Eigene Beobachtungen bestätigen einen Sachverhalt, der rational nicht nachvollziehbar ist.
Von Alfred Brandner
Schaulustige mit der Gier nach Sensationen behindern zunehmend die Arbeit von Rettungsdiensten und Feuerwehren. Menschen in akuten Notlagen, bekommen wegen fehlender Rettungsgassen und blockierter Straßen oftmals nicht rechtzeitig die erforderliche Hilfeleistung, und nehmen vermehrt Schaden oder versterben am Einsatzort.
Schwarze Rauchwolken und die Sondersignale der Einsatzfahrzeuge dienen den Sensationslüsternen als Wegweiser. Zudem kann man regelmäßig feststellen, dass Einsatzfahrzeuge gar als „Lotsen“ genutzt werden. „Interessierte“ Verkehrsteilnehmer schließen sich einfach an und fahren mit zum Einsatzort. In kürzester Zeit sind Straßen, Wege und Felder um die Einsatzorte dicht bevölkert. Aber dem nicht genug, selbst Anfahrtswege werden verstellt, und somit das zeitgerechte Eintreffen der Rettungskräfte verhindert. Auch ein zurücksetzen der Einsatzfahrzeuge ist oftmals nicht möglich, da die Sensationstouristen regelrecht am Fahrzeugheck kleben.
Eigene Einsatzerfahrungen und Erkenntnisse bestätigen einen Sachverhalt, der vermutlich bis an das Lebensende im Gedächtnis bleibt. Versetzen wir uns in ein realistisches Einsatzgeschehen. Ein relativ ruhiger Arbeitstag wird durch einen Funkmeldealarm zu einem sehr lebhaften. Verkehrsunfall mit mehreren Fahrzeugen, Personen in den Fahrzeugen eingeschlossen – so die erste Meldung. Feuerwehren und mehrere Rettungswagen sind auf der Anfahrt. Das Notarztzubringer – Fahrzeug kommt aus einem benachbarten Rettungsdienstbereich (Kreisgrenze). Schon zwanzig Kilometer vor dem gemeldeten Einsatzort sind dunkle Wolken am Himmel erkennbar. Das blieb auch den anderen Verkehrsteilnehmern nicht verborgen. Der Verkehr wird immer dichter, und einige Kilometer vor dem Einsatzort geht nichts mehr. Der Autobahnzubringer (Landstraße) nebst Fahrbahnrand ist zu. Vergeblich, die Feuerwehr hinter uns, versuchen wir uns der Einsatzstelle zu nähern. Irgendwann, aber offensichtlich viel zu spät sind wir dann eingetroffen. Die meisten Fahrzeuginsassen waren aus den „Schrotthaufen“ geborgen und wurden abseits von Ersthelfern versorgt und betreut. Ein Unfallfahrzeug stand in Vollbrand, die Personen im Fahrzeug waren bereits verkohlt. Hilflos standen wir vor den noch brennenden menschlich Überresten – die Feuerwehr konnte nur noch ablöschen.
In Sachsen – Anhalt sind bei einem Brand zwei Kinder gestorben. Gaffer behinderten die Anfahrt und die Rettung. Feuerwehrleute fanden ein neunjähriges Mädchen und einen vierjährigen Jungen tot in einer brennenden Wohnung. Die drei anderen Kinder retteten sich selbst über das Dach auf ein Hinterhaus. Das Feuer brach gegen 23.20 Uhr im zweiten Obergeschoss eines Mehrfamilienhauses in der Innenstadt aus. Mehr als 100 Schaulustige auf der Straße behinderten nach Aussagen der Polizei die Feuerwehrkräfte bei der Anfahrt und Rettung. Die Polizeibeamten mussten Verstärkung anfordern, um die Schaulustigen im vorherrschenden Chaos von den Rettungskräften fernzuhalten.
Schaulustige amüsieren sich am Einsatzort, an einem im Vollbrand stehenden Stallgebäude, am erschreckten und panischen Verhalten der in letzter Minute, dem Feuer entflohenen Rinder. Dass die nun unberechenbaren Tiere, Feuerwehrangehörige und andere Helfer umrennen scheint die Stimmung zu heben. Das in hellen Flammen stehende Gebäude, bereitet den „Zuschauern“ sichtlich Freude. Das einstürzende Dach löst Jubelstürme aus. Die Stimmung am Unglücksort gleicht der auf einem Volksfest.
