„Psychische Erkrankungen haben auch in Baden-Württemberg in den vergangenen Jahren stark zugenommen und verursachen zwischenzeitlich die häufigsten Arbeitsunfähigkeitstage – mehr als orthopädische Erkrankungen. Das ist alarmierend und zeigt, wie wichtig es ist, dass sich die Landesregierung und alle Akteure des Gesundheitswesens mit dem Thema psychische Erkrankungen auseinandersetzen und darauf aufmerksam machen“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Anschluss an die Sitzung des Ministerrats am Dienstag (10. Juli 2018) in Stuttgart. Das Kabinett hatte zuvor den neuen „Landesplan der Hilfen für psychisch kranke Menschen in Baden-Württemberg“ (kurz: Landespsychiatrieplan) verabschiedet. „Nach wie vor ist es in unserer Gesellschaft leider so, dass sich Menschen, die psychisch erkrankt sind, häufig dafür schämen und nicht darüber sprechen. Diese Stigmatisierung müssen wir überwinden und Menschen mit psychischen Erkrankungen eine Teilhabe an allen Lebensbereichen ermöglichen“, sagte Kretschmann.
„Nicht nur psychiatrische Kliniken verzeichnen steigende Aufnahmezahlen, auch in Allgemeinkrankenhäusern steigt die Kombination von psychischen mit somatischen Erkrankungen“, sagte Sozial- und Integrationsminister Manne Lucha. Der neue Landespsychiatrieplan greife diese Entwicklung auf und enthalte eine umfassende Rahmenplanung für die Versorgung psychisch kranker Menschen in Baden-Württemberg. Er stelle nicht nur ausführlich dar, wie sich unsere psychiatrische Versorgungslandschaft in Baden-Württemberg in den vergangenen Jahren entwickelt hat. „Wir haben es mit einem umfassenden Beteiligungsverfahren auch geschafft, uns mit allen Akteuren des psychiatrischen Versorgungssystems sowie den Betroffenen und deren Angehörigen auf gemeinsame Empfehlungen zur Umsetzung einer gemeindeintegrierten Versorgung zu einigen“, so Lucha.
Neue Strukturen wirksam – Verbesserungen aber weiter nötig.
Auch wenn es Zwangseinweisungen in psychiatrische Kliniken in Baden-Württemberg vergleichsweise selten gebe, so sei dennoch jede einzelne Krankenhausaufnahme gegen ihren Willen für die betroffene Person besonders eingreifend. Deshalb müsse die Zahl der Zwangseinweisungen und -maßnahmen weiter gesenkt werden, so Lucha. „Hier leisten das im Wege des Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes neu eingerichtete Melderegister zur landesweiten Erfassung von Zwangsmaßnahmen und die eingerichteten Besuchskommissionen zur Überprüfung der Qualität der anerkannten stationären psychiatrischen Einrichtungen einen wesentlichen Beitrag.“
„Die psychiatrische Versorgung verlagert sich immer mehr in die Gemeinde. Die Landesregierung unterstützt diesen Trend, nach dem sich die psychiatrischen Kliniken in Versorgungszentren mit integrierten ambulanten und tagesklinischen Angeboten verwandeln“, führte Minister Lucha weiter aus. Die Möglichkeiten der stationsäquivalenten Behandlung, bei denen die Menschen auch bei erheblichen psychischen Beeinträchtigungen zuhause in ihrer gewohnten Umgebung qualifiziert behandelt werden, müssten weiter ausgeschöpft werden. „Das erspart nicht nur stationäre Aufnahmen – auch das Umfeld der erkrankten Person kann in die Behandlung einbezogen werden.“ Gleiches gelte für die in Baden-Württemberg flächendeckend eingerichteten sozialpsychiatrischen Dienste, die niederschwellig ambulante Hilfe und Beratung leisten. Da diese seit einigen Jahren immer mehr Aufgaben übernehmen, sei hier der Einsatz weiterer finanzieller Ressourcen angezeigt, so Lucha.
Der Landespsychiatrieplan spricht sich auch für eine kluge Vernetzung der verschiedenen Hilfeangebote aus. „Um dies in allen 44 Stadt- und Landkreisen zu gestalten, haben wir die Gemeindepsychiatrischen Verbünde bereits 2014 im baden-württembergischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz verankert“, sagte Minister Lucha. Das Bundesteilhabegesetz, das ab 2020 die Eingliederungshilfe neu regelt, brauche zur Umsetzung der „Leistungen wie aus einer Hand“ ein gut funktionierendes Verbundsystem aller Träger psychiatrischer Einrichtungen unter Einbeziehung der Sozialverwaltungen der Landkreise.
Auch im Bereich der psychiatrischen Rehabilitation schaffe das Bundesteilhabegesetz wichtige Voraussetzungen, um Menschen mit schweren psychischen Beeinträchtigungen den Anschluss an die gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen und ihre Wünsche hinsichtlich der Lebensgestaltung zu berücksichtigen. „Nach einer psychischen Erkrankung wieder im Arbeitsleben Fuß zu fassen, ist für die Betroffenen besonders wichtig. Es ist jedoch sehr schwierig, sich im derzeitigen System der psychiatrischen Rehabilitation zurechtzufinden. Hier müssen wir uns mehr an Personen als an Institutionen orientieren und in einem möglichst frühen Stadium mit den Rehabilitationsmaßnahmen beginnen. Unser Motto lautet dabei ganz klar: Rehabilitation vor Rente“, so Lucha abschließend.
Ergänzende Informationen
Anlass für die umfassende Neuerarbeitung des aus dem Jahr 2000 stammenden Landespsychiatrieplans war das Inkrafttreten des Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes am 1. Januar 2015. Hier ist in § 12 vorgesehen, dass das Sozialministerium einen Landespsychiatrieplan erstellt, der die Rahmenplanung für Personen mit psychischen Erkrankungen enthält. Das Ministerium wurde in dem darauf folgenden dreijährigen Prozess vom Landesarbeitskreis Psychiatrie beraten, in dem die unterschiedlichen Beteiligten des psychiatrischen Versorgungssystems vertreten sind.
Der neue Landespsychiatrieplan besteht aus insgesamt vier Teilen. Nach einer Einleitung in Teil A werden in einem allgemeinen Teil B die Grundlagen, Rahmenbedingungen, Ziele und Beteiligten dargestellt. Im sich anschließenden besonderen Teil C erfolgt eine Darstellung der spezielle Versorgungsstrukturen und Versorgungsangebote (Allgemeinpsychiatrie, Psychosomatik, Sucht, Gerontopsychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Menschen mit Intelligenzminderung und psychischen Störungen, Forensik, Migrantinnen und Migranten mit psychischen Störungen). In einem abschließenden Teil D erfolgt eine Zusammenfassung der wesentlichen Aussagen des Landespsychiatrieplans nebst Empfehlungen zur Umsetzung.
PM Staatsministerium Baden-Württemberg