Als wohl einzige Partei wählt die grüne Basis ihre Spitzenkandidaten für Bundestagswahl direkt, „und wir machen das öffentlich“, so der grüne Bundestagskandidat im Wahlkreis Göppingen, „die Linken bestimmen ihr Spitzenduo in Berliner Hinterzimmern und die so demokratische AfD schließt die Öffentlichkeit lieber von ihren Parteitagen aus, es könnte ja rauskommen, dass es hier gar nicht so demokratisch zugeht“. Dietrich Burchard sieht es als den besonderen Vorteil der Grünen, dass sie mehrere geeignete Kandidaten haben, die sich in einem öffentlichen Verfahren um die Spitzenämter bewerben. Hierbei darf auch diskutiert und gestritten werden, so Burchard, wichtig ist, dass wir alle das gleiche Ziel haben und es auch nach der Wahl wieder um diese Ziele geht.
Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Anton (Toni) Hofreiter, tourt gerade, wie die anderen Bewerber auch, durch die Republik, um Werbung in eigener Sache zu machen. Neben ihm bewerben sich die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt, der grüne Bundesvorsitzende Cem Özdemir und der Schleswig-Holsteinische Umweltminister und stellvertretende Ministerpräsident Robert Habeck Spitzenkandidat. In ganz Deutschland gibt es Urwahlforen, u. a. am 8 Dezember im Bad Cannstatter Kursaal, in denen sich die vier Bewerber der Parteibasis vorstellen. Die Mitglieder entscheiden dann in einer Urwahl, zu der die Wahlunterlagen gerade versandt werden.
Fast eine Stunde spricht Hofreiter zu den über 50 Zuhörern im Saal, darunter überwiegend interessierte Nichtgrüne. Er redet ohne Manuskript, sachlich, deutlich und pointiert. Er schlägt den Bogen von der Trump-Wahl über van der Bellen und die Homo-Ehe bis zum Klimawandel, Fluchtursachen, der EU und internationalen Finanzkonzernen.
Dass die Grünen eine „Partei der Besserverdienenden“ seien, bestreitet der 46-jährige Münchner: „Das stimmt gar nicht, das behauptet der politische Gegner – die große Mehrheit unserer Wähler hat nicht mal Abitur.“ Hofreiter geht es als Parteilinker um Gerechtigkeit. Auch bei ökologischen Veränderungen müsse man an diejenigen denken, die nicht viel Geld haben. Der promovierte Biologe unterstreicht aber auch: „Wir müssen deutlich machen, dass wir die historische Verantwortung haben, unsere Lebensgrundlage zu retten.“ Neben dem Klimawandel sei die beginnende „Aussterbe-Katastrophe“ das größte Problem: „Der Planet rettet sich schon selbst, er hat schon fünf Massen-Aussterben überstanden – wir Menschen aber werden das nächste Massenaussterben nicht überleben.“
Anschließend diskutiert Toni Hofreiter noch fast eine Stunde mit den Gästen in der Göppinger Stadthalle. Merkel hält er für eine angenehme Person, sie habe aber keine Idee, wohin sie mit dem Land will. „Antworten auf die Zukunft bleibt sie schuldig“, so Hofreiter. Eine rot-rot-grüne Koalition sieht er kritisch, schließlich sei die Linke sehr EU-feindlich. Aber auch schwarz-grün kann er nichts abgewinnen: „Manche sagen, es ist schon mit der CDU nicht einfach – aber auf Bundesebene gibt’s die nur mit ihrer buckeligen Verwandtschaft aus Bayern.“ Er wisse, wovon er rede, sagt der Münchner Hofreiter vielsagend.