Gelegentlich werden Feuerwehrangehörige, die sich Zutritt zum Einsatzort verschaffen wollen angegriffen. Auch aus Hamburg und Vororten werden Angriffe von Schaulustigen auf Feuerwehr-Einsatzkräfte gemeldet. Gleiche Meldungen kommen aus Berlin, Dietzenbach, Ludwigshafen, Soltau und sind dokumentiert.
Weiter Aufzählungen könnten in unendlicher Reihe folgen.
Es gibt gesicherte Erkenntnisse darüber, dass an Einsatzorten, wo Menschen in psychischer Ausnahmesituation damit drohen, von Hausdächern oder Brücken zu springen, diese von Schaulustigen mit lauten Rufen zur Ausübung des angedrohten Suizids regelrecht dazu aufgefordert werden. (springen, springen, springen)
Und nun die Steigerung der Brisanz. Medien berichteten darüber, dass Millionen Menschen einem Suizidenten im Internet, bei dessen grausamen Todeskampf zugeschaut hätten. Erst nachdem von der Web – Kamera keine Lebenszeichen mehr gesendet wurden, hatten einige der vielen „Todeszeugen“ die Polizei verständigt.
Bei Verkehrsunfällen konnte man schon beobachten, dass Eltern kleine Kinder auf die Schultern nahmen, so dass diese das Einsatzgeschehen besser verfolgen konnten. Gelegentlich wird um die besten Plätze gerungen.
Action ist gefragt. Die „Gaffer“ kennen keine Hemmungen und trampeln mit den Füßen in die Notfallkoffern der Einsatzkräfte.
Die Polizei muss Rettungsfachkräfte regelmäßig unterstützen. Gaffer werden gelegentlich unter Androhung von Zwangsmaßnahmen von Einsatzstellen verdrängt.
Da die Sensationsgier mancher Zeitgenossen, ich neige dazu, diese als regelrechte „Gailheit“ zu bezeichnen, offensichtlich und in beängstigender Form ständig zunimmt, stellt sich die berechtigte Frage nach der tatsächlichen Motivation dieser Zielgruppe der „Schaulustigen“. Was zieht diese Leute, die keine offiziellen Medienvertreter sind, in großer Anzahl zu den Notfallstellen. Sind die vielfältigen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung ausgelaugt? Benötigt man Gesprächsstoff um jeden Preis um dann Freunde, Bekannte und Arbeitskollegen als dankbare Zuhörer zu finden? Was läuft in den Köpfen dieser Menschen ab?
Fakt ist, dieses Verhalten gibt reichlich Grund zur Sorge. Polizei, Feuerwehr- und Rettungsfachkräfte, haben oftmals allergrößte Schwierigkeiten „Notfall – Touristen“ von den Notfallstellen fernzuhalten. Sie stoßen auf Widerwillen und Unverständnis. Und gelegentlich werden Einsatzkräfte dann auch noch geschlagen!
Aber nicht nur Retter werden behindert. Die Schaulustigen bringen sich, die Einsatzkräfte und Umfeld oftmals auch in Situationen der akuten Lebensgefahr. An einer Einsatzstelle, konnte ich beobachten, wie sich einer der Gaffer, welcher sich inmitten des Geschehens befand, direkt neben einem beschädigten Flüssiggastanker, genussvoll eine Zigarette entzündete, um dann tief inhalierend die Brandbekämpfung verfolgte.
Lösungsansätze sind gefragt. Ich als Autor sehe mich nicht autorisiert die Frage nach eventuell krankhafter Motivation der Schaulustigen beantworten zu können. Fachkräfte aus der Wissenschaft müssten sich einbringen.
Aber eines ist sicher, diese unrühmliche Zeiterscheinung, in der sich Menschen vermehrt am Leid anderer erfreuen, bereitet mir große Sorge. Eine zunehmende Verrohung der Sitten ist nicht auszuschließen.