion BW

‚Unternehmen 4.0‘ ist das Leitthema des diesjährigen Landeskongresses der Offensive Mit-telstand BW und Offensive Gutes Bauen BW. Der Kongress am 9. Oktober in Stuttgart will KMU in Baden-Württemberg für das Thema ‚Industrie 4.0‘ sensibilisieren. Im Vorfeld des Kongresses interviewen die beiden Offensiven verschiedene Experten zu deren Einschät-zungen über Industrie 4.0. Das Gespräch mit Christian Rauch, Vorsitzender der Geschäfts-führung, Regionaldirektion BW der Bundesagentur für Arbeit, ist das vierte von insgesamt sechs Interviews.

Offensive Mittelstand BW: Herr Rauch, was verstehen Sie unter Industrie 4.0 oder „Ar-beiten 4.0“? Was schätzen Sie, wie sich die Arbeitsagenturen dadurch in den nächs-ten zehn Jahren verändern?

Christian_Rauch_Foto-BundesagenturfürArbeitChristian Rauch: Für mich ist Industrie 4.0 die Digitalisierung, im engeren Sinne die Kommu-nikation von Maschinen über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg. Deren genaue Aus-wirkungen auf die Beschäftigung, wer also die „Gewinner“ oder „Verlierer“ sein werden, sind heute noch nicht prognostizierbar.

Im Sinne von 4.0 als Digitalisierung fragen wir uns als Bundesagentur, was bedeutet Dienst-leistung 4.0? Wie kommen wir näher an unsere Kunden heran? Ein erster Schritt ist, dass seit kurzem das Arbeitslosengeld I online beantragt werden kann. Am komfortabelsten funk-tioniert das über unsere App „Bringt weiter“. Außerdem gibt es noch BEN, unseren digitalen Berufsentwicklungsnavigator. Er beantwortet alle Fragen zur beruflichen Weiterentwicklung ganz individuell und die Stellensuche kann direkt online erfolgen. Ich gehe davon aus, dass unsere Kunden in zehn Jahren fast alles von zuhause aus erledigen können. Digitalisierung bedeutet auch für uns, dass alle Prozesse auf dem Prüfstand stehen und ständigen Verän-derungen unterliegen werden.

BW und die Region Stuttgart sind besonders von Automobil- und Maschinenbau ge-prägt. Wie wirkt sich Industrie 4.0 vor diesem Hintergrund auf die Arbeit der Ar-beitsagenturen aus?

Rauch: Wir haben in Baden-Württemberg eine innovative Wirtschaft mit einer hohen Zahl an Weltmarktführern. Nun muss es gelingen, Industrie 4.0 als zusätzlichen Wachstumstreiber für Beschäftigung zu nutzen.

Auch wenn wir heute noch nicht wissen, welche Auswirkungen 4.0 auf welche Personen-gruppen haben wird, so ist doch klar, dass sich die Anforderungen an die Tätigkeiten verän-dern. Das Lernen für den Arbeitsplatz und über den Arbeitsplatz und Arbeitgeber hinaus wird immer wichtiger werden.

Bereits heute bieten wir Beschäftigten drei Zugänge zu Weiterbildungsmöglichkeiten: den Online-Berufsentwicklungsnavigator, über die Qualifizierungsberatung in den Betrieben und als ganz neues Angebot die Weiterbildungsberatung für Arbeitnehmer in ausgewählten Mo-dellregionen.

Seit diesem Jahr läuft in der Region Stuttgart das zweijährige Pilotprojekt Weiterbildungsbe-

ratung der Bundesagentur für Arbeit. Wir erproben in den Kreisen Stuttgart, Ludwigsburg und Waiblingen ein neues Dienstleistungsangebot für Beschäftigte, also nicht für Arbeitslose. Diese Weiterbildungsberatung hat einen hohen inhaltlichen Anspruch. Sie will Beschäftigte zur Weiterbildung animieren und individuelle Weiterbildungsmöglichkeiten aufzeigen – unab-hängig vom Arbeitgeber.

Es heißt, mit der Digitalisierung der Arbeit steigen die Qualifizierungsanforderungen, nicht nur beim beruflichen Einstieg, sondern entlang der gesamten Erwerbsbiografie. Wie denken Sie darüber?

Rauch: Ich gehe davon aus, dass der Begriff des lebenslangen Lernens eine neue Relevanz erhält. Zudem glaube ich, die duale Ausbildung oder ein Studium bleiben weiterhin die Vo-raussetzung für den Einstieg ins Arbeitsleben.

Früher hat eine Ausbildung 40 bis 50 Jahre lang durch das Arbeitsleben getragen. Dies ist bereits heute nicht mehr so. Künftig hat eine Ausbildung eher die Funktion, „ich lerne zu ler-nen, mich zu organisieren, mich in eine Organisation einzupassen“. Das reine Wissen wird damit immer mehr entwertet, das lebenslange Lernen immer mehr an Bedeutung gewinnen.

Davon unabhängig erfordert Industrie 4.0 neue Fähigkeiten: 4.0 läuft in einer Art „Blackbox“. Diese Nicht-Sichtbarkeit dessen, was geschieht, erfordert ein höheres Verständnis von Komplexität und Abstraktionsvermögen bei den Beschäftigten.

Im Grünbuch Arbeiten 4.0 des Bundesarbeitsministeriums wird prognostiziert, dass präventive Unterstützungen künftig wichtiger werden. Wie sehen Sie das?

