„Harter Brexit“ schadet europäischen Wirtschaftsbeziehungen – Viele Betriebe in Baden-Württemberg betroffen

„Jetzt ist klar, dass der Brexit wie befürchtet für viele Unternehmen nicht ohne negative Folgen bleiben wird“, kommentiert Andreas Richter, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart die heutigen Äußerungen der britischen Premierministerin Theresa May zum Austrittsprozedere Großbritanniens aus der Europäischen Union.

Mit der Aufkündigung der gesamten Mitgliedschaft werde das Ausscheiden der Briten die Wirtschaft, insbesondere den Handel mit Gütern und Dienstleistungen mit dem Vereinigten Königreich, vor neue Herausforderungen stellen. Die Geschäfte würden unattraktiver, prophezeit Richter. „Die EU startet praktisch bei Null und muss mit den Briten alle Handels- und Zollvereinbarungen neu verhandeln. Auch Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen sich auf weitere Veränderungen einstellen.“ Zudem werde dies auf viele Märkte, insbesondere auf die Finanzmärkte, ausstrahlen. „Angesichts des hohen Internationalisierungsgrads vieler unserer Betriebe dürften auch wir in Baden-Württemberg davon betroffen sein“, so Richter. Letzter Hoffnungsschimmer für die Wirtschaft sei die Ablehnung der Pläne durch das britische Parlament.

Wie sich die Ankündigungen des designierten US-Präsidenten Donald Trump zu einem möglichen Freihandelsabkommen zwischen USA und Großbritannien auf die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Briten und EU auswirken könnten, bleibe indes offen.

Insgesamt seien die mittel- und langfristigen Folgen der jetzigen Entscheidung bis auf weiteres nur schwer absehbar. Mit dem Wegfall der EU-Regelungen für den Wirtschaftsverkehr zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich könnte für Unternehmen eine Phase der Unsicherheit oder gar des Stillstandes beginnen. Diese Situation trifft in der Region Stuttgart viele exportierende deutsche Unternehmen sowie Betriebe mit Niederlassungen in Großbritannien, aber auch die aktuell rund 200 ins Handelsregister eingetragenen Unternehmen aus Großbritannien. Richter: „Wir befürchten, dass es Jahre dauern könnte, neue bilaterale Abkommen mit der EU auszuhandeln, wie etwa zwischen EU und der Schweiz.“

Bei den Ausfuhren Baden-Württembergs steht Großbritannien derzeit auf Rang sechs der Empfänger mit einem Exportvolumen von 10,49 Milliarden Euro (Stand Oktober 2016). Damit ist das Exportvolumen im Vergleich zu Oktober 2015 um rund 14 Prozentpunkte gesunken. Besonders betroffen von den Folgen des EU-Austritts sind im Südwesten vor allem die Branchen Fahrzeugbau, Maschinenbau und Elektrotechnik. Bei den Importen nach Baden-Württemberg belegt das Vereinigte Königreich Platz zwölf.

Neben direkten Effekten auf den bilateralen Handel könnte der Brexit auch indirekt negative Folgen haben. „Wir befürchten, dass ausländische Direktinvestitionen in die EU zurückgehen, da Großbritannien derzeit ein wichtiges Eintrittsland für Handelspartner aus Übersee in den europäischen Markt ist“, sagt Richter. Experten rechnen zudem mit weiteren Währungskursschwankungen zwischen Pfund und Euro.

Auch die Arbeits- und Niederlassungsfreiheit britischer Bürger in der EU und ebenso von EU-Bürgern in Großbritannien endet zunächst mit Vollzug des Brexit. Der Aufenthaltsstatus der derzeit rund 3.200 britischen Staatsbürger, die in der Region Stuttgart leben und arbeiten (Stand 2014), wäre damit ungeklärt. Der Verbleib britischer Beschäftigter in Deutschland, deren Einreise sowie die Entsendung von deutschen Arbeitnehmern ins Vereinigte Königreich könnten in Folge des Austritts künftig mit mehr bürokratischem Aufwand verbunden sein.

Die Wirtschaft in der Region Stuttgart mit Exportquoten von zum Teil deutlich über 60 Prozent haben von der Europäischen Union und deren Stellung im internationalen Wettbewerb viele Jahre lang außerordentlich profitiert, was hierzulande für Wohlstand und Beschäftigung gesorgt hat. Richter: „Umso mehr ist es wichtig, dass alle Beteiligten sich mit Besonnenheit dafür einsetzen, dass die möglichen negativen Folgen des Austritts und die zu erwartende Verunsicherung sich in Grenzen halten.“

PM

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