Oberbürgermeister gratuliert dem Göppinger Gemeinderat Alexander Maier zur Wahl in den Bade-Württembergischen Landtag und fordert eine offene Auseinandersetzung mit den Wählern der AfD: „Wir werden unsere direkten Bürgergespräche verstärken“
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich begrüße Sie zur dritten Sitzung des Gemeinderats in diesem Jahr, die ich hiermit offiziell eröffne. Einladung und Tagesordnung sind Ihnen form- und fristgerecht zugegangen.
Besonders begrüße ich das neu gewählte Mitglied des baden-württembergischen Landtags, Herrn Stadtrat Alexander Maier. Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Wahl und der damit verbundenen Aufgabe für unser Land. Der Stuttgarter Zeitung konnte ich entnehmen, dass Sie weiterhin auch in unserem Kommunal“parlament“ mitwirken werden. Von dieser unmittelbaren Verbindung von Kommunal- und Landespolitik können beide Ebenen profitieren – dafür wünsche ich Ihnen viel Erfolg und darüber hinaus auch viel Freude bei den sicherlich nicht immer einfachen Entscheidungen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
gestatten Sie mir bitte ein paar Anmerkungen zur Landtagswahl vom vergangenen Sonntag – nicht als Wahlanalyse, nicht als Bewertung des Ergebnisses oder Aussagen zu künftigen Koalitionen. Diese Aspekte gehören nicht hierher.
Ich möchte aber ein paar Aussagen zu unserer Stadt und zu unserer städtischen Politik machen.
In zwei Wahllokalen der Ursenwangschule hat die AfD über 30 Prozent der Stimmen erhalten und wurde dort zur stärksten Partei. In vier weiteren Stimmbezirken lag die AfD über 25 Prozent, in der Stadt Göppingen insgesamt immerhin noch über 18 Prozent.
Die AfD hat sich im Wahlkampf sehr restriktiv mit der Flüchtlingsproblematik auseinander gesetzt und entsprechende politische Forderungen gestellt. Ein nicht unerheblicher Teil unserer Bevölkerung konnte diesen Forderungen zustimmen und hat die Partei gewählt. Und das müssen wir ernst nehmen! Denn knapp ein Fünftel der Wählerinnen und Wähler, also ein nicht unwesentlicher Teil unserer Bevölkerung, kann unseren Umgang mit den hier ankommenden Flüchtlingen nicht mittragen, nicht nachvollziehen. Wahrscheinlich kennen die Menschen unsere Politik nicht genau und können sie deshalb nicht richtig einordnen – und erst Recht wissen sie nicht, wo die große Politik hin will.
Wir wollen diesem Unverständnis, den eventuell vorhandenen Ängsten, dadurch begegnen, indem wir offen mit den Menschen darüber reden. Wir werden noch stärker über unsere Politik, über unseren Umgang mit den Flüchtlingen aufklären. Wir werden unsere direkten Bürgergespräche verstärken. Wir werden künftig nicht nur in die Bezirksämter gehen, sondern die Bevölkerung auch in den kleineren Ortszentren wie Ursenwang oder Manzen besuchen und zu Gesprächen einladen. Wir nehmen unsere Bürgerinnen und Bürger ernst, wir nehmen ihre Ängste, ihre Sorgen ernst – auch wenn sie objektiv unbegründet sind.
Denn mit starkem Engagement unserer Bevölkerung, mit hoher Kompetenz unserer Verwaltung und mit beeindruckender Leistungsfähigkeit unserer städtischen Wohnbau GmbH haben wir bislang alle Flüchtlinge vernünftig und menschenwürdig unterbringen können. Wir haben den Landkreis mit unseren Argumenten vom Göppinger Weg überzeugen können, der eine dezentrale und damit sozialverträgliche und integrations-fördernde Unterbringung vorsieht. Und wir haben viel erreicht, viele persönliche Begegnungen und Kontakte in die Wege geleitet, viele Sprach- und Integrationskurse durchgeführt, Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten im Rahmen der Fachkräfte-Allianz ausgelotet. Viele Menschen in unserer Stadt sind auf die Flüchtlinge zugegangen und stehen ihnen hilfreich zur Seite, ganz überwiegend ehrenamtlich und aus christlicher oder humanistischer Überzeugung. Und dafür danke ich allen Beteiligten ganz herzlich!
