Neue Hinweise auf Krebsgefahr bei Glyphosat

In acht Fällen sollen die deutschen und europäischen Behörden Tumorbefunde durch Glyphosat „übersehen“ haben. Unter anderem geht es dabei um Tumore in Brust, Leber und Blutgefäßen. Nur durch die vollständige Freigabe der industrieeigenen Studiendaten sei eine unabhängige Neubewertung und ein angemessener Schutz der öffentlichen Gesundheit möglich, schreibt der renommierte Wissenschaftler Prof. Christopher Portier in einem offenen Brief an EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Vorher käme eine Wiedergenehmigung nicht in Frage.

Die Europäische Kommission hatte vor kurzem mitgeteilt, sie erwäge eine Wiedergenehmigung für zehn Jahre. Gleichzeitig laufen beim Europäischen Parlament die Vorbereitungen zur möglichen Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Die bereits mehrmals verlängerte EU-Genehmigung des Ackergifts läuft Ende 2017 aus.

Bundesinstitut für Risikobewertung steht bei Glyphosat in der Kritik

In seinem Brief – der an ein von fast 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterzeichnetes Schreiben von November 2015 anschließt – stellt Prof. Portier dem deutschen Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), einer dem Bundeslandwirtschaftsministerium nachgeordnete Behörde, erneut ein schlechtes Zeugnis aus. In der ersten Bewertung, die das BfR stellvertretend für die anderen EU-Mitgliedsstaaten verfasste, seien nur 20 Prozent der Tumoreffekte erkannt und dargestellt worden.

Wie kann das sein? Einfachste Erklärung: Die Behörde hat den Auswertungen der Glyphosat-Hersteller, die die Tierstudien selbst durchführen oder beauftragen und lediglich einen schriftlichen Bericht vorlegen, blind vertraut – ohne nachzurechnen. Allerdings hätte man erwarten können, dass das BfR spätestens 2015, nach der Einstufung von Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ durch die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation (WHO), bei der Datenanalyse mehr Gründlichkeit walten lassen würde.

Doch die Abfolge der verschiedenen Bewertungsberichte und Portiers Daten sprechen eine andere Sprache: Nur langsam und widerwillig beugte sich das BfR dem öffentlichen Druck und setzte beispielsweise zusätzliche statistische Methoden ein, um Tumoreffekte zu identifizieren. Doch, wie sich jetzt herausstellt, wurden auch diese wiederum offenbar nur auf einen Teil der vorhandenen Daten angewendet.

Glyphosat-Hersteller diktieren Bewertungsberichte

Erst jetzt, nachdem grüne Abgeordnete im Europäischen Parlament und die NGO Corporate Europe Observatory den teilweisen Zugang zu den Rohdaten erkämpft hatten, war es für Prof. Portier möglich, unabhängige statistische Analysen durchzuführen. Und diese bestätigen das alte Bild: Was die Glyphosat-Hersteller nicht selbst angeben, erscheint nicht im Bewertungsbericht.

Das zeigt wieder einmal, welchen Raum das geltende Bewertungsverfahren für Einflussnahme durch die Pestizidhersteller lässt – und wie wenig die Behörden dem entgegensetzen können oder wollen. Statt einer Wiedergenehmigung von Glyphosat ist jetzt Aufklärungsarbeit gefordert. Der im Europäischen Parlament anvisierte Untersuchungsausschuss wäre dafür ein geeignetes Mittel.

Reform des Bewertungsverfahrens für Pestizidgesetzgebung

Genauso wichtig ist die Reform des Bewertungsverfahrens. Dazu bietet die laufende Evaluation der EU-Pestizidgesetzgebung den geeigneten Ansatzpunkt. Wir Grüne im Bundestag fordern eine Entkoppelung von Finanzierung, Vergabe und Durchführung der Zulassungsstudien. Bezahlen müssen sie selbstverständlich die Hersteller, aber sie müssen künftig von Behörden an unabhängige Labore vergeben werden. Derzeit führen die Hersteller die vorgeschriebenen Studien oft in firmeneigenen oder eng verbundenen Auftragsforschungslaboren durch. Ob tatsächlich alle vorhandenen Studien und Daten bei ihnen ankommen, ist für die Behörden bisher kaum nachprüfbar.

Und die Auftragsforschungslabore können leicht in einen Interessenskonflikt geraten, da sie von den Pestizidherstellern direkt bezahlt werden. Um die Datenanalyse und -bewertung transparenter zu gestalten, ist es zudem notwendig, in Zukunft Studiendesign und Rohdaten öffentlich verfügbar zu machen, insbesondere für interessierte Wissenschaftler. Das Interesse der öffentlichen Gesundheit ist hier ganz klar über das Geheimhaltungsinteresse der Chemiefirmen zu stellen.

Auch die Europäische Bürgerinitiative gegen Glyphosat, die innerhalb weniger Monate bereits fast 800.000 Unterstützerinnen und Unterstützer sammeln konnte, fordert neben dem Glyphosat-Ausstieg eine Reform der Zulassungsverfahren und mehr Transparenz. Denn: Es geht um unsere Gesundheit – und es geht um mehr als nur Krebs. Eine der Krebsforschungsagentur der WHO vergleichbare Einrichtung gibt es weder für Substanzen, die das Hormonsystem stören noch für fortpflanzungsschädigende Substanzen. Glyphosat steht im Verdacht, auch in diesen Kategorien nicht so harmlos zu sein, wie die Hersteller und Behörden das bisher dargestellt haben. Der 120. Deutsche Ärztetag hat entsprechend Ende Mai 2017 gefordert, „zum Schutz der Bevölkerung […] die Risiken von Pestiziden, insbesondere von Glyphosat, weiter zu erforschen. Notwendig seien aufgrund der unzureichenden und widersprüchlichen Datenlage langfristige, industrieunabhängige Studien.“

PM

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