Auswirkungen der Corona-Pandemie setzen der Südwestwirtschaft erheblich zu – Rückläufige Auftragseingänge und massive Umsatzeinbrüche in fast allen Branchen

Die aktuelle Konjunkturumfrage des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags (BWIHK) zeigt deutlich: Trotz Lockerungen von Beschränkungen und Unterstützungsmaßnahmen aus der Politik hinterlässt die Corona-Pandemie in der Südwestwirtschaft tiefe Spuren. Zwar war die Stimmung bereits Anfang des Jahres – und somit vor Corona – gedämpft, jedoch bewerten inzwischen viermal so viele Unternehmen in Baden-Württemberg ihre Lage als schlecht (insgesamt 41 Prozent). Gut geht es nur noch knapp 20 Prozent. Zwei Drittel aller Betriebe im Land melden gefallene Umsätze. Etwa jedes zweite, und damit doppelt so viele Unternehmen wie zu Jahresbeginn, melden rückläufige Auftragseingänge. „Man spürt die große Verunsicherung unserer Unternehmen“, so Marjoke Breuning, Präsidentin der Industrie und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart, der im BWIHK für volkswirtschaftliche Fragen zuständigen Kammer. „Sie sehen mit großer Sorge, dass ihre Geschäfte nicht schnell wieder in Gang kommen, obwohl der Shutdown in Deutschland und anderen Partnerländern gelockert worden ist.“

Die Unzufriedenheit zieht sich durch nahezu alle Branchen, lediglich die Bauwirtschaft zeigt sich nach wie vor positiv gestimmt, wenngleich der Anteil der Betriebe in guter Lage um 20 Prozentpunkte zurückgegangen ist. Zu dieser Eintrübung haben insbesondere kräftige Umsatzrückgänge beigetragen. Wenig überraschend ist, dass der Anteil der Unternehmen mit Erlöseinbußen besonders hoch in der Hotellerie und Gastronomie (100 Prozent) und im Einzelhandel ist (73 Prozent) ist. Immerhin melden fast 14 Prozent der Unternehmen gestiegene Umsätze, darunter fallen zum Beispiel die Betriebe zur Herstellung von Gummi- und Kunststoffwaren, Chemie- und Pharmaunternehmen, Anbieter von rechtlichen und kaufmännischen Beratungen sowie Unternehmen aus der Gesundheitswirtschaft.

Mit Blick auf die kommenden zwölf Monate sind die Unternehmen daher skeptisch. Zwar rechnen 22 Prozent der Betriebe im Land mit einer Verbesserung der Geschäfte und der Umsätze, jedoch erwarten etwa 44 Prozent eine weitere Verschlechterung. Auch auf die Beschäftigungs- und Investitionspläne der Unternehmen hat die Coronakrise erhebliche Auswirkungen. Nur noch ungefähr elf Prozent der Betriebe wollen in den kommenden zwölf Monaten ihre Investitionen ausweiten, wobei vor allem Ersatzbedarf das Motiv ist. „In der Krise fokussieren sich die Betriebe auf Liquiditätssicherung. Den roten Stift setzt man natürlich am ehesten bei vermeidbaren Ausgaben an, die nicht dringlich sind und auf die Zeit nach der Krise gelegt werden können“, erklärt BWIHK-Präsident Wolfgang Grenke zur Investitionssituation. Digitalisierungsinvestitionen bleiben erstaunlicherweise mit knapp jedem zweiten Unternehmen zwar auf hohem Niveau, jedoch trotz des gefühlten coronabedingten Digitalisierungsschubes nahezu konstant. Wenig rosig sieht auch die Lage am Arbeitsmarkt aus: anstelle der üblichen Frühjahrsbelebung steigen die Arbeitslosenzahlen. Die Arbeitslosenquote ist von 3,4 Prozent im März 2020 auf 4,4 Prozent im Juni 2020 gestiegen. Für die kommenden zwölf Monate ist mit einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit zu rechnen, denn fast 40 Prozent der Südwestbetriebe wollen Beschäftigung abbauen und nur noch acht Prozent aufbauen. 52 Prozent der befragten Unternehmen nutzen derzeit die Kurzarbeit.

An erster Stelle der wirtschaftlichen Risiken steht bei den Unternehmen mit 74 Prozent wenig überraschend die Corona-Pandemie, dicht gefolgt von Nachfragerückgängen aus dem Inland (72 Prozent). 42 Prozent der Betriebe im Land befürchten auch, dass eine geringere Auslandsnachfrage ihre wirtschaftliche Entwicklung zusätzlich belasten wird. Angesicht der drastischen Eintrübung der konjunkturellen Lage haben die Entwicklung der Arbeitskosten und der Fachkräftemangel als Konjunkturrisiko in der Krise an Bedeutung verloren. Für immerhin jedes vierte Unternehmen bleibt der Fachkräftemangel dennoch ein Thema. Der Rückgang der Energie- und Rohstoffpreise führt zu einer Entlastung der Betriebe. Mit 16 Prozent hat sich die Anzahl der Nennungen gegenüber Jahresbeginn etwa halbiert.