Göppingen ist schließlich seit Jahrzehnten in der Integration von Zuwanderern erprobt:
– nach 1945 kamen die Heimatvertriebenen nach Göppingen, die wesentlich zum Wiederaufbau unserer Stadt beigetragen haben;
– in den 1960er und 1970er Jahren waren es die „Gastarbeiter“, die mit ihrer Schaffenskraft unseren Wohlstand mit erwirtschaftet und gesichert haben;
– durch die als Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umbau) bekannt gewordene Politik von Michail Gorbatschow stieg seit 1988 die Zahl der Russland-deutschen Aussiedler sprunghaft an und erreichte 1990 einen Höhepunkt; außerdem kamen in all den Jahren auch immer wieder Deutsche aus Rumänien zu uns;
– und Anfang der 1990er Jahre, in Folge des Balkankrieges, kamen auch viele Flüchtlinge zu uns, ohne dass Göppingen daran Schaden genommen hätte.
Wir haben es damals geschafft, wir schaffen das heute, und wir werden das auch in Zukunft schaffen – aber nur, wenn wir uns einerseits auf die Menschen konzentrieren können, die wirklich vor Krieg und Gewalt flüchten, und wenn wir uns andererseits vorbereiten, wenn wir verlässlich planen können.
Meine Damen und Herren,
wenn der Oberbürgermeister einer 58.000 Einwohner großen Stadt nicht weiß, mit wie vielen Flüchtlingen seine Kommune es zum Jahresende zu tun hat, wie soll dann die Bevölkerung Vertrauen in die Politik fassen? Wir brauchen vom Bund und vom Land eine berechenbare Politik und daraus abgeleitet verlässliche Zahlen. Wenn das Asyl-Paket II beschlossen und umgesetzt wird, wenn die Europäische Union zu einer gemeinsamen Linie findet, werden sich die Flüchtlingszahlen von 2015 in diesem Jahr wohl nicht weiter erhöhen. Dann werden wir es objektiv schaffen, die zu uns kommenden Menschen vernünftig aufzunehmen und zu integrieren.
Und wenn Bundes- und Landesregierung eindeutig handeln und Klartext reden, wenn sie unmissverständlich sagen, wohin die Reise gehen soll, dann werden die subjektiven Ängste weiter Bevölkerungskreise nicht nur aufgenommen, dann wird ihnen auch entgegengewirkt. Die höhere Politik muss die Erkenntnis unseres Bundespräsidenten klar aussprechen und entsprechend handeln: Wir wollen helfen, aber unsere Hilfsmöglichkeiten sind auch begrenzt! Für Göppingen heißt das: Wir haben vergangenes Jahr alle uns zugewiesenen Flüchtlinge vernünftig aufnehmen können, und in der gleichen Größenordnung werden wir das auch in diesem Jahr schaffen. Eine drei- oder viermal so hohe Zahl allerdings werden wir nicht mehr bewältigen können. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass es so weit nicht kommen wird. Auch die Bundeskanzlerin hat in ihrer gestrigen Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag erkannt, dass die Zahl der Migranten für alle Länder der Europäischen Union nachhaltig reduziert werden müsse. Ich stimme Angela Merkel zu, dass national, europäisch und international an dauerhaften Lösungen gearbeitet werden muss. Für mich heißt das: Es muss international alles getan werden, die Kriegsregionen auf Dauer zu befrieden und wieder aufzubauen. Es muss europäisch alles daran gesetzt werden, bis dahin die Flüchtlinge gleichmäßig aufzunehmen. Und national muss unsere, durch eine klare Obergrenze definierte, verkraftbare Hilfe auf die Menschen konzentriert werden, die bei uns eine Perspektive haben, zum Beispiel durch beschleunigte Verfahren, aber auch durch konsequentes und zügiges Heimschicken jener Menschen, die bei uns eben kein Bleiberecht haben, weil sie nicht aus den Kriegsgebieten kommen.
