Unter diesem Thema stand die Veranstaltung des Stadtbehindertenrings STeiGle zum alljährlichen Europäischen Protesttag zur Gleichstellung der Menschen mit Behinderungen im Mai 2015. Die Veranstaltung wurde von Herrn Holger Scheible in seiner Eigenschaft als Stellvertreter des Oberbürgermeisters mit einem Grußwort eingeleitet. Er betonte die Wichtigkeit des Veranstaltungsthemas und des Engagements des Stadtbehindertenrings und wies auf den geplanten barrierefreien Umbau des Geislinger Rathauses hin. Bedauerlich wäre hingegen der Zustand des Bahnhofs; die Bahn hätte eine Sonderregelung bei der Einhaltung der UN-Behindertenrechtskonvention durchgesetzt und hätte keine klaren zeitlichen Vorgaben, die Barrierefreiheit umzusetzen.
Im Zentrum des Abends stand der Vortrag von Frau Ulrike Jocham, Heilerziehungspflegerin und Dipl.-Ing. in Architektur aus Stuttgart, zum Thema Schwellenfreiheit. Sie bezeichnete Schwellenfreiheit als ihre Herzensangelegenheit, was auch den ganzen Vortrag hindurch spürbar war. Ihr Anliegen: Design für alle (Universal Design), also von Anfang an so zu planen, dass das Ergebnis für alle von Vorteil ist. Was für die einen ein Komfortgewinn ist, ermöglicht den anderen mehr Selbständigkeit und verringert den Kostenaufwand für Assistenz. Menschen mit Sehbehinderung und Vollerblindung brauchen in Gebäuden keine Schwellen als Orientierungshilfe, wie Experten und Betroffene berichten. Absolute Schwellenfreiheit stellt eine wichtige Sturzprophylaxe dar, da die alltäglichen Stolperfallen gar nicht erst entstehen.
Viel zu wenig wird beachtet, dass die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland 2009 ratifiziert wurde. Damit hat sie Gesetzescharakter und steht über allen anderen Regelungen. Praktisch heißt das, dass alle Baugesetze, die Schwellen und Barrieren zulassen, rechtswidrig sind. Die Kunst des schwellenfreien Bauens bedeutet, Architekten, Handwerker, Produkthersteller, Sozialleistungsträger, Akteure der Behinderten- und Altenhilfe u.v.a. unter einen Hut zu bringen. Die Normengebung hinkt diesen Ansprüchen hinterher. Sie orientiert sich immer noch an Althergebrachtem, Innovationen finden viel zu wenig Beachtung. Frau Jocham verweist auf verschiedene gelungene Beispiele, vor allem auf das Bielefelder Modell, bei dem eine gemeinnützige Wohnungsgesellschaft (BGW) und ein sozialer Dienstleister kooperieren, um selbstbestimmtes Wohnen für Menschen mit Behinderungen und ältere Personen mit und ohne Unterstützungsbedarf zu ermöglichen – selbst bei einem Assistenzbedarf rund um die Uhr. Durch konsequente Umsetzung des „Universal Designs“ mit Schwellenfreiheit und Bewegungsflächen von min. 120/120 cm ist jede Wohnung für nahezu jeden nutzbar, durch die Raumaufteilung sind genügend Bewegungsflächen für Rollstuhlfahrer vorhanden. Damit wird auch die Assistenz vereinfacht: Pflegekräften wird die Arbeit durch entsprechenden Bewegungsraum erleichtert.
Die Mehrkosten für Barriere- bzw. Schwellenfreiheit sind gering oder fallen gar nicht an, wenn bereits bei der Bauplanung entsprechende Maßnahmen berücksichtigt werden. Umbauten hingegen werden häufig sehr teuer. In allen Fällen ist es wichtig, sich vorher zu informieren. Leider gibt es immer noch zu viele Architekten und Handwerker, die lieber die alten vertrauten Regelungen und Produkte anwenden. Dadurch werden z.B. Schwellen mit 2 cm Höhe als zwingend notwendig dargestellt, obwohl es bereits seit über 15 Jahren Produkte gibt, die diese Schwellen auch bei Außentüren überflüssig machen.
Im Anschluss an den Vortrag gab es bei einem feinen Imbiss, angeboten von zwei Mitarbeiterinnen des Naturkostladens Sonnenblume, die Gelegenheit zu Gesprächen mit der Referentin und untereinander. Abgerundet wurde die Veranstaltung mit musikalischen Darbietungen. Unter dem Titel „With my own two hands“ sangen und spielten Bernhard Brendle & Friends: eine generationsübergreifende inklusive Gruppe, die mit Percussion, Gesang und einigen Instrumenten die Anwesenden begeisterte.
PM