Blick in die Branchen
Industrie
In der Industrie zeigt sich ein recht einheitliches, aber insgesamt deutlich negativeres Bild als in der Gesamtwirtschaft. Während bei den Herstellern von Investitionsgütern knapp 60 Prozent eine schlechte Lage melden, sind es bei den Konsumgüterherstellern mit etwas unter 30 Prozent nur rund halb so viele. Ein besonders düsteres Bild zeichnen die Fahrzeugbauer, die neben den Schwierigkeiten und Herausforderungen durch die Transformation jetzt auch noch massive Nachfragerückgänge zu verkraften haben. Dort ist der Anteil der Unternehmen in schlechter Lage auf mehr als 70 Prozent angestiegen.
So niedrig wie noch nie sind die Kapazitätsauslastungszahlen der Industrieunternehmen, die ihre Produktion nach dem Lockdown angesichts der Nachfrageschwäche nicht wieder vollständig hochgefahren haben. Dort ist ein Rückgang von 83 Prozent auf 66 Prozent binnen eines halben Jahres zu verzeichnen.
Die aktuelle Tendenz beim Auftragseingang beschert nur wenigen Betrieben Anlass zur Hoffnung. Nur rund 17 Prozent der Unternehmen melden eine positive, knapp 54 Prozent hingegen eine weiterhin negative Tendenz. Immerhin bessert sich die Situation bei 28 Prozent der Fahrzeughersteller und Zulieferer, zu Jahresbeginn profitierten nur 19 Prozent der Betriebe von einer steigenden Nachfrage. Jedoch ist auch die Zahl der Auto(teile)bauer mit Auftragsrückgängen kräftig gestiegen, nämlich von 38 auf 54 Prozent. Damit bleibt die Nachfrageentwicklung im Fahrzeugbau insgesamt abwärts gerichtet.
Positiv eingestellt sind die Konsumgüterhersteller und erwarten per Saldo sogar wieder steigende Exporte. Insgesamt rechnet die hiesige Industrie für die nächsten zwölf Monate im Vergleich zu den vergangenen zwölf Monaten (darin enthalten rund acht Monate Hochkonjunktur und vier Monate Corona-Krise) jedoch mit weiter abnehmenden Exporten. Nicht ganz so ausgeprägt ist der Pessimismus in Bezug auf Asien, wo sich mit China der größte Markt so langsam wieder berappelt. Eine Einigung Europas bei den Hilfen für besonders von der Pandemie betroffenen Staaten könnte die sehr gedämpften Exportaussichten etwas aufhellen. Deutlich negativ ist die Einschätzung hinsichtilch der lateinamerikanischen Märkte, wo bereits vor der Corona-Pandemie in mehreren Ländern wirtschaftliche Probleme deutlich wurden und die sich aufgrund der hohen Infektionszahlen in Brasilien als größte Volkswirtschaft des Kontinents verschärfen. Im Schatten der Corona-Pandemie wuchs in den letzten Wochen auch wieder das Risiko eines ungeregelten Brexits, so dass die Exporterwartungen für das Vereinigte Königreich über alle Industriebranchen hinweg die mit Abstand negativsten Werte aufweisen. Nur acht Prozent der dorthin exportierenden Unternehmen erwarten in den nächsten zwölf Monaten ein Plus.

Handel
Aufgrund gesunkener Umsätze (60 Prozent Nennungen) und stornierter Aufträge (30 Prozent) beklagen im Großhandel knapp 40 Prozent eine schlechte Ertragslage. Im Einzelhandel hingegen sind mehr als die Hälfte aller Unternehmen betroffen. Dabei melden 40 Prozent Umsatzrückgänge von einem Viertel und mehr. Auch mit Lockerung der Verkaufsbeschränkungen und dem jüngsten Konjunkturpaket bleiben die Aussichten pessimistisch. Grund hierfür ist auch das von 70 Prozent der Betriebe gemeldete zurückkhaltende Kaufverhalten der Kunden, denen angesichts weiterhin bestehender Hygienevorschriften und Schutzmaßnahmen nur ein eingeschränktes Einkaufserlebnis möglich ist. Auch der Handel nutzt in erheblichem Maße Kurzarbeit, um Liquiditätsengpässe zu vermeiden (64 Prozent), dennoch melden gut 40 Prozent, dass sie in den kommenden zwölf Monaten Beschäftigung abbauen werden.