Meine Damen und Herren,
in der Hohenstaufenstadt Göppingen inklusive der sieben Stadtbezirke gab es am Sonntag und gibt es auch heute keinen objektiven Grund, aus Angst vor der Zukunft, aus Besorgnis vor Flüchtlingen, aus Unbehagen dem Fremden gegenüber oder aus anderen Gefühlen und Sorgen heraus die AfD zu wählen. Göppingen ist eine offene Stadt mit einer internationalen Bevölkerung: Heute leben Menschen aus 120 Nationen friedlich miteinander, sprechen in 85 Muttersprachen und üben neun Religionen aus – bei einem Migrationsanteil von über 35 Prozent kein Wunder, sondern gelebte Realität.
An dieser objektiven Lage haben die jetzt bei uns, vor Krieg und Terror, Schutz suchenden Menschen nichts geändert. Es gab und gibt objektiv keine auffällige Zunahme der Kriminalität, es gab und gibt tatsächlich keine Störung des öffentlichen Friedens durch die Flüchtlinge.
Und dennoch ist die subjektive Wahrnehmung und Einschätzung bei vielen eine andere. Diesem, in der Wahl zum Ausdruck gekommenen, gravierenden Unterschied zwischen der alltäglichen Wirklichkeit und der Gefühlslage weiter Bevölkerungskreise werden wir uns, wie dargestellt, ernsthaft widmen. Wir werden, inhaltlich mitunter auch durchaus kontroverse, aber im Stil verbindliche Gespräche mit unseren Bürgerinnen und Bürgern führen. Wir werden den gefühlten Ängsten objektive Fakten und subjektive Wertschätzung entgegen. Denn wir nehmen die Menschen in unserer Stadt ernst und greifen ihre Sorgen auf, und zwar mit pragmatischen Lösungen und mit persönlicher Wahrnehmung.
Göppingen ist auch eine Exportstadt, stark im Maschinenbau und in der Kfz-Zulieferung. Unser Wohlstand – der Wohlstand jedes Einzelnen wie auch der Wohlstadt der gesamten Stadt – wäre allein mit einem deutschen und selbst allein mit einem europäischen Binnenmarkt nicht erreicht worden. Viele unserer Firmen sind vielmehr auf dem Weltmarkt erfolgreich. Auch deshalb hat unsere Wirtschaft in den letzten zehn Jahren 2.000 neue Arbeitsplätze geschaffen; wir haben die Gewerbesteuereinnahmen – bei gleichgebliebenem Hebesatz – mehr als verdoppelt; unsere Bevölkerungszahl steigt; und auch die Grundstückspreise tendieren erstmals seit langem wieder nach oben – alles hervorragende Parameter, dass Göppingen wirtschaftspolitisch auf dem richtigen Weg ist, dass sich unsere Betriebe wie unsere Bevölkerung in der Hohenstaufenstadt wohl fühlen.
Wir sind uns darüber im Klaren, dass Arbeitsplätze auch die Basis für das friedliche Miteinander der vielen verschiedenen Nationalitäten, Kulturen und Religionen bei uns sind: Wer am gleichen Arbeitsplatz zusammenarbeitet, schlägt sich nicht nach Feierabend gegenseitig den Kopf ein. Und auch deshalb werden wir alles daransetzen, die Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft so zu gestalten, dass unsere Unternehmen in eine erfolgreiche Zukunft blicken können.
Schauen Sie sich, meine Damen und Herren, unser Kulturangebot und unser Bildungsangebot an, das für jeden viele, seinen Interessen und persönlichen Fähigkeiten entsprechende, Angebote vorhält. Oder denken Sie an das freundschaftliche Fußballspiel zwischen neu angekommenen Flüchtlingskindern und lange hier lebenden Kindern der Südstadt-Grundschule am Dienstag – ich war selber vor Ort – und Sie erkennen: Wir leben friedlich miteinander, jeden Tag!
Göppingen ist traditionell eine Stadt des Miteinanders, nicht der politischen Extreme! Wir achten den Anderen, und wir erwarten von jedem neu zu uns Kommenden, dass er sich in unsere städtische Gemeinschaft einfügt und im Idealfall auch einbringt. Göppingen ist keine heile Welt, aber wir fördern aktiv den Frieden in unserer Stadt. Dieses friedliche Miteinander lassen wir uns nicht von religiösen oder politischen Strömungen beschädigen.
Vielen Dank!