Rauch: Schon in meiner Kindheit warb eine Krankenkasse mit dem Slogan „Vorbeugen ist besser als heilen“. In der Arbeitsmarktpolitik verfolgen wir seit zehn Jahren diesen Gedanken verstärkt bei Jugendlichen mit der Berufseinstiegsbegleitung. Die Erfahrungen mit präven-tiven Ansätzen zeigen, dass dies für die Gesellschaft definitiv Sinn macht. Der hohe An-spruch dabei ist es, Prävention zu betreiben, obwohl wir nicht wissen, wo künftig die Heraus-forderungen und Umbrüche liegen.

Wie sehen Sie die Prognosen für niedrig Qualifizierte?

Rauch: Die dritte industrielle Revolution reduzierte die Beschäftigung der einfachen Tätigkei-ten von 50 Prozent auf zehn bis 15 Prozent. Bei 4.0 gibt es zwei Szenarien. Im ersten Sze-nario setzt sich der Mechanismus weiter fort, wonach es weniger Beschäftigung für niedrig Qualifizierte gibt. Im zweiten Szenario fallen durch die Maschine-zu-Maschine- Kommunikation ebenfalls Tätigkeiten weg, dies betrifft aber den mittleren Bereich mit Verwal-tung und Meistern oder Technikern. Für uns alle ist noch unklar, welches Szenario eintritt. Persönlich sehe ich eher das zweite Szenario, Veränderungen der sogenannten „white-collar-Jobs“, was unter anderem Statusverluste mit sich bringt. Wichtig dabei ist, zu wissen, dass wir beide Szenarien gestalten können!

Wie ist Ihr Ausblick zu Industrie 4.0?

Rauch: Die dritte industrielle Revolution liegt nun 40 Jahre zurück – die Vision der men-schenleeren Fabrik ist nicht eingetreten. Im Gegenteil ist der Beschäftigungsstand seit der Automatisierung gestiegen. Der Erfahrungswert damals war, dass wir in der Übergangszeit viele Menschen in die Arbeitslosigkeit „verloren“ haben. Die Frage und gleichzeitig große Aufgabe ist es, ob wir dies beim Umbruch durch Industrie 4.0 besser schaffen. Wir müssen die Trends beobachten und handeln. Ich denke, der Technologiesprung durch 4.0 bringt in Baden-Württemberg insgesamt eine höhere Beschäftigung. Netzwerk Offensive Mittelstand Baden-Württemberg Tel. 0711-65869430 E-Mail kontakt@ombw.de Mobil 0171-8535902 www.offensive-mittelstand-bw.de Fax 0711-65869436 3

 

Vielen Dank Herr Rauch.

Offensive Mittelstand BW und Offensive Gutes Bauen BW zu Industrie 4.0

Die aktuelle Aufgabe der Offensive Mittelstand und Offensive Gutes Bauen ist es, den klei-nen und mittleren Unternehmen Orientierung im 4.0-Dschungel zu geben, sie zur Selbstver-änderung zu ermutigen und bei ihrer Neujustierung konkret zu unterstützen. Die Frage, wel-che IT-Lösung oder welcher Standard bei der Digitalisierung im Unternehmen künftig zum Einsatz kommt, ist erst nach der neuen Zukunftsausrichtung des Unternehmens zu klären.

Landeskongress 2015: Unternehmen 4.0

Der 4. Landeskongress der Offensive Mittelstand BW und Offensive Gutes Bauen BW findet am 9. Oktober 2015 in den Bürgerräumen West, Stuttgart statt. Der diesjährige Kongress steht unter dem Leitthema ‚Unternehmen 4.0 – Herausforderungen, Ziele, Wege‘. Dabei wird vorgestellt und diskutiert, warum kleine und mittlere Unternehmen und Betriebe sich heute mit der Thematik 4.0 auseinandersetzen müssen, um auch morgen ihre Marktfähigkeit zu behalten.

Über die Offensive Mittelstand BW und Offensive Gutes Bauen BW

Die ehrenamtlich geführten Netzwerke Offensive Mittelstand BW und Offensive Gutes Bauen BW richten sich mit ihren Angeboten und Unterstützungsinstrumenten an kleine und mittlere Unternehmen sowie an Bauherren, Planer und weitere am Bau Beteiligte. Das regionale Netzwerk in Baden-Württemberg möchte auf diese Angebote und den daraus resultierenden Nutzen für KMU hinweisen und unterstützt Unternehmen bei der individuellen Umsetzung.

Die Herzstücke der Offensiven sind die INQA-Unternehmens-Checks ‚Guter Mittelstand‘ und ‚CASA-Bauen‘. Vertiefendes Instrument ist der Check ‚Personalführung‘. Hiermit können vor allem Unternehmer kleiner Betriebe systematisch die Qualität ihrer Personalführung überprü-fen. Darüber hinaus ist der Check auch für Führungskräfte in größeren Unternehmen geeig-net. Es finden sich viele Anregungen für eine gute Personalführung. Der Check hilft, die Be-schäftigten zu befähigen und zu motivieren, gute Leistungen zu erbringen. Er hilft auch, die Beschäftigten zu unterstützen, gesund und gerne im Unternehmen zu arbeiten.

Weitere Informationen gibt es auf www.offensive-mittelstand-bw.de, www.gutes-bauen-bw.de, www.gute-bauunternehmen.de, www.inqa.de, www.offensive-mittelstand.de, www.offensive-gutes-bauen.de.

Bild: Bundesagentur für Arbeit

PM

 

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