„Der Verkehrskollaps ist in manchen Kommunen in Baden-Württemberg nur noch einen Steinwurf entfernt“, sagt Gudrun Zühlke, Landesvorsitzende des ADFC Baden-Württemberg mit Blick auf die Halbzeitbilanz der Landesregierung. Zwar hat sich die grün-schwarze Koalition zu Beginn einige sinnvolle Maßnahmen vorgenommen, um die Verkehrswende voranzubringen. Der Faktencheck des ADFC zeigt jedoch, dass die Landesregierung sie in ihrer ersten Halbzeit nur zögerlich umgesetzt hat.
„Unser Ziel ist eine neue Mobilität, die umwelt- und klimaverträglich, sozial, bezahlbar und wirtschaftlich effizient ist und Lebensqualität sichert.“ Mit dieser Formulierung aus dem Koalitionsvertrag war die grün-schwarze Landesregierung am 12. Mai 2016 in die verkehrspolitische Arbeit gestartet. „Bei der Umsetzung ihres Koalitionsvertrags fährt die Landesregierung jedoch mit angezogener Handbremse“, sagt Gudrun Zühlke, Landesvorsitzende des ADFC Baden-Württemberg.
„Minimallösungen, die weiterhin auf das Auto setzen, können nicht helfen, den drohenden Verkehrskollaps zu verhindern“, so Zühlke weiter. „Was Baden-Württemberg jetzt braucht, ist eine grundlegende Verkehrswende, die den Autoverkehr drastisch reduziert, ohne die Mobilität der Menschen einzuschränken. Vor allem das Potenzial des Radfahrens wird bei weitem nicht ausgeschöpft. Würden ab sofort alle Autofahrten mit weniger als 2 Kilometer Länge wegfallen und durch Radfahren oder Zufußgehen ersetzt, gäbe es 25% weniger Autofahrten und wir bräuchten nicht mehr über Fahrverbote reden. Die Landregierung sollte ihre zweite Halbzeit daher nutzen, gleich mehrere Gänge in der Radförderung höher zu schalten.“
ADFC-Faktencheck zur Halbzeit von Grün-Schwarz:
- Flächendeckendes und sicheres, komfortables Radwegenetz: Die Umsetzung des RadNETZ, das die Zentren Baden-Württembergs verbindet, laufen mit deutlichem Zeitverzug. Außerdem fehlt es vielen Orten an lokalen Radverkehrsnetzten. Das Potenzial gerade für kurze Wege vor Ort das Rad statt das Auto zu nutzen, bleibt ungenutzt. Hier braucht es dringend eine Landesinitiative, die die Kommunen in die Pflicht nimmt, nicht nur Straßen, sondern auch sichere und komfortable Radwege zu bauen.
- Finanzierung der lokalen Radverkehrsförderung & Weiterbildung von Verkehrsplaner*innen:
Derzeit fehlt es in Baden-Württemberg nicht nur an lokaler Radverkehrsinfrastruktur, sondern auch am entsprechenden Fachpersonal für die Planung und einer gesicherten Finanzierung der lokalen Radverkehrsförderung. Einige Kommunen betreiben aufgrund dieser Zwänge keine Radverkehrsförderung, obwohl die Notwendigkeit gesehen wird. Um den kommunalen Radverkehr zu fördern, braucht es eine Mittelumverteilung im Verkehrshaushalt (Gesamtausgaben ohne Verwaltung 2018: ca. 2 Mrd. €, davon: nur ca. 2 % für nachhaltige Mobilität), so dass Kommunen für den Ausbau von Radinfrastruktur mind. 30 € pro Einwohner zur Verfügung stehen. Damit müssen u.a. neue Stellen für Verkehrsplaner bei den Kommunen geschaffen werden, die auf den Radverkehrs spezialisiert sind. Da es auf dem Arbeitsmarkt kaum freie Radverkehrsplaner gibt, bedarf es zusätzlich einer Weiterbildungsoffensive des Landes. - Qualitätssicherung: Die Förderung des Radverkehrs darf sich nicht nur auf das Schaffen von Infrastruktur beschränken. Die Qualität von Radwegen muss langfristig gesichert werde. Ein Konzept zur Umsetzung und Finanzierung von Erhaltungs- und Verbesserungsmaßnahmen hat die Landesregierung bisher jedoch nicht.
- Multimodalität: Das Fahrrad ist besonders auf kurzen Strecken bis 5 Kilometer das schnellste Verkehrsmittel. Es eignet sich daher besonders für die sog. erste und letzte Meile – also Wege zum nächsten ÖPNV-Halt oder von dort zum Ziel. Um dieses Potenzial ausnutzen zu können, muss jedoch die Vereinbarkeit von ÖPNV und Fahrrad erreicht werden. Bisher ist der Landesregierung lediglich gelungen, die weitgehend flächendeckende kostenfreie Fahrradmitnahme im ÖPNV zu regeln. Flächendeckend sichere Parkmöglichkeiten für Fahrräder an den Bahnhöfen sowie ein durchdachtes Bike&Ride-Konzept fehlen bisher.
- Aufklärung für ein sicheres Miteinander: Das „Recht des Stärkeren“ muss von der Straße verbannt werden. Nur so werden Menschen in Baden-Württemberg auf den Fußverkehr oder das Fahrrad umsteigen. Ein gutes Miteinander auf unsere Straßen kann nur gelingen, wenn zum einen die Gesetzgebung zum Schutz der schwächeren Verkehrsteilnehmenden angepasst wird. Zum anderen die gegenseitige Rücksichtnahme eingefordert und Verkehrsteilnehmende entsprechend geschult werden. Hierzu zeigt die Landesregierung bisher keinerlei Ansätze.
Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club e. V. (ADFC)
vertritt bundesweit die Interessen der Alltags- und Freizeitradler*innen. Der Verein hat mehr als 170.000 Mitglieder aller Altersstufen, davon mehr als 20.000 in Baden-Württemberg. Mehr als 500 Aktive in etwa 50 Kreis- und Ortsverbänden im Land setzen sich ehrenamtlich im ADFC Baden-Württemberg ein.
Schwerpunkte des ADFC sind:
- Verkehrsplanung und Verkehrspolitik
- Verkehrspädagogik
- Betriebsberatung (Begleitung von Arbeitgeber, die das Thema Fahrrad in ihrem Unternehmen oder ihrer Behörde auf- oder ausbauen wollen)
- Radtourismus, Radreisen, Bett+Bike
- Technik/Sicherheit/Service
- Verbraucherschutz
- Gesundheitsvorsorge
- Fahrraddiebstahlschutz
PM ADFC Baden-Württemberg