NABU: Unordnung auf dem Acker ist gelebter Artenschutz – Mehrjährige Blühbrachen helfen Feldvögeln, Schmetterlingen und Wildbienen

Wer in der herbstlichen Agrarlandschaft spazieren geht, sieht zumeist ordentlich anmutende Ackerflächen, die schon mit Wintergetreide bestellt sind. Doch ab und an sind auch ungewohnte Flächen dazwischen: trockene, mannshohe Stängel stehen da, quer durcheinander wachsend, und dazwischen Gräser und andere verblühte Stauden. Ist dem Bauer der Diesel ausgegangen? Oder das Mähwerk kaputt? Mitnichten, weiß NABU-Agrarexpertin Miriam Willmott zu berichten, hier ist ziemlich sicher eine Agrar-Fördermaßnahme für die Biodiversität zu sehen: Mehrjährige Blühbrachen aus regionalen Saatgutmischungen bleiben laut Förderprogramm mindestens fünf Jahre bestehen und sollen genau das – keinen Pflegeschnitt bekommen. Warum und wer davon profitiert, erklärt Agrarexpertin Willmott.

Blüten im Sommer sind wichtig, störungsfreie Überwinterungsflächen auch

„Unordentlich ist das neue ordentlich“, so Willmott. „Aus Naturschutzsicht ist diese abgestorbene Blühfläche jetzt genauso wichtig wie in der Blütezeit, vielleicht sogar noch wichtiger. Denn unsere Insekten verbringen die kalten Monate in verschiedenen Entwicklungsstadien an oder in vertrockneten Pflanzenstängeln, auf Blattunterseiten, in Höhlen im Boden oder in vertrockneten Blüten. Eine Trendwende beim Insektensterben wird es nur geben, wenn wir Stauden über den Winter stehenlassen und aus den überwinternden Eiern, Larven oder Puppen im Frühling ausgewachsene Insekten schlüpfen.“

Ein Umbruch der Brachfläche wäre das Todesurteil

Während der Überwinterung sind Insekten sehr empfindlich gegenüber Störungen. Werden vertrocknete Pflanzenreste abgemäht oder der Boden umgebrochen, ist dies das Todesurteil für überwinternde Insekten. Störungsfreie Flächen, auf denen Insekten überwintern dürfen, sind daher überlebenswichtig

Wie Schmetterlinge überwintern

Nur wenige Schmetterlinge, wie Distelfalter und Admiral, wandern im Winter wie Zugvögel in wärmere Regionen. Viele überwintern bei uns in Verstecken als Ei, Larve oder Puppe. Der Schwalbenschwanz zum Beispiel verbringt den Winter gut getarnt als Puppe an trockenen Pflanzenstielen und hängt dort sprichwörtlich am seidenen Faden.

Wie Wildbienen überwintern

Ein Großteil der Wildbienen wird nur wenige Wochen alt und stirbt am Ende des Sommers. Vorher haben sie für Nachwuchs gesorgt und ihre Eier in passende Hohlräume abgelegt. Die Dreizahn-Stängelbiene beispielsweise entwickelt sich bereits vor dem Winter in trockenen, markhaltigen Pflanzenstielen vom Ei zur Larve und verbleibt in diesem Stadium, bis im Frühjahr die Temperaturen wieder steigen und die Wildbiene ausfliegt.

Auch Feldvögel profitieren von mehrjährigen Blühbrachen

Einige Vögel der Feldflur, wie Goldammer, Bluthänfling, Feldsperling oder Stieglitz, bleiben im Winter hier und ernähren sich dann von Sämereien und überwinternden Insekten. Ebenso findet der Vogel des Jahres 2026 – das Rebhuhn – in den ungepflegt aussehenden Blühbrachen im Winter Schutz vor Fressfeinden und proteinreiche Samen.

Vorteile für Landwirte und Landwirtinnen: Bessere Bodenfruchtbarkeit

Mehrjährige Blühbrachen fördern im Ackerbau die natürliche Regulation von Schaderregern in den umliegenden Flächen und unterstützen durch die mehrjährige Bodenruhe den Humusaufbau. Davon profitiert das Bodenleben deutlich: In einer aktuellen bundesweiten Studie des Julius Kühn-Instituts (JKI) lagen die Regenwurmdichten in mehrjährigen Blühstreifen im Mittel um 231 Prozent höher als in angrenzenden Ackerflächen. Hauptursache ist der Verzicht auf Bodenbearbeitung wie Pflügen. Diese durchgehende Bodenruhe ist ein wichtiger Vorteil gegenüber einjährigen Blühstreifen, die durch ihre jährliche Neuanlage nur eine deutlich kürzere Ruhephase des Bodens ermöglichen.

„Von mehrjährige Blühbrachen profitieren also alle: die Landwirte und Landwirtinnen durch fruchtbare Böden, Feldvögel sowie viele Insektenarten durch störungsfreie Nahrungs- und Schutzflächen, die im Winter überlebenswichtig sind“, fasst Agrarexpertin Willmott zusammen.

Mehr zum NABU-Projekt: Refugialflächen für die Artenvielfalt

Biologische Vielfalt auf Acker- und Grünlandflächen in Baden-Württemberg zu erhalten und zu fördern, ist Ziel des NABU-Projekts „Landwirt-schaf(f)t Lebensraum – Refugialflächen für die Artenvielfalt“. Dieses wird mit Unterstützung der Stiftung Naturschutzfonds aus zweckgebundenen Erträgen der Glücksspirale gefördert. Refugialflächen sind hochwertige Lebens- und Rückzugsräume für Tier- und Pflanzenarten des Offenlandes. „Wir wollen Landwirtinnen und Landwirte für die Bedeutung hochwertiger mehrjähriger Refugialflächen sensibilisieren und für deren Anlage werben“, so Willmot.

Hintergrund:

Weitere Infos zum Thema Refugialflächen

Foto von LBV Franziska Wenger

PM NABU Baden-Württemberg

Permanentlink zu diesem Beitrag: https://filstalexpress.de/alle-beitraege/198440/nabu-unordnung-auf-dem-acker-ist-gelebter-artenschutz-mehrjaehrige-bluehbrachen-helfen-feldvoegeln-schmetterlingen-und-wildbienen/

Schreibe einen Kommentar