37,8 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Baden-Württemberg erzielen ein Bruttoeinkommen von unter 2.500 Euro. Damit liegt der Südwesten zwar sechs Prozentpunkte unter dem Bundesdurchschnitt, die Zahlen sind aber auch hier in höchstem Maße besorgniserregend.
1.045.000 Menschen müssen damit langfristig, spätestens ab einem Renteneintritt 2030, mit einer Rente unter 800 Euro rechnen – nach heutigem Stand. Die Grundsicherung belief sich 2015 in Baden-Württemberg im Schnitt auf 771 Euro. Das geht aus einer Datenauswertung des Eduard Pestel Instituts für Systemforschung im Auftrag der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) hervor.
Rechnet man zu den Gesamtzahlen auch noch die 705.000 Menschen in Baden-Württemberg, die nur einen Minijob ausüben, hinzu, verdienen im Land mindestens 45 Prozent aller Beschäftigten weniger als 2.500 Euro brutto.
„Selbst im Bundesland mit dem geringsten Anteil an Beschäftigten mit einem Monatseinkommen unter 2.500 Euro droht damit fast jedem zweiten im Alter der Gang zum Sozialamt, wenn nicht eine zusätzliche Absicherung über den Partner oder Vermögen vorliegt. Das ist ein sozialpolitischer Skandal“, sagte ver.di Landesbezirksleiter Martin Gross bei der Vorstellung der Zahlen am Montag (19. Juni 2017) in Stuttgart.
Bei einem bereits heute umgesetzten Rentenniveau von nur noch 43 Prozent, das 2030 gesetzlich droht, würden weite Teile der Verdienstgruppe unterhalb von 2.500 Euro bei der Rente auf oder nah an das Grundsicherungsniveau kommen, trotz 45 Beitragsjahren. Diese Rentenerwartungen sind armutsgefährdend für weite Teile der Bevölkerung, auch der Mittelschichten. Diejenigen, die nur auf 40 oder gar 30 Beitragsjahre kommen, und das sind wegen der Erziehungszeiten vor allem Frauen, rutschen definitiv auf Hartz-IV-Niveau.
Deshalb startet ver.di heute eine bundesweite Aktionswoche mit dem Motto „Gute Löhne – gute Rente“. Allein in Baden-Württemberg finden diese Woche rund 160 betriebliche Aktionen und Veranstaltungen aber auch öffentliche Kundgebungen wie am Donnerstag in Stuttgart statt.
Martin Gross: „Wir werden nicht zulassen, dass diese Fakten von der Politik negiert werden. Wer eine Rentenpolitik gegen große Teile der Bevölkerung macht, muss mit unserem Widerstand rechnen.“ Auf Initiative von ver.di wurde in diesem Frühjahr deshalb auch ein baden-württembergisches Bündnis gegen Altersarmut initiiert, dem inzwischen 32 Sozialverbände, Gewerkschaften, zivilgesellschaftliche- und kirchliche Organisationen beigetreten sind.
„Die extrem hohen Lebenshaltungskosten, insbesondere in den Großstädten im Land, verschärfen die Altersarmut in Baden-Württemberg weiter: Etliche Mieterinnen und Mieter können sich ihre Heimat nicht mehr leisten“, so Gross.
Aus den bundesweiten Zahlen geht hervor, dass 62 Prozent der Frauen im Westen und 68 Prozent der Frauen im Osten weniger als 27.500 Euro im Jahr verdienen und damit, auch wenn sie 45 Jahre lang einzahlen, nah an oder unter die Grundsicherungsgrenze rutschen würden.
„Da droht millionenfache Altersarmut, wenn es keinen Kurswechsel in der Rentenpolitik gibt“, so Martin Gross. Dass eine andere Politik möglich ist, zeigt ein Blick über die Landesgrenze: Österreich hat in den 2000er Jahren die Teilprivatisierung der Rente nicht mitgemacht. Die gesetzliche Rente ist im Durchschnitt über 500 Euro höher als in Deutschland. „Eine andere Rentenpolitik ist also problemlos möglich“, so Gross.
Nötig ist die Stabilisierung der Rente auf dem jetzigen Niveau von 48 Prozent und eine schrittweise Anhebung auf etwa 50 Prozent. Wer nicht will, dass das Rentensystem zerbricht, muss zudem den Bundeszuschuss in die Rentenkasse erhöhen und die Tarifbindung in Deutschland stärken.
PM