Interview mit Südwestmetall zu Chancen und Risiken von Industrie 4.0 für KMU
„Das Thema Führung ist der Schlüssel für den Erfolg von Veränderungsprozessen“, bekräftigt Kai Schweppe, Geschäftsführer Arbeitspolitik von Südwestmetall. Dies gelte umso mehr für einen der wohl größten Veränderungsprozesse der nächsten Zeit: Industrie 4.0.
„Alle von uns bisher begleiteten Projekte zur ‚Sicherung von Produktionsarbeit in Deutsch-land‘ zeigen, dass Veränderungsprozesse davon abhängen, inwieweit Sie die Führungskräfte und Mitarbeiter mitnehmen und begeistern können“, so Schweppe. Er erklärt weiter: „Lei-der haben in vielen Unternehmen die Führungskräfte zu wenig Zeit für tatsächliche Führungsarbeit. Stattdessen sind die Vorgesetzten im Tagesgeschäft meist in der Rolle der Fachexperten gefragt.“
Nach seiner Einschätzung verändern sich die Aufgaben der Führungskräfte in Zukunft, durch neue Arbeitsformen, Arbeitsplatzgestaltung und Arbeitszeitmodelle. Die zunehmende mobile Arbeit erfordert Zusammenarbeit über räumliche Distanz und führt zu veränderten administrativen Prozessen. Mit den – auch von den Beschäftigten begrüßten – Flexibilisierungen ergäben sich ganz neue Herausforderungen für Arbeitgeber, aber auch für Betriebsräte. Führungsarbeit sowie Arbeitsschutz, Fürsorgepflicht und „Sicherstellung der Arbeitsleistung“ stünden so vor neuen Herausforderungen. Eine „Totalüberwachung“ der Arbeitnehmer sei jedoch kein Ziel der Unternehmen.
So appelliert Kai Schweppe an die Betriebe, ihren Führungskräften die Aufgaben und Erwartungen an Führung eindeutig zu beschreiben und ihnen die dringend notwendige Zeit für Führungsaufgaben zu geben. Mit Qualifizierungsmaßnahmen in Methoden- und Sozialkompetenz sollten sie für ihre künftige Führungsarbeit befähigt werden.
Chancen für den Mittelstand
Die Chancen von Industrie 4.0 sieht der Geschäftsführer Arbeitspolitik vor allem darin, kun-denindividuell so rationell und schnell produzieren zu können wie bislang in Großserie. Mit einer hochflexiblen Fertigung und ebenso flexiblen wie gut qualifizierten Mitarbeitern könne ein neuer Variantenreichtum geschaffen werden. Durch die kundenindividuelle Fertigung eröffneten sich breitere Marktsegmente und Geschäftsfelder.
Die Aufgabe dabei sei es, die Prozessketten so zu optimieren und zu organisieren, dass die Produkte im internationalen Wettbewerb bestehen können und der Produktionsstandort Deutschland gesichert wird. „Die Chancen von Industrie 4.0 können nur dann genutzt wer-den, wenn die Wettschöpfungsketten im Sinne von Lean Management konsequent gestaltet sind. Störungsfreie und robuste Prozesse sind die Grundvoraussetzungen, um Industrie 4.0 umsetzen zu können“, so Schweppe.
Risiken von Industrie 4.0
Für Kai Schweppe haben viele der Visionen rund um Industrie 4.0 etwas vom „Blick in die Glaskugel“. So ist nach seiner Einschätzung völlig unklar, ob Jobs mit einfachen Tätigkeiten oder klassische Facharbeiter-Jobs wegfallen, oder ob aus qualifizierten Tätigkeiten noch höherwertigere Jobs entstehen. Die konkreten Auswirkungen auf die Qualifizierung könnten noch nicht abgeschätzt werden. Sicher vorhergesagt werde könne, dass neue Berufsbilder entstehen werden und sich Ausbildungsinhalte verändern. Der Prozess zur Schaffung neuer Berufsbilder müsse wesentlich beschleunigt werden, um mit der Unternehmenswirklichkeit mithalten zu können.
Aktuell fragten sich insbesondere kleinere Unternehmen, „was ist der richtige Weg für mich in der Industrie 4.0?“ Wie kann etwa der Stanzteilehersteller mit 80 Mitarbeitern auf der Alb erkennen, welche Potentiale ihm Industrie 4.0 bietet? Ein Unternehmer, der morgens durch die Fertigung geht und mit seinen Mitarbeitern spricht, für den sei eine menschenleere Fabrik keine Zukunftsoption, so die Einschätzung von Schweppe. Für diese Unternehmer gehe es auch darum, wie ihre gelebten Werte in Zukunft weiter bestehen. Es gehe um Fragen wie: „Wie will ich als Unternehmer künftig arbeiten? In welchem Umfeld sollen meine Mitarbeiter bei mir arbeiten?“
Als große Herausforderung betrachtet Kai Schweppe den relativ hohen Aufwand für die Unternehmen, um sichere Prozess- und Datenstrukturen für die Digitalisierung zu schaffen. Die Digitalisierung bedürfe auch Veränderungen beim unternehmerischen Selbstverständnis. Vieles, das bisher erfolgreich „aus dem Bauch heraus“ angepackt wurde, müsse künftig klar strukturiert für die digitalisierten Wertschöpfungsprozesse aufbereitet werden.
Für ihn ist es eine spannende Frage, wie letztendlich die unternehmensübergreifende Datenvernetzung gestaltet wird. Beispielsweise ohne dass die Unternehmen für Kunden oder Lieferanten „gläsern“ werden. Der Datenaustausch müsse in einem absolut gesicherten Raum stattfinden.
Zukunftsaufgaben für Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften
Als Geschäftsführer Arbeitspolitik beobachtet Kai Schweppe die Entwicklungen bei Industrie 4.0 sehr genau, da sich die technischen Veränderungen auch auf die Aufgaben des Arbeitgeberverbandes auswirken: „Durch geänderte Produktionsprozesse, neue Anforderungen an Arbeitsgestaltung und Prozessgestaltung ist Veränderungsbedarf bei tariflichen und gesetzlichen Regelungen, beispielsweise im Hinblick auf Arbeitszeiten oder Entgeltsysteme zu er-warten. Das geht weiter bis zu Themen wie Führung, Arbeitsorganisation, Qualifizierungsanforderungen, Aufstiegsmöglichkeiten und Gesundheitsmanagement.“
Offensive Mittelstand BW und Offensive Gutes Bauen BW zu Industrie 4.0
Die aktuelle Aufgabe der Offensive Mittelstand und Offensive Gutes Bauen ist es, den kleinen und mittleren Unternehmen Orientierung im 4.0-Dschungel zu geben, sie zur Selbstveränderung zu ermutigen und bei ihrer Neujustierung konkret zu unterstützen. Die Frage, welche IT-Lösung oder welcher Standard bei der Digitalisierung im Unternehmen künftig zum Einsatz kommt, ist erst nach der neuen Zukunftsausrichtung des Unternehmens zu klären.
Landeskongress 2015: Unternehmen 4.0
Der 4. Landeskongress der Offensive Mittelstand BW und Offensive Gutes Bauen BW findet am 9. Oktober 2015 in den Bürgerräumen West, Stuttgart statt. Der diesjährige Kongress steht unter dem Leitthema ‚Unternehmen 4.0 – Herausforderungen, Ziele, Wege‘. Dabei wird vorgestellt und diskutiert, warum kleine und mittlere Unternehmen und Betriebe sich heute mit der Thematik 4.0 auseinandersetzen müssen, um auch morgen ihre Marktfähigkeit zu behalten.
Für Südwestmetall nimmt Jürgen Dörich an der Expertenrunde des Landeskongresses teil.
Über die Offensive Mittelstand BW und Offensive Gutes Bauen BW
Die ehrenamtlich geführten Netzwerke Offensive Mittelstand BW und Offensive Gutes Bauen BW richten sich mit ihren Angeboten und Unterstützungsinstrumenten an kleine und mittlere Unternehmen sowie an Bauherren, Planer und weitere am Bau Beteiligte. Das regionale Netzwerk in Baden-Württemberg möchte auf diese Angebote und den daraus resultierenden Nutzen für KMU hinweisen und unterstützt Unternehmen bei der individuellen Umsetzung.
Die Herzstücke der Offensiven sind die INQA-Unternehmens-Checks ‚Guter Mittelstand‘ und ‚CASA-Bauen‘. Vertiefendes Instrument ist der Check ‚Personalführung‘. Hiermit können vor allem Unternehmer kleiner Betriebe systematisch die Qualität ihrer Personalführung überprüfen. Darüber hinaus ist der Check auch für Führungskräfte in größeren Unternehmen geeignet. Es finden sich viele Anregungen für eine gute Personalführung. Der Check hilft, die Beschäftigten zu befähigen und zu motivieren, gute Leistungen zu erbringen. Er hilft auch, die Beschäftigten zu unterstützen, gesund und gerne im Unternehmen zu arbeiten.
Weitere Informationen gibt es auf www.offensive-mittelstand-bw.de, www.gutes-bauen-bw.de, www.gute-bauunternehmen.de, www.inqa.de, www.offensive-mittelstand.de, www.offensive-gutes-bauen.de.
PM