Mehr als bunte Vielfalt auf dem Teller – mit der „Arche des Geschmacks“ engagiert sich Slow Food Deutschland für den Erhalt biokultureller Vielfalt

Vielfalt garantiert Abwechslung auf unseren Tellern und es sind die klein- und mittel­ständischen Erzeuger und Lebensmittelhandwerker, die uns diese Vielfalt mit ihrem Wis­sen um traditonelle Anbau- und Verarbeitungsmethoden ermöglichen. Ihr Können gehört zu unserem wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Erbe. Das bewahrt Slow Food Deutschland mit dem Projekt „Arche des Geschmacks“ und schützt 66 Nutztierrassen, Gemüse- und Obstsorten sowie traditionelle Lebensmittel vor dem Vergessen – ab sofort auch die Erfurter Brunnenkresse und die Hutzeln, Dörrbirnen aus Fatschenbrunn. 

Viele Verbraucher wissen nicht mehr um die große Sorten- und Artenvielfalt, die uns hierzulande zur Verfügung steht, vielerorts aber bedroht ist. Das industrielle Lebensmittelsystem hat sie an monotone und künstliche Einheitsgeschmäcker gewöhnt und von jeglichem geschmacklichen Bezug zum Grundnahrungsmittel und dessen Herkunft entwöhnt. Doch die Brunnenkresse aus Erfurt, das Dörrobst aus Fatschenbrunn, die Zwiebel von der Bodensee-Halbinsel Höri oder die Linse der Schwäbischen Alb stammen aus einer Umgebung mit spezifischen geologischen Eigenschaften und sind unter einem regionaltypischen Klima herangewachsen. Das spiegelt sich in ihren Geschmäckern wider.

„Produkte mit echtem regionalem Bezug drohen von unseren Speiseplänen zu verschwinden. Diese Entwicklung möchten wir aufhalten und rückgängig machen. Es mag vielen wie der Tropfen auf den heißen Stein erscheinen, dass wir uns für den Schutz vereinzelter und oftmals nur in einer Region verfügbaren Erzeugnisse stark machen. Aber mit jedem Arche-Passagier machen wir einmal mehr deutlich, was unsere Lebensmittelerzeuger und -handwerker für unseren Gaumen ebenso wie für den Schutz von Tier und Umwelt leisten. Hier liegt das Wissen und Können für eine klimaangepasste Landwirtschaft und das brauchen wir,“ erklärt Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland. Slow Food möchte die Arche-Passagiere wieder bekannt machen, damit sie nachgefragt, entsprechend hergestellt und verkauft werden. Auf politischer Ebene fordert der Verein, regionale Verarbeitungsstätten wiederaufzubauen und zu fördern.

Als erste neue Passagiere 2018 nimmt Slow Food Deutschland die Brunnenkresse aus der Erfurter Klinge und die Hutzel von den Baumfeldern in Fatschenbrunn auf. Beide Erzeugnisse erfreuten sich in der Vergangenheit großer Beliebtheit und waren ein lukratives Geschäft für die lokale Bevölkerung. Nach einem temporären Rückgang ihrer Anbaustätten, ist inzwischen sowohl für die Brunnenkresse als auch für die Hutzeln je eine Anlage in Betrieb. Für ihren Anbau und ihre Verarbeitung sind Wissen, Körpereinsatz, Fingerspitzengefühl und Zeit gefragt.

Ralf Fischer, Betreiber der einzigen Brunnenkresse-Anlage in Erfurt leistet dieses Arbeit gemeinsam mit seiner Frau im Nebenerwerb. Verbraucher können seine Brunnenkresse im Hofladen und in ausgewählten Erfurter Spezialitätenläden kaufen und ihren kräftigen sowie würzigen Geschmack als Salat und Zutat z. B. für Suppen und Omeletts genießen. Besonders im Winter, wenn nur wenig frisches Gemüse regional verfügbar ist, dient sie als Vitaminlieferant. Intensive Aromen, Vitamine und Nährstoffe versprechen auch die Hutzeln. Kenner genießen sie als Beilage zu Braten und als Dessert, Wanderer als schnellen Energielieferanten. Die Birnen stammen aus extensiv bewirtschafteten Baumfeldern, welche die optimale Nutzung begrenzter Anbauflächen in Regionen wie dem Steigerwald ermöglichten. Ihre Blütezeit endete in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit steigender Nachfrage nach standardisierten Trockenfrüchten, billigen Importen aus Übersee sowie dem Einsatz immer größerer Landmaschinen, die die Bäume schädigten. Bis heute stehen in Fatschenbrunn über 30 verschiedene Birnbaumsorten, die eine wichtige Rolle für den Natur- und Kulturtourismus und für den Schutz biokultureller Vielfalt haben. Die Familie Hümmer übt als einzige das Handwerk des traditionellen Obstdörrens noch aus und vertreibt die Hutzeln online. In Kürze wird ein eigener Hofladen eröffnet.

PM

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