Hotellerie, Gastronomie
Viele Hotels und Gaststätten befinden sich weiterhin in einer prekären Lage und haben wenig Hoffnung auf eine baldige Erholung. Zwar haben inzwischen etwa 90 Prozent wieder geöffnet, jedoch zählen über 80 Prozent weniger Gäste. Nahezu alle Befragten im Land melden daher gesunkene Umsätze, zwei Drittel der Unternehmen haben Liquiditätsengpässe und 25 Prozent droht die Insolvenz. Nur 18 Prozent der Gastro-Betriebe erwarten, dass auf die kommenden zwölf Monate vergleichsweise gerechnet ein Plus steht. Folglich erwarten fast drei Viertel der Befragten einen weiteren Rückgang ihrer Beschäftigtenzahl, zumal die Überbrückung der Umsatzflaute mit Kurzarbeit zwar von 95 Prozent der Unternehmen genutzt wird, aber nur eine Lösung von begrenzeter Dauer ist. „Wir hoffen, dass die kürzlich gestartete Stabilitätshilfe unserer Landesregierung dieser arg gebeutelten Branche etwas unter die Arme greifen kann und wir eine Insolvenzwelle vermeiden können“, sagt Breuning.

Dienstleistungen
Auch die Geschäfte der Dienstleister haben sich insgesamt deutlich eingetrübt. Branchen wie dem Gastgewerbe, dem Messe- und Veranstaltungswesen oder vielen personenbezogenen Diensten, die ihre wirtschaftlichen Aktivitäten im Zuge der Corona-Pandemie überwiegend einstellen mussten, geht es besonders schlecht. Das Verkehrsgewerbe sowie die Ingenieursdienstleister leiden unter der schwachen industriellen Aktivität, die Personalvermittler unter der abnehmenden Arbeitskräftenachfrage. Diese Servicebranchen rechnen auch nicht mit einer baldigen Trendumkehr zum Besseren. Allein rechtliche und kaufmännische Beratungsdienste bleiben auch in der Krise gefragt und auch die Immobilienwirtschaft ist unverändert sehr guter Dinge.

Bauwirtschaft
Der Bauwirtschaft geht es weiterhin gut, auch wenn die Baubetriebe mit dem Verlauf ihrer Geschäfte nicht mehr so zufrieden sind wie noch zu Beginn des Jahres. Die Erwartungen deuten darauf hin, dass die Bauwirtschaft weiter an Schwung verliert.

Was die Politik tun muss, damit die Wirtschaft aus der Rezession findet
„Die Auswirkungen der Corona-Krise auf unsere Wirtschaft haben ein historisches Ausmaß angenommen, mit einer vollen Belebung der Konjunktur ist wohl frühestens im nächsten Jahr zu rechnen und der Weg zurück wird hart“, sagt Grenke. Umso wichtiger sei es, dass weitere Weichen für konjunkturelle Erholung und Aufschwung richtig gestellt würden. „Viele Unternehmen befinden sich in einer existenzbedrohenden Lage und erleiden erhebliche Umsatz- und Ertragseinbrüche. Weitere Liquiditätshilfen und Entlastungen insbesondere von kleinen und mittleren Unternehmen müssen daher höchste Priorität haben“, fordert Breuning. Dafür müsse die Umsetzung der Konjunkturprogramme mit Blick auf die unternehmerische Praxis beschleunigt werden, zum Beispiel mit einer großzügigen Übergangsregelung bei der Mehrwertsteuersenkung. Die Gesamtsteuerbelastung sollte gesenkt werden, etwa indem der Verlustrücktrag verlängert und das rücktragbare Verlustvolumen ausgeweitet werden. Auch die Auszahlung der Ausbildungsprämie an die Betriebe sollte aus BWIHK-Sicht möglichst rasch erfolgen, um Ausbildungsbereitschaft zu stabilisieren und langfristige Auswirkungen und Verschärfung des Fachkräftemangels zu vermeiden. Die Politik muss außerdem sicherstellen, dass die Unternehmen langfristig gestärkt aus der Krise hervorgehen, vor allem was Zukunfts- und Konkurrenzfähigkeit angehen, indem sie niedrigschwellige Anreize für Zukunftsinvestitionen setzt und den Zugang zur Innovationsfinanzierung erleichtert. Damit den Unternehmen keine langfristige Benachteiligung im internationalen Wettbewerb entsteht, müssen grenzüberschreitende Wertschöpfungs- und Lieferketten erhalten bleiben und ein Anstieg der Handelskosten vermieden werden, dazu zählen zum Beispiel bürokratiereduzierende Maßnahmen in der Zollabwicklung, um Verzögerungen beim Transport und der Bearbeitung von Originaldokumenten vorzubeugen.

An der BWIHK-Konjunkturumfrage haben über 3.400 Unternehmen aus Baden-Württemberg teilgenommen. Die Gesamtergebnisse sowie Analysen nach Branchen und spezielle Aspekte der konjunkturellen Entwicklung (zum Beispiel Investitionen und Arbeitsmarkt) stehen im Konjunkturportal der IHKs des Landes zur Verfügung: www.konjunktur.ihk.de.

PM Baden-Württembergischer Industrie- und Handelskammertag

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