Landeshandwerkspräsident Rainer Reichhold: Handwerk fordert mutige Wirtschaftspolitik

Der Baden-Württembergische Handwerkstag (BWHT) fordert im Vorfeld der Landtagswahl 2016 eine Politik zur Stärkung des Mittelstandes. Dazu gehöre unter anderem die Rückkehr zu einem eigenständigen Wirtschaftsministerium, sagte der neue Landeshandwerkspräsident Rainer Reichhold. Er stellte heute (08.07.) in einer Pressekonferenz die landespolitischen Positionen des Verbandes vor: „Sie sind die Messlatte, die wir an die Wahlprogramme anlegen.“

Eine mutige Wirtschaftspolitik gebe es nicht, ohne den Fokus auf die kleinen und mittleren Betriebe zu richten, sagte Reichhold.  Gleich mehrere handwerksrelevante Bereiche seien nach dem Regierungswechsel 2011 aus dem ehemaligen Wirtschaftsministerium aus- und in andere Häuser eingegliedert worden. Diese Themen müssten wieder in eine Hand. Das Handwerk fordere deshalb ein eigenständiges Ministerium für Wirtschaft, Bau und Digitalisierung. Dazu gehöre auch, dass der Mittelstandsbeauftragte nicht nur im Ehrenamt, sondern mit Kabinettsrang ausgestattet sein müsse. Alles andere werde dem Gewicht des Mittelstandes für die Wirtschaft in Baden-Württemberg nicht gerecht.

„Wer das Handwerk stärkt, stärkt das Land“
In den Wahlprüfsteinen „Wer das Handwerk stärkt, stärkt das Land“ hat der Handwerkstag Handlungsempfehlungen zu sieben Kernthemen auf den Punkt gebracht. Zentrales Anliegen sind gezielte Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität der dualen Ausbildung. „Zwischen duale und akademische Bildung gehört ein Gleichheitszeichen“, erklärte Reichhold.  Er erwarte hierzu ein klares Bekenntnis der Politik, zum Beispiel durch den Erhalt wohnort- und betriebsnaher Berufsschulstandorte und der Übernahme von Internatskostenzuschüssen bei auswärtiger Unterbringung.

Bildungspolitik: Von Zielen noch weit entfernt
Noch ein ganzes Stück weit vom Ziel entfernt sieht Reichhold die Schulpolitik im Land: „Da klaffen noch große Lücken in der Umsetzung  einer neuen Schul- und Lernkultur.“ Zudem fehle es an neuen Formaten zur Ansprache von Schülern und Eltern sowie zur Fortbildung der Lehrkräfte. Die Gemeinschaftsschulen müssten in der Sekundarstufe I gemeinsam mit den Realschulen die starke zweite Säule neben den achtjährigen Gymnasien bilden. Die Debatte um G8 oder G9 müsse beendet werden: „Die beruflichen Gymnasien bieten schon heute flächendeckend die Möglichkeit zum Abitur in neun Jahren.“  Grundsätzlich plädiert das Handwerk für die landesweite Einführung einer verbindlichen Ganztagsschule an zumindest vier Tagen.

Kommunalwirtschaft: Vorrang für Private
Vehement wandte sich Reichhold gegen Bestrebungen der Kommunalwirtschaft, die interkommunale Zusammenarbeit zukünftig umsatzsteuerfrei zu gestalten: „Ganz klar und eindeutig muss auch hier die in der Gemeindeordnung verankerte strenge Subsidiarität mit dem klaren Vorrang der privaten Leistungsbringung gelten.“ Wettbewerbsvorteile für Kommunen stünden der Intension des Mittelstandsförderungsgesetzes konträr entgegenstehen.

Wirtschaft 4.0 kann mehr als Industrie 4.0
Als Zukunftsthema für das Handwerk bezeichnete der BWHT-Präsident den Trend zur Digitalisierung: „Unsere Partner aus Automobilwirtschaft, Maschinenbau und als Zulieferer erwarten, dass wir mithalten können.“ Das Handwerk brauche deshalb auf kleine Handwerksbetriebe ausgerichtete Förder- und Beratungsangebote. Wirtschaft 4.0 könne mehr als Industrie 4.0. Das Handwerk werde diesen Gedanken in die „Handwerks-Strategie 2025“ einbringen, die gemeinsam mit dem Finanz- und Wirtschaftsministerium geplant ist.  Den Auftakt bilde eine Strukturstudie im Herbst, danach sollen in zentralen, aber vor allem auch regionalen Foren konkrete Handlungsempfehlungen erarbeitet werden.

In Brüssel präsenter sein
Bürokratie abbauen, dezentrale Energieversorgung stärken, energetische Gebäudesanierung und die Forderung, die Außenwirtschaftsinstrumente des Landes zu reformieren sind weitere Beispiele für die Anliegen des Handwerks. Im Übrigen, führte Reichhold weiter aus, müsse sich auch die baden-württembergische Handwerksorganisation in Brüssel stärker sichtbar machen – „in welcher Form, das steht ganz oben auf meiner Agenda für mein erstes Amtsjahr“.

Weitere Herausforderungen
Herausforderungen gebe es viele, sagte darüber hinaus BWHT-Hauptgeschäftsführer Oskar Vogel. Eine Daueraufgabe bleibe die Fachkräftesicherung. Das beste Instrument hierfür sei der Meisterbrief als Grundstein für erfolgreiches Wirtschaften. Nach wie vor gefordert sei das Handwerk deshalb bei der Abwehr der Angriffe der EU auf die Meisterqualifikation. Hierfür brauche es den Schulterschluss mit der Politik. Dies gelte auch für das Thema Flüchtlinge. Dem Handwerk gehe es um diejenigen, die in unserem Land rechtlich eine gute Bleibeperspektive haben: „Sie könnten wir viel zügiger in die Gesellschaft integrieren, hier liegt Potenzial brach.“ Sprachkurse sollten ohne Wartezeit beginnen können. Auch brauchten die ausbildenden Betriebe Planungssicherheit – die könne ein garantiertes Bleiberecht für die Ausbildung plus zwei Jahre Berufspraxis schaffen. Insoweit bleibe das soeben verabschiedete Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts deutlich hinter den Erwartungen des Handwerks zurück.

Das Handwerk verstehe sich als strenger Prüfer der Mittelstandstauglichkeit politischer Programme,  erklärte BWHT-Präsident Rainer Reichhold abschließend:  „Wir wollen Einfluss nehmen, denn das ist unsere Aufgabe.“ Dafür werde das Handwerk sein Gewicht als zentrale Säule der baden-württembergischen Wirtschaft in die Waagschale werfen.

Die BWHT-Wahlprüfsteine stehen zum Download bereit unter www.handwerk-bw.de

PM

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