Der Baden-Württembergische Industrie- und Handelskammertag (BWIHK) stellt heute seine Wahlprüfsteine zur Landtagswahl 2016 vor. Der Titel ‚Impulse 2016 – 2021‘ soll dabei durchaus wörtlich verstanden werden, denn gute Wirtschaftspolitik geht jeden etwas an: „Ich bin überzeugt, dass unsere 38 Impulse für eine zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik den richtigen Weg weisen und der Landespolitik eine passgenaue Orientierung geben, denn sie fußen auf dem Feedback von 650.000 Mitgliedsunternehmen der IHK-Organisation in Baden-Württemberg“, betont Dr. Peter Kulitz, Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags (BWIHK).
Durchaus Spuren hinterlassen hat die grün-rote Landesregierung, welche 2011 nach rund 60 Jahren CDU-geführter Landesspitzen mit einem ambitionierten Koalitionsvertrag angetreten war. BWIHK-Präsident Kulitz konstatiert den Regierungsparteien das Bemühen um eine konsequente und pragmatische Politik: „Das dicke grün-rote Logbuch des Koalitionsvertrages zeigt nur noch wenige weiße Flecken; viele Vorhaben wurden angegangen und meist auch zügig in Gesetzestexte gegossen.“ Im Bildungsbereich lobt Kulitz die Einführung des Schulfachs Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung ab dem kommenden Schuljahr in allen Schularten. Der zügige Ausbau der Ganztagsschule und die verbesserte Durchlässigkeit im Bildungssystem für beruflich Qualifizierte finden seine Zustimmung ebenso wie Kretschmanns Authentizität, mit der er das Amt des Ministerpräsidenten ausfüllt und die Digitalisierung zur Chefsache gemacht hat. Beim für Familienunternehmen wichtigen Thema Erbschaftsteuer begrüßt Kulitz den engagierten Einsatz von Minister Schmid: „Mit seiner sofortigen, unmittelbar nach der Urteilsverkündung des Bundesverfassungsgerichtes erklärten Forderung, den von ihm zugestandenen Gestaltungsrahmen im neuen Gesetzesentwurf voll auszuschöpfen, hat er Verständnis für die Belange der baden-württembergischen Familienunternehmen gezeigt und damit ein wichtiges Signal gesetzt.“
Neben Licht gibt es für den BWIHK-Präsidenten auch Schatten. „Der unbedingte Wille von Minister Schmid, ein vollkommen unnötiges Bildungszeitgesetz durchzuboxen, stößt bei der Wirtschaft auf Befremden.“ Bei Kretschmann fällt immer wieder seine Scheu auf, richtig erkannte Maßnahmen auf Ebene der Bundesgrünen konsequent durchzusetzen. „Als einziger grüner Ministerpräsident eines sehr wirtschaftsstarken Bundeslandes setzt er sein Gewicht viel zu selten mit dem ihm möglichen Nachdruck ein. Er könnte der ganzen Partei in weit höherem Maße die Richtung vorgeben“, betont Kulitz.
Weiter stört ihn, dass bei der Beteiligung in Anhörungsverfahren oft mit zweierlei Maß gemessen werde. Bürger hätten teilweise mehr Zeit Gesetzesentwürfe zu kommentieren als Verbände.
In der Verkehrspolitik, insbesondere beim Straßenbau, aber auch beim zukunftsträchtigen Thema Lang-Lkw, habe Grün-Rot falsche Prioritäten gesetzt. „Dem Erhalt so deutlich Vorrang vor Neubau einzuräumen, wird dem Bedarf der Wirtschaft keinesfalls gerecht. Ein schwerer Fehler war, den Testbetrieb der Lang-Lkw erst gänzlich abzulehnen und dann durch politischen Druck nur einen Minimalbetrieb zu erlauben. Hier offenbart sich eindeutig ideologisch motiviertes Unterlassen des Verkehrsministers, welches die Entwicklung unserer Wirtschaft behindert“, betont Kulitz.
Nach dem Regierungswechsel 2011 von Schwarz-Gelb zu Grün-Rot sieht es nunmehr nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen der Lager aus. Unabhängig des Wahlausgangs zeigt die BWIHK-Publikation anhand der fünf Cluster Bildung, Infrastruktur, Wettbewerbsfähigkeit, Standortqualität und rechtliche Rahmenbedingungen, wo Unternehmen Handlungsbedarf in der Wirtschaftspolitik erkennen.
Im Bildungsbereich hält BWIHK-Vizepräsident Prof. Dr. Dr. h. c. Harald Unkelbach mehr Einsatz für den Stellenwert der dualen Ausbildung und bei Berufsschulen für notwendig: „Die Azubi-Zahlen nehmen seit Jahren ab, die Hochschulen sind übervoll. Dass ein dualer Aus- und Weiterbildungsweg eine echte Alternative und keine zweite Wahl ist, erleben viele erst nach Abbruch ihres akademischen Versuchs oder dem Uni-Abschluss in einem Beruf, in dem die Wirtschaft kaum Bedarf hat. Hier muss rasch über ein echtes Bekenntnis der Politik zum dualen Weg gegengesteuert werden. Auch die Berufsschulen können nur weiter gut sein, wenn sie in der Fläche erhalten bleiben und – Stichwort Lehrkräfte und Herausforderung durch die vielen Flüchtlinge – grundsätzlich bedarfsgerecht ausgestattet werden.“
Bei der Infrastruktur sieht Unkelbach vor allem den Bund in der Pflicht, den Breitbandausbau jetzt zügig voranzutreiben. Trotz Lob für den Einsatz des Landes sieht er keinen Grund, jetzt die Füße hochzulegen: „Es gilt vielmehr, alle Möglichkeiten auf Landesebene voll anzuschieben, die vorhandene Infrastruktur stärker zu nutzen und auch den maximalen Ansatz an Förderprogrammen für Betriebe zu fahren. Die Zusatzkosten werden unsere Unternehmen schnell über eine höhere Wertschöpfung in der Fläche wieder einspielen.“ Beim Straßenbau müsse der eigentliche Bau wieder größeren Stellenwert bekommen: „Das bei Neu- und Ausbaumitteln auch in Zukunft auf die Bremse getreten wird, darf nicht sein. Es gilt, Straßenbaumittel in Höhe von rund 60 Millionen Euro im Jahr zu verstetigen. Auch darf der prozentuale Anteil am Landeshaushalt nicht wieder absinken wie in der Vergangenheit.“
Wettbewerbsfähigkeit hängt für BWIHK-Vizepräsident Wolfgang Grenke vor allem an einer verlässlichen Energiepolitik und der Förderung von Innovationskraft: „Für eine vollständig sichere Stromversorgung liegt noch viel Arbeit in Bund und Land vor uns. Gerade für den mit begrenzten Erzeugungskapazitäten wenig gesegneten Süden muss, wenn die meisten Produzenten planbarer Energie über konventionelle Quellen wie Kohle und Atomkraft verschwunden sind, der Netzausbau nach Plan abgeschlossen sein. Dazu gilt es auch, in der Bevölkerung nachhaltig Akzeptanz herzustellen. Damit die Innovationskraft weiter hoch ist, brauchen die Innovationsgutscheine des Landes ein Update mit dem Schwerpunkt der Forschungsförderung für KMU.“
Standortqualität beinhaltet für den BWIHK-Vizepräsidenten Grenke eine Willkommenskultur, die Flüchtlinge genauso begrüßt wie zuwanderungswillige, entsprechend qualifizierte Fachkräfte: „Baden-Württemberg zeigt viel Herz und Einsatz, doch kommt unser Land durch die vielen tausend Flüchtlinge jede Woche an seine Grenzen. Deshalb gilt es, die Orientierung im Asylverfahren dringend zu verbessern und allgemeine wie berufsbezogene Sprachförderung auszubauen. Betriebe brauchen darüber hinaus gesetzliche Regelungen zur Beschäftigung von Flüchtlingen, wenn die Integration in den Arbeitsmarkt gelingen soll.“ Doch nicht nur bei der Zuwanderung sieht Grenke Handlungsbedarf, auch bei Vereinbarkeit von Familie und Beruf müsse das Land besser werden: „Besonders dringend sind: Betreuungsangebote für Kinder aller Altersstufen deutlich auszubauen, die Öffnungszeiten der Einrichtungen mit den Arbeitszeiten der Eltern in Einklang zu bringen und das Angebot an Ganztagesbetreuung in Kitas breiter aufzustellen. Wenn wir dann noch die Ganztagsschule über die Grundschulzeit bis zur siebten Klasse ausdehnen können, haben wir hier viel erreicht.“
Für BWIHK-Präsident Kulitz ist ein Standort nur so leistungsfähig, wie es seine rechtlichen Rahmenbedingungen zulassen. Deutschland ist hier gut aufgestellt, allerdings sieht er noch beträchtlich Potenzial für ein transparentes und wettbewerbsfähiges Steuersystem: „Grundsätzlich kann ich mich nur für eine Besteuerung aussprechen, die streng am Prinzip der individuellen Leistungsfähigkeit ausgerichtet ist. Substanzbesteuernde Elemente in allen Steuerarten gehören beseitigt und Personen- wie Kapitalgesellschaften im Ergebnis gleich hoch besteuert.“ Eine Erhöhung der Grunderwerbsteuer, wie unter Grün-Rot geschehen, empfindet er als falsch. Bayern zeige sich da weitaus günstiger. Dass die Landesregierung die nachhaltige Konsolidierung des Landeshaushalts strikt nach den festgelegten Zeitvorgaben zur Einhaltung der Schuldenbremse verfolge, sei nicht nachvollziehbar. „In Anbetracht der weit über Plan liegenden, höheren Steuereinnahmen haben wir beste Voraussetzungen, mit der Schuldentilgung schneller voranzukommen. Auch wenn die Regierungskoalition sich für die historische Leistung feiern lässt, viermal in einer Legislaturperiode eine schwarze Netto-Haushaltsnull erreicht zu haben, so hat das Land doch ein Ausgabenproblem. Das sagt nicht nur die Wirtschaft, auch der Landesrechnungshof hat konkrete und detaillierte Vorschläge geliefert, an denen sich die Landesspitze orientieren sollte“, wundert sich Kulitz